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07.09.02 / Eine wackere Frau

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. September 2002


Eine wackere Frau
von Robert Jung

Wo sich in uralten Zeiten zwei große Heeresstraßen, etwa in gleicher Höhe mit Marienwerder kreuzten, hob sich an einem Wiesenrand ein Felsbrocken aus einem Meer von Himmelsschlüsseln empor. Niemand konnte seinen Ursprung recht deuten, nur der alte Turmwächter Urbanski aus Marienwerder wußte mir über diesen sogenannten "Opferstein" zu erzählen, ehe ihn die Kriegsfurie ebenfalls, wie alles andere um ihn, zermalmte: "Mein Ahn war damals Schließer auf einer Fronveste, als man eines Tages ein kräftiges, aber schönes Weibsbild auf eine Strohschütte der Veste warf. Es hatte im ewigen Hader mit ihrem Mann, einem Schneidermeister, gelegen. Zänkisch und eifersüchtig, wie der Mann war, versetzte sie ihm jäh eine derbe Ohrfeige. Doch unglücklicherweise fiel dieser vom Schneidertisch und war auf der Stelle tot. In der Fronveste hat sie dann lange gelegen, mein Ahn der Unglücklichen immer von seinem Essen etwas abgebend. Doch zu allem Unglück wollte es, daß böse und neidische Nachbarn aussagten, sie habe ein Liebesverhältnis mit dem Junker Jörg von der Burg. Er habe ihr immer schöne Augen gemacht, die sie erwiderte, desgleichen ihr Töchterchen. Kurzum: es war plötzlich ein verzwickter Fall geworden. Mein Ahn versuchte immer wieder, sie zu trösten. Es half aber wenig. Tage- und nächtelang weinte sie vor sich hin und beteuerte ihre Unschuld, es sei nur die schreckliche Eifersucht und sein ewiger Streit gewesen, daß ihre derbe Hand ausgerutscht war und daß er so unglücklicherweise vom Schneidertisch fiel, sei nicht ihr Verschulden gewesen ...

Lange Monate verstrichen über diesen Fall. Die Richter sind sich ihrer Sache nicht ganz sicher gewesen, die Frau zum Tode durch den Henker zu verurteilen. Nach langen Beratungen, auch mit ihrem Landesherrn, haben sie schließlich ein ‚ord al' beschlossen, also ein Gottesurteil über Schuld oder Nichtschuld. Sie sollte einen schweren Felsbrocken einen Hang hinauf- und danach wieder heruntertragen, gelänge es ihr, dieses Gestein unbeschadet auf den Richtplatz zurückzubringen, sollte sie völlig frei von jeder Schuld sein.

Man brachte sie nun zur Richtstätte. Um einen Trunk Wasser bat sie noch. Dann nahm sie ihr buntgesticktes Busentuch ab, das sie zu manchem fröhlichen Tanz getragen, wand es fest zusammen und band es um die Stirn und den Nacken, nachdem sie zuvor die Nadeln aus ihren langen schwarzen Zöpfen gezogen, die nun in Armeslänge über die Brust bis zur Erde liefen. Zog auch noch die Schnur des Bundschuhs an, ehe sie den Stein sich auf die Schultern zwang.

Gestanden haben die Leute wie eine Mauer. Als die Verurteilte endlich hoch oben auf dem Galgenberg einen sanften Abstieg fand und sich langsam der Richtstätte näherte, sind fast alle Frauen in die Knie gefallen und haben für die Ärmste gebetet. Die Richter und der Henker aber standen, als erschlüge sie der Donner. Schwer keuchend, mit halbgeschlossenen Augen hat die Unglückliche auf die Richtstätte zugehalten. Es war, als würde eine unsichtbare Hand sie lenken. Der Ahn hat schon die Hoffnung gehabt, sie würde ihre Sache zu einem guten Ende führen. Hätt's wohl auch, wenn nicht ein stattliches Mannsbild im Landsknechtwams vorgetreten wäre, zu seiner Seite ein schmuckes Mädchen, die Tochter der Beschuldigten. Da hat die Verurteilte wirr aufgeschaut, totenbleich war mit einem Mal ihr Gesicht. Nur zwei, drei Schritte ist sie noch auf dem mit Himmelsschlüsseln übersäten Wiesen-anger getaumelt. Dann ist sie vornübergeschlagen mit der Stirn auf den kantigen Felsblock. Noch auf der Stelle hat man ihr das Grab geschaufelt. Schließlich hat der Henker, um seinen Lohn betrogen, diesen Felsblock in die Erde gerammt. "Ist derselbe Stein, nach dem Ihr mich fragtet!" - "Und der Landsknecht und das Mädchen?" - "Die hat der Krieg in alle Winde verweht. Junker Jörg starb auf den Wällen von Magdeburg."