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24.08.02 / Gnade geht schließlich vor Recht

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 24. August 2002


Gnade geht schließlich vor Recht
von Robert Jung

An einem seiner guten Tage, als ihn die Gicht nicht allzu-sehr plagte, unternahm Friedrich der Große eine seiner in manchen Amtsstuben gefürchteten "Visitations"- oder Erkundungsfahrten durch seine preußischen Lande. Aus der Mark kommend, passierte die königliche Kutsche ein in Ziegelrot gehaltenes Gebäude, an dem der Zahn der Zeit nagte. Auch die das Haus umgebende Mauer zeigte deutliche Risse.

"Potztausend!" rief der König und wandte sich an seinen Begleiter, Graf Hardenberg, der ihn stets beriet: "Sage Er mir, wessen der Besitzer des Hauses ist?" - "Es ist ein Kreisgefängnis, Euer Majestät!" erwiderte Graf Hardenberg zögernd.

Eingedenk seiner bitteren Jugendjahre und an Küstrin bedeutete der König: "Man führe mich sofort hinein und sage mir, wer die Missetäter sind und wessen man sie anklagt. Auch über deren Befinden will ich Bescheid haben!"

Beim Erscheinen des hohen Gastes hinter den festen Mauern trug die Tochter des Gefängnisaufsehers ein hübsches Gedicht vor, das der König beifällig entgegennahm. Ehe man sich aber den Inhaftierten zuwandte, meinte das junge, blitzsaubere Mädchen: "Euer Majestät! Wie der Vater mir vor Jahren immer wieder wehleidig sagte, der König übe überall in seinen Landen gegenüber Missetätern und anderen Personen Gnade aus, dann wäre ja mein herzensguter Vater arbeitslos." - "Oho!" lächelte der König. "Wir haben überall im Lande eine gute Polizei, die treibt schon genug Gesindel wieder herbei. Doch wegen meines Gnadenerlasses möchte ich Näheres vom Herrn Vater wissen ..." - "Euer Majestät!" erwiderte dieser. "Im Augenblick sitzen nur einige Landstreicher ein, daneben aber ein übler Messerstecher, wohl für alle Lebenszeiten eingesperrt und verurteilt. Wenn Euer Majestät für alle Einsitzenden Gnade üben würden, wie sollte man es mit diesem Kujun von einem Messerhelden halten?"

"Gut!" lächelte der König. "Dann wird sein ‚Lebenslänglich' eben ganz passabel halbiert. Gnade geht eben vor Recht!" - Wie man später wissen wollte, hat der "Lebenslänglich-Halbierte" daheim stets eine Wucht Prügel von seiner Frau einstecken müssen.