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07.09.02 / Ewig gültig: Die Zehn Gebote

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. September 2002


Gedanken zur Zeit
Ewig gültig: Die Zehn Gebote

von Lienhardt Schmid

Laut Konversationslexikon bedeutet säkularisieren in weltlichen Besitz überführen. In der Praxis lief Säkularisierung zunächst auf die Überführung geistlichen Besitzes in weltlichen hinaus. Beginnend in der Refor-

mation, besonders radikal in der französischen Revolution gehandhabt, aber auch in Monarchien zum Vorteil des Fiskus nachvollzogen, so unter Josef II., und wenig später in deutschen Landen, wurde im Laufe des 19. und weit in das 20. Jahrhundert hinein Kirchenbesitz enteignet. In diesem Vollzug wurden Besitztümer der Kirche vom Fiskus anderer Nutzung zugeführt, wobei manches Wertvolle der Zerstörung anheimfiel.

Nebenher gewann, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, in Europa ein Parallelprodukt der Säkularisierung an Gewicht, der Laizismus, also der Ausschluß der Geistlichkeit von nichtkirchlichen Angelegenheiten. Dazu gehörte häufig auch das Schulwesen. Staatliche Schulen gab es damals nicht. Zwar sind kirchliche Schulen auch heute noch in den meisten Ländern zugelassen, doch ist der Religionsunterricht an staatlichen Schulen vielfach ein Problem geworden.

Das liegt wohl an der ideologischen Überspitzung all dessen, was mit Säkularisation und Laizismus zu tun hat. Anhaltspunkte häufen sich, die auch innerkirchliche Verweltlichung indizieren. Das Ausmaß, in dem sich Pastoren und kirchliche Verbände um zeitgeistgeprägte politische und gesellschaftliche Probleme kümmern, steht in klarem Gegensatz zur Beschäftigung mit der christlichen Kernbotschaft, speziell mit dem Dekalog, den Zehn Geboten. Sollte das Christuswort "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" ein Opfer innerkirchlicher Säkularisationsstrategien geworden sein?

In der Beliebigkeits- und Bequemlichkeitsgesellschaft unserer Tage ist das Zurechtbiegen gesetzlicher und verfassungsrechtlicher Rahmenbedingungen fast schon zum Leistungssport der besonders "Fortschrittlichen" geworden. Da ist "politisch korrekte" Anpassung für den post- modernen Pseudochristen doch "trendy" - wer wird denn noch gegen den Strom schwimmen wollen?

Einige Christen unserer vielgeschmähten Großvätergeneration sahen das anders. Als es mit großen Risiken verbunden war, sich dem offiziellen Kurs des Hitlerregimes zu widersetzen, das versuchte, auch die Kirchen ins "Programm" einzuordnen, da fanden sich in der Bekennenden Kirche jene zusammen, die sich nicht als "Deutsche Christen" vereinnahmen lassen wollten. In der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 hieß es: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen."

Heute verweigern ohne Not Minister bei der Vereidigung die früher übliche Formel: "So wahr mir Gott helfe." Überraschen kann das kaum noch, denn wir haben ja nicht nur eine neue Mitte, sondern auch einen neuen Menschen, der selber Gott sein will.

Unter solchen Prämissen stellen die Zehn Gebote natürlich einen Anachronismus dar. Der Kerngehalt des Ersten Gebotes, Gott als Herrn und Schöpfer in seiner Allmacht anzuerkennen, geht dem an sich als Übermenschen glaubenden Egomanen natürlich gegen den Strich. Demut ist ihm ein unbekannter Begriff. Gottes Namen nicht zu mißbrauchen, wie das Zweite Gebot fordert, beeindruckt den Ich-Menschen in seiner Selbstanbetung wohl kaum. Die Aufforderung des Dritten Gebotes, den Feiertag zu heiligen, auch im übertragenen Sinn, einmal im Tanz um das Goldene Kalb innezuhalten, steht dem Motto "Genuß sofort" diametral entgegen.

So dürfte sich auch das Vierte Gebot, Vater und Mutter zu ehren, als Störfaktor einer als Repression empfundenen "Erziehung" erweisen. Die Überflutung mit gewaltverherrlichenden Darstellungen auf dem Bildschirm läßt Gewöhnungs- und Nachahmungseffekte aufkommen, so daß das Fünfte Gebot "Du sollst nicht töten" sich im postchristlichen Milieu auf den Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe reduziert. Das Sechste Gebot, die Ehe nicht zu brechen, eingegangene Bindungen zu achten, hat im Weltmeer des Hedonismus nur auf orthodoxen Inseln einen Platz. Im Siebten Gebot wird, wie im Neunten und Zehnten Gebot, die Achtung vor dem Eigentum des anderen abgefordert: Der Mensch soll nicht stehlen, was auch die listenreiche Erschleichung fremden Besitzes einschließt. Es liegt auf der Hand, wie weit die Leugnung Gottes als letzte Instanz die ohnehin bei vielen Menschen geringen Hemmschwellen beseitigen hilft und dem Neid oder der Gier beim Zugriff auf das fremde Eigentum freie Bahn läßt. Und das Achte Gebot, nicht falsch Zeugnis zu reden wider den Nächsten, hatte schon immer einen schweren Stand gegen das Motto "Der Zweck heiligt die Mittel".

Zwar ist die Suche nach einer neuen Ethik, die sich nicht auf das Christentum oder Gottesglauben schlechthin stützt, unverkennbar. Sie ist die logische Folge des Versuchs, Säkularisation auf die Spitze zu treiben, sich in einer Welt ohne Gott einzurichten, ohne auf ethische, moralische, sittliche Maßstäbe ganz zu verzichten. Der jüngst veröffentlichte Schriftwechsel zwischen Umberto Ecco und dem Mailänder Kardinal Martini zeigt aber die große Leere, die verbleibt, wenn das Fundament des christlichen Glaubens fehlt.

Als die französische Nationalversammlung 1789 über den Inhalt einer neuen Verfassung und den Einbezug einer Deklaration der Menschenrechte diskutierte, beantragte ein Abgeordneter eine Erklärung der Pflichten neben den Rechten, denn es gebe keine Rechte ohne Pflichten, zumal die Menschen immer geneigt seien, ihre Rechte zu überschreiten und ihre Pflichten zu vergessen. Ein anderer Delegierter verlangte, die Zehn Gebote an die Spitze der Verfassung zu stellen.

Man stelle sich vor, diese Anträge wären damals akzeptiert und zur tragenden Säule der Verfassung und des politischen Lebens in Frankreich geworden. Wieviel Leid und welcher Blutzoll wäre der Nachwelt erspart geblieben. Kernfrage für die zivilisierte Menschheit heute dürfte die Überwindung ihrer tiefgehenden Orientierungskrise sein, die jedoch ohne Glaubenserneuerung chancenlos bleibt.