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07.09.02 / Eine Reisegruppe von Ost- und Westpreußen versuchte das Reich der Mitte vor Ort zu ergründen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. September 2002


Was ist China? 
Eine Reisegruppe von Ost- und Westpreußen versuchte das Reich der Mitte vor Ort zu ergründen
Ein Blick über die Große Mauer

Edmund Ferner, Kulturreferent der Landsmannschaft Ostpreußen bei der Landesgruppe Schleswig-Holstein, entschied sich zu einer "Traumreise". Er, der Anfang des Jahres im Berliner Schloß Bellevue eine Ehrenurkunde für sein Bürgerengagement für Rußland entgegennehmen konnte, wählte allerdings für einen Freund Ostpreußens eine etwas untypische Region: Er organisierte eine Reise nach China. Mit ihm machten sich 23 weitere Interessierte auf ins Reich der Mitte. Sie besuchten Peking mit seinem Kaiserpalast, den Platz des Himmlischen Friedens, den Himmelstempel, die Chinesische Mauer, die Kaiserstadt Xian, das Zentrum des tibetischen Buddhismus Lhasa, Shanghai und Hongkong. Zudem staunten sie über die steilen Bergformationen mit kleinen Wasserfällen, eindrucksvolle Höhlen, Terrassenfelder und die vielen am Jangtse, dem drittgrößten Fluß der Erde, befindlichen Kulturdenkmäler. Das vielfältige Land mit seinen Tempeln, Palästen, Menschen, seiner andersartigen Mentalität und Natur beeindruckte Edmund Ferner so nachhaltig, daß er seine Eindrücke mit den Lesern des Ostpreußenblattes / Preußische Allgemeine Zeitung teilen möchte.

Reisende lieben es zu vergleichen, und so wird auch Peking immer wieder von meinen Mitreisenden mit anderen Städten der Welt verglichen.

Doch eigentlich gibt es nach meiner Meinung nur eine Stadt, die einem solchen Vergleich standhält: Rom! Denn beide - Rom wie Peking - waren schon früh Metropolen gewaltiger Reiche, im Westen die eine, die andere im Osten, und beide erhoben den Anspruch, Zentrum zu sein, Mitte der Welt. Beide sind uralt - doch als Rom gegründet wurde, stand Peking schon einige Jahrhunderte. Jicheng, so der damalige Name der Stadt, lag im Südwesten des heutigen Peking. Während Rom schnell zur Hauptstadt der westlichen Welt aufstieg, blieb Jicheng - der Name wechselt nun wiederholt - zwar bedeutend, doch immer im Schatten anderer Städte. Und als Kublai Khan sie 1267 zur "Großen Hauptstadt" (Dadu) ausbaute, war Rom schon seit langem eine Metropole ohne Reich.

Der Venezianer Marco Polo ist von Dadu entzückt. "Überall gibt es prächtige Paläste und zahlreiche große und schöne Herbergen und Wohnhäuser", schreibt er bewundernd. "Die ganze Stadt mit kreuz und quer führenden Straßen sieht wie ein Schachbrett aus, so vollkommen und meisterhaft angelegt, daß man sie mit Worten kaum beschreiben kann."

Auch die beiden nächsten Dynastien setzten den Ausbau fort. Yong le, dritter Ming-Kaiser, verlegte 1403 seine Residenz hierher und gab ihr den Namen Beijang, das heißt "Nördliche Hauptstadt". Erst jetzt bildete sich der uns inzwischen vertraute Grundriß, entstanden die prächtigen Bauten, vor allem die Kaiserstadt mit ihren Gärten, Tempeln und Palästen.

Vieles der Zeit der Ming steht nicht mehr. Manches erlag den Wirren des 19. Jahrhunderts. Noch mehr aber wurde nach 1949 abgerissen, als die kommunistische Regierung Peking wieder zur Hauptstadt erklärte und sich daran machte, die Stadt den Bedürfnissen der modernen Welt anzupassen.

Ob Peking dadurch schöner geworden ist, sei dahingestellt. Viele, die die alte Stadt noch kennen, haben mir das entschieden verneint.

Die Silhouetten hoher Schlote erinnern daran, daß Peking seitdem zu einer der größten Industriestädte Chinas wurde. Industrie - hauptsächlich Schwerindustrie - wurde vor allem in den fünfziger Jahren angesiedelt.

Sie brachte zwar neue Arbeitsplätze, aber auch schwere Probleme. Die Bevölkerung stieg von nur 1,2 Millionen im Jahre 1949 auf inzwischen neun Millionen - einschließlich der umliegenden Dörfer -, ihre Dichte von 5.000 auf 12.000 Einwohner pro Quadratkilometer (zum Vergleich: In der Bundesrepublik leben nicht einmal 250 Menschen auf einen Quadratkilometer).

Fasziniert sind wir durch die breiten, mit Tempeln und Pagoden gesäumten Alleen der chinesischen Tradition geschritten, sind über wohlsortierte freie Märkte geschlendert, durch Porzellan-Manufakturen, Jadeschleifereien und Kunststudios.

Aber irgendwann, als wir uns gerade in einem der zahlreichen Restaurants von den Strapazen unserer Reise ausruhen und uns an den köstlichen Delikatessen der chinesischen Küche erfreuen, da stellt sich nun am Ende unserer Reise die Frage: Was ist das eigentlich, China? Und betroffen müssen sich wohl die meisten meiner Gruppe eingestehen: Wir wissen es nicht! Nur schwer formt sich die Fülle der Impressionen zu einem in sich geschlossenen Bild, und wenn es entstanden ist, so scheint es sich - gleich einem Kaleidoskop - bei der leisesten Bewegung wieder zu verwandeln.

Mir jedenfalls geht es so: Je länger ich mich mit China beschäftige, mich hier aufhalte, um so unbekannter wird es mir; je mehr ich mich ihm annähere, um so weiter weicht es zurück.

China ist nicht nur für Menschen aus dem Westen schwer verständlich, sondern selbst meine intelligente platonische Freundin Wei Quan, die hier 34 Jahre lebt, das heißt selbst Chinesen, die hier leben - auch andere - können von der Geburt bis zum Tode diesen "Gegenstand" kaum voll erfassen.

Der Hauptgrund ist vielleicht, daß China zu alt und zu jung ist in einem, zu sehr dem Vergangenen verhaftet und zu sehr in ständiger Veränderung begriffen, daß es zu einfach und zu kompliziert zugleich ist. Mit einem Wort: eine Synthese vieler Bestandteile und voll von Kontrasten.

Wenn dem so ist, was folgt daraus? Sollen wir nun resignierend auf eine Antwort verzichten und uns den Impressionen des Augenblicks oder den Informationen unserer Reiseführer hingeben?

Wer will, mag dies tun. Wem jedoch diese Haltung zu passiv ist, der muß versuchen, wenigstens die wichtigsten dieser Bestandteile zu entdecken. Natürlich gehört zu ihnen die alte Kultur - die Tempel und die Paläste, die Gärten und die Klöster, die Stadttore und die Trommeltürme. China ist voll davon, und die Chinesen sind nur allzubereit, sie uns Reisenden vorzuführen.

Doch ist Vorsicht angebracht. Denn die Versuchung ist groß, dem Charme dieser alten Kultur zu erliegen und dabei zu übersehen, daß sie nur ein Teil Chinas ist, vor allem ein Teil, der mit der Welt der heute in China lebenden Menschen nur noch wenig zu tun hat, ja den Blick auf diese Weise sogar verstellt.

Der andere Teil, das lebende, gegenwärtige China, war lange verborgen hinter Bambus- und Propagandavorhängen, aber auch hinter Mauern von Angst und Zurückhaltung. Das beginnt sich zunehmend zu ändern. Allerorts macht sich eine neue Offenheit bemerkbar. Menschen, die noch vor einigen Jahren nichts anderes zu verantworten wagten als die von der Partei vorgestanzten Phrasen, sind nun bereit, Einblicke in ihren Alltag und ihre persönlichen Probleme zu gewähren, Einblicke in den gewaltigen Wandlungsprozeß zu vermitteln, der das Land in einem in seiner Geschichte einmaligen Ausmaß verändert. Denn im Grunde hat die eigentliche Kulturrevolution erst jetzt begonnen.

Erst heute, im Zuge der Modernisierungspolitik und einer konsequenteren Öffnung, gerät das Land immer stärker in den Sog einer Strömung, die nicht nur die traditionelle, über Jahrtausende gewachsene Agrargesellschaft und die sie prägenden Lebens- und Denkformen unterspült, sondern auch die erheblich jüngere Kultur des Sozialismus maoistischer Prägung.

Noch weiß niemand, wohin diese Strömung China treibt. Denn das Terrain ist schwierig und wenig übersichtlich. Nicht nur international, wo die Angst vor einer im Wachsen begriffenen Weltmacht China noch weit verbreitet ist, sondern auch im Lande selbst, wo die realen Probleme immens und die politischen Widerstände gegen den neuen Kurs beträchtlich sind.

Diesen faszinierenden Prozeß aus der Nähe ein bißchen zu beobachten, ja ein bißchen miterleben zu können, ist die große Chance für uns China-Reisende. Daß dies nicht leicht ist, sondern Offenheit, Sensibilität und Sachkenntnis verlangt, versteht sich von selbst. Edmund Ferner

 

Fotos: An der chinesischen Mauer: Diese deutsche Reisegruppe begab sich quer durch das riesige, unvergleichliche China. Die 24 Teilnehmer, unter ihnen 17 gebürtige Ost- und Westpreußen, besuchten unter der Leitung von Edmund Ferner (unten rechts hockend) die imposantesten Kulturdenkmäler, außergewöhnlichsten Naturphänomene und weltoffenen Metropolen des bevölkerungsreichsten Landes der Erde. Foto: privat

Händlerinnen in Lhasa: Auch in das buddhistische Zentrum der Erde führte es die

Reisenden aus Deutschland. Das Stadtbild hat sich allerdings in den letzten zehn Jahren sehr verändert, denn inzwischen gibt es auch auf dem "Dach der Welt" Krankenhäuser, Schulen und sogar ein eigenes Abwassersystem. Foto: privat

Königsberger Kinderfreund: Edmund Ferner schenkt chinesischen Kindern eine Brause Foto: privat