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07.09.02 / Todestag: Mediziner und Politiker in einer Person / Rudolf Virchow starb am 5. September 1902

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. September 2002


Todestag: Mediziner und Politiker in einer Person
Rudolf Virchow starb am 5. September 1902 an den Folgen einer Fraktur des Oberschenkels, von der er sich im 81. Lebensjahr stehend nicht mehr erholte. Die links abgebildete Ehrenplakette zum 70. Geburtstag zeigt sein Konterfei.
von Manuel Ruoff

Das Einzelkind Rudolf Ludwig Carl Virchow kam am 13. Oktober 1821 in Schivelbein zur Welt. Sein Vater Carl Christian Siegfried Virchow war außer in der Landwirtschaft in dem pommerschen Ort als Stadtkämmerer tätig, während seine Mutter Johanna Maria, geborene Hesse, sich als "Nur-Hausfrau" dem Haushalt und seiner Erziehung widmen konnte.

Rudolf Virchow hatte das Glück, daß seine überdurchschnittliche Begabung bereits in der Kindheit erkannt wurde. So empfahl sein Lehrer seinem Vater, ihn auf eine höhere Schule zu schicken, was dieser auch tat. Ab seinem 14. Lebensjahr besuchte Virchow das Gymnasium im benachbarten Köslin, wo er auch 1839 sein Abitur machte. Der Deutschaufsatz des Preußen trägt den programmatischen Titel: "Ein Leben voll Arbeit und Mühe ist keine Last, sondern eine Wohltat."

Bereits als Abiturient hatte er den Wunsch gehabt, Arzt zu werden, und so studierte er in der Landeshauptstadt Medizin. Wieder wurde sein Talent erkannt, und so konnte er bereits im Jahre seines Abiturs an der militärärztlichen Bildungsstätte Pépinière eine für ihn kostenlose Ausbildung zum Heeresarzt aufnehmen. Und auch der Student vermochte zu überzeugen. 1843 wurde er zum Kompagnie-Chirurgen an der Charité, dem ersten allgemeinen Krankenhaus der Hauptstadt, gemacht, wo er nach dem Durchlaufen aller Abteilungen schließlich die Verwaltung des Leichenhauses übernahm. Noch im selben Jahr promovierte er mit einer Arbeit über den Rheumatismus unter besonderer Berücksichtigung der Hornhaut.

Bereits zu dieser Zeit offenbarte sich uns der Liberalismus und Materialismus dieses Kindes der Aufklärung. So verteidigte es in der zur Promotion gehörenden Diskussion die These, daß "nur der liberale Geist ... Einblick in die Natur der Medizin gewinnen" könne, und erregte 1845 Aufsehen mit seiner Rede "Über das Bedürfnis und die Richtigkeit einer Medicin vom mechanistischen Standpunkt". Noch nahm Virchows Karriere an dieser Weltanschauung jedoch keinen Schaden. Nach dem Abschluß des Staatsexamens im Jahre 1846 erwarb er 1847 mit einer Habilitationsschrift über krankhafte Knochenbildung die Lehrbefugnis an Hochschulen und übernahm die für Leichenöffnungen zuständige Krankenhausabteilung.

Das Revolutionsjahr 1848 drohte die Karriere des Liberalen zu knicken. Den im Winter 1847/48 in Oberschlesien ausgebrochenen sogenannten Hungertyphus hielt der liberale Mediziner für "so interessant, daß" er "das lebhafteste Verlangen" verspürte, ihn "in der Nähe zu sehen", denn "eine solche Gelegenheit kann sich kaum wieder so nahe bieten". Entsprechend seinem Wunsche schickte ihn die Regierung in die südöstlichste Provinz Preußens, den Ursachen der Epidemie vor Ort auf den Grund zu gehen. In seinem Bericht an seinen Auftraggeber kam der Regierungsbeauftragte zu dem Schluß, daß die Verhältnisse und damit nicht zuletzt die Regierung ein gerüttelt Maß an Schuld treffe. Nach dieser Diagnose schlug der Arzt als Therapie neben sanitären Maßnahmen die "volle und unumschränkte Demokratie" sowie Bildung, Freiheit und Wohlstand vor.

Gemäß Virchows erklärtem Standpunkt gebietet seine Wissenschaft wie die Demokratie so auch die Republik. "Als Naturforscher", so sein damaliges Credo, könne er "nur Republikaner sein; denn die Verwirklichung der Forderungen, welche die Naturgesetze bedingen, welche aus der Natur des Menschen hervorgehen, ist nur in der republikanischen Staatsform wirklich ausführbar".

Im Königreich Preußen scheiterte die demokratische 48er-Revolution, und so setzten auch gegen den erklärten Demokraten und Republikaner aus Schivelbein Verfolgungsmaßnahmen ein. Ihm wurde sein Gehalt gekürzt und seine Dienstwohnung zum 1. Mai 1849 gekündigt. Gerne nutzte er deshalb die Möglichkeit eines Standortwechsels, als sich ihm in eben jenem Wonnemonat ein Ruf an die Universität Würzburg erreichte.

Hier in Bayern suchte und fand er "eine gesicherte wissenschaftliche Stellung und nicht einen Tummelplatz für radikale Tendenzen". Der Ex-Revolutionär verhielt sich politisch unauffällig und konnte frei von staatlicher Verfolgung medizinische Forschung und Lehre ungestört auf höchstem Niveau betreiben. Er heiratete 1850 Rose Mayer, mit der er sechs Kinder bekam, und wurde wie so viele Revolutionäre nach ihm ein Bestandteil des Establishments. In dieser seiner Würzburger Zeit, nämlich 1855, verwendete er auch erstmals in einer Veröffentlichung den Begriff der "Cellularpathologie". Die dahinter stehende Lehre, gemäß der die Ursache krankhafter Veränderungen in den Zellveränderungen zu suchen ist, ist bis zum heutigen Tage untrennbar mit seinem Namen verbunden.

Inzwischen ein überregional anerkannter Pathologe, ließ Virchow sich 1856 nach Berlin zurückholen. Er übernahm als Direktor die Leitung des für ihn an der Charité neu gegründeten Instituts für Pathologie und wurde nun auch wieder politisch aktiv. Auf Vorschlag seines Freundes Salomon Neumann wurde er 1859 in den Berliner Stadtrat gewählt. Dort gehörte der Parlamentarier den Deputationen für Gesundheitspflege und für die Krankenanstalten sowie - hier ganz Kind des Rationalismus mit seiner Zahlengläubigkeit - der Statistik-Deputation an.

Entsprechend seiner Überzeugung, daß die Verhältnisse von maßgeblicher Bedeutung für die Ausbreitung von Seuchen seien, gehörte der Hygieniker auch der Verwaltung der Berliner Kanalisationswerke an, um die er sich große Verdienste erwarb. Seines Erachtens hatte jeder das Recht "auf eine gesunde Existenz", und der Staat hatte mit einer "öffentlichen Gesundheitspflege" hierzu die Möglichkeit zu schaffen, und daß Berlin dieses tat, darum bemühte sich Virchow als Berliner Abgeordneter nach Kräften.

Der preußische Heereskonflikt, dieser Machtkampf zwischen König und Parlament, ließ den Liberalen sich auch in der großen Politik engagieren. 1861 gründete er mit liberalen Gleichgesinnten die Deutsche Fortschrittspartei und ließ sich in den Preußischen Landtag wählen. Da Virchow auf seiten des Parlaments und Otto v. Bismarck auf seiten des Königs focht, entwickelte sich zwischen den beiden eine gepflegte Gegnerschaft, die schließlich sogar zu einer Duellforderung zwischen den beiden führte. Vor dem Duell fand sich jedoch eine für beide Seiten ehrenvolle Alternative, so daß es bei Wortgefechten blieb.

Wenn sich das Verhältnis zwischen den beiden Großen ihres Fachs auch nie entspannte, so sah das Reich die zwei doch im sogenannten Kulturkampf, ein Begriff den manche Virchow zuschreiben, auf derselben Seite stehen. Wie so viele Liberale war auch Virchow ein Gegner der (katholischen) Kirche mit ihren Dogmen und Wundern, deren Interesse seines Erachtens darin lag, "die Völker bigott, dumm und unfrei zu erhalten". Er meinte feststellen zu können und zu müssen, "daß es sich beim Streit des Katholizismus mit der Regierung nicht um einen religiösen, nicht um einen konfessionellen Kampf handelt, sondern daß hier ein höherer, die ganze Kultur betreffender Kampf vorliegt". Folglich entschlossen sich Virchow und seine Fortschrittspartei, die Bismarck-Regierung in deren "Kampf zu unterstützen, der mit jedem Tag mehr den Cha-rakter eines großen Kulturkampfes der Menschheit annimmt".

Trotz dieses temporären Zweckbündnisses mit Bismarck blieb dessen "Enthebung" für ihn "eine Vorbedingung für die Genesung des Volksgeistes". 1890 fand diese Enthebung statt, acht Jahre darauf starb Virchows politischer Kontrahent und weitere vier Jahre später er selber. Als erster großer Verkehrstoter des 20. Jahrhunderts wird der Zellularpathologe bezeichnet, denn die Oberschenkelfraktur, von der er sich nicht mehr erholen sollte, erlitt er beim Abspringen von einer fahrenden Straßenbahn.