Man täuscht sich, wenn man glaubt, daß der Frühling allein das Vorrecht hat, die Seele des Menschen in Unruhe zu versetzen. Es ist ebenso der Herbst, der wilde, der bunte, der vielgestaltige, der die Seele taumelnt macht unter dem Einfluß widerstreitender Empfindungen.

Gestern noch lag die stille Erde in zitterndem Sommersonnenglast, heute hat sich der Herbst auf sein Dasein besonnen und vorbei ist's mit der bleiernen Ruhe, vorbei auch das stille Sommerglück. Der Herbst hat in seine Sturmfanfare gestoßen! Er fegt über fruchtmüde Äcker, er greift in die Kronen der Bäume und wirft seine Brandfackel hinein, daß sie aufflammen in satten Gluten. Er zaubert uns verschwenderisch einen bunten Blütentraum mitten in unsere Abschiedsahnung. Es ist als hätte er alle Schönheit der Welt gesammelt, um sie nun in trunkenem Rausch auszuschütten über die reife Erde.

Und unsere Seele ist hilflos preisgegeben der Unrast und Unruhe, die sich uns mitteilt aus der Natur, die in einem letzten Aufjauchzen all ihren Reichtum verschenkt, preisgegeben dem Kampf in uns, dem Kampf der Sehnsucht nach dem märchenblauen, goldbunten Sommerglück mit der Unruhe vor dem Dunklen, Ungewissen, das sich ankündigen will.

Gewiß, auch das Kommende wird seine Schönheit haben, wir wissen es, es war jedesmal so. Aber noch steht es vor uns als etwas Beruhigendes. Ja, der Herbst hat alle gespeicherte Sonnenfülle des Sommers übernommen und sich daraus ein rauschendes Lied komponiert, eine klingende Symphonie, die uns hinüber tragen wird in eine andere Zeit mit anderen Schönheitsgesetzen. Und wie steht es mit dir? Hast du dir aus der reichen überquellenden Sommerseligkeit auch ein Herz voll mitgenommen für die dunkle Zeit? Eva Hönick