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28.09.02 / Der Zauber von Schloß Mirabell

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28.September 2002


Der Zauber von Schloß Mirabell
Einer uralten Geschichte von Liebe, Tod und Teufel auf der Spur
von Esther Knorr-Anders

An allen Ecken Salzburgs hocken sie und pinseln irgend etwas Blickfängerisches auf Leinwand oder Papier. In den Gassen kauern Pflastermaler auf dem Asphalt; sie erfreuen die Zuguckenden durch die großflächige Wiedergabe berühmter Gemälde mit heiligen, teils auch unheiligen Motiven. Malsucht ist also nichts Auffälliges in der Domstadt. Auch der Zeichenkünstler im Bastionsgarten, im sogenannten "Zwerglgarten" des Schlosses Mirabell, wäre kaum aufgefallen, wenn er nicht zufällig einsam und allein auf dem weiten Rasenfeld gesessen hätte. Um ihn herum bildeten fünfzehn Marmorzwerge einen weitläufigen Kreis. Herbstlaub umwirbelte den Künstler. Es störte ihn nicht. Versunken zeichnete er eine Zwergendame. Ihr mißlich verwachsener Körper steckte in einem barocken Kleid, das Haar bedeckte ein kostbarer Kopf- schmuck. In ihrer Schürze trug die Zwergin Obst. Mit verhaltenem Lächeln hielt sie einen Apfel in die Höhe. "Willst du", schien sie zu sagen. Den Maler hielt es nicht länger auf seinem Platz. Er ließ Stift und Block ins Gras gleiten, erhob sich und trat zu ihr. Er streichelte ihre Wange, faßte sie dann beim Arm. Es sah aus, als wolle er sie zum Tanz führen. Welke Blätter rieselten auf beide nieder. Welch ein Anblick! Zeugin einer irrationalen Liebesbeziehung war ich geworden. Diskret wandte ich mich den übrigen vierzehn Marmorlingen zu.

Einstmals sollen 24 oder 28 Zwerge den Bastionsgarten bevölkert haben. Fürsterzbischof Franz Anton Harrach hatte sie, einer damals grassierenden Mode folgend, um 1715 anfertigen lassen. Sie stellen keine pfiffigen Kobolde dar, sondern monströse Wesen. Sie sind abstoßend häßlich - und zugleich auf bedrückende Weise faszinierend. Der Bauch des "Vielfraßes" wölbt sich bis unters Kinn, die "Zwiebelträgerin" und den "Jäger" verunstaltet ein mächtiger Kropf, dem grinsenden "Waldmenschen" wächst eine riesige Warze auf dem Kopf, der "Arzt" streckt die Zunge raus. Kein Wunder, daß Kronprinz Ludwig von Bayern, der während der bayerischen Besetzung Salzburgs (1810 bis 1815) im Schloß Mirabell residierte, die Zwerge allesamt entfernen ließ, und zwar aus Angst um seine schwangere Frau. Er fürchtete, daß sie ob der Mißgestalten erschrecken, seelischen und leiblichen Schaden nehmen könne. Mit seiner Furcht gab er unfreiwilligerweise zu, insgeheim an Übertragungszauber, "bösen Blick" und dergleichen zu glauben. Die Zwerge wurden versteigert, in alle Himmelsrichtungen verstreut. Die nun wieder anwesenden fünfzehn "Zwergl" kehrten auf abenteuerlichen Umwegen in ihren Heimatgarten zurück.

Über eine kleine Treppe, die von zwei Löwen flankiert wird, gelangte ich zum "Pegasusbrunnen". Soeben dem Maler entwichen, geriet ich hier an einen Rezitator. In Blickrichtung des kupfernen, gerade von der Erde abhebenden Flügelrosses, zitierte er einer fassungslos lauschenden Seniorinnen-Gruppe einen Vers des Salzburger Dichters Georg Trakl: "Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten, folg' ich der Vögel wundervollen Flügen, die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen, entschwinden in den herbstlich blauen Weiten ..." Die Damen nahmen, nicht ohne sich für die Gartenführung einschließlich Rezitation mit einem Salär bedankt zu haben, unaufhaltsam Reißaus. Ich aber betrat das Schloß, um einer uralten Geschichte von Liebe, Tod und Teufel nachzuspüren.

Anno 1587 wurde der Schwabe Wolf Dietrich von Raitenau im Alter von 28 Jahren zum Fürst-Erzbischof von Salzburg gekürt. Der Mann mit dem kräftigen Schädel, den wachen, prüfenden Augen, hatte nie Geistlicher werden wollen, erfüllte jedoch den Wunsch seiner biederen Familie, die durch Verehelichungen mit Frauen aus dem Hause Medici berühmt geworden war. Ein Bischof echt schwäbischer Herkunft würde dem Clan noch mehr Glanz verleihen. Die Kalkulation stellte sich als Irrtum heraus. Wolf Dietrich hatte sich zum Soldaten, Krieger und Sieger über die Türken berufen gefühlt. Noch als Erzbischof ließ er es sich nicht nehmen, hoch zu Roß in voller Reitermontur zur Kirche zu galoppieren, vor dem Portal abzuspringen und sich erst dort das geistliche Gewand umlegen zu lassen. Ferner ließ er es sich nicht nehmen, Salzburg architektonisch in Rom zu verwandeln, in ein kleines Rom selbstverständlich, aber immerhin. Für seinen, bei der Bevölkerung keinesfalls auf Gegenliebe stoßenden Plan, kaufte er rund sechzig Bürgerhäuser auf und ließ sie abreißen; abbrechen ließ er das seinem Traumplan im Wege stehende ehrwürdige romanische Münster. Dem Einwand, daß man aus Gründen der Pietät dem weihevollen Bau des Bischofs Virgil nicht mit der Spitzhacke zu Leibe rücken könne, verschloß sich Wolf Dietrich: "Ach was, Virgils Maurer haben ihn gebaut." Um Zeitverschwendungen zu vermeiden, ließ er bei den Abbrucharbeiten auch gleich die alten Bischofsgräber zertrümmern. Man soll eben keinem Weltmann den Habit des Klerikers aufzwingen.

Ein drittes Kabinettstück leistete sich der Erzbischof. Er vertraute seine schönheitsdurstigen Sinne samt seinem stabilen Körper einer Geliebten an. Das war Salome Alt, Tochter aus reichem Handelsgeschlecht. Die Schönäugige sehen und in Liebe entbrennen war eine Angelegenheit von Sekunden. Die Folgen dauerten entschieden länger. Sie machten einen Schloßbau erforderlich. Zwar war es nur ein kleines Schloß mit wundersamem Garten, aber es bot Wolf Dietrich, Salome und ihren fünfzehn leiblichen Nachkommen vieljährige Bleibe. "Altenau" hieß das Schloß und "von Altenau" durfte sich Salome nach ihrer Erhebung in den Adelsstand nennen. Die Nachfolger Wolf Dietrichs auf dem Bischofsthron bauten Schloß Altenau zur erzbischöflichen Sommerresidenz mit dem Namen "Mirabell" aus. An die einstigen, so unverfroren in "wilder Ehe" lebenden Liebenden sollte nichts mehr erinnern. Jedenfalls stellte man sich das so vor. Es kam anders. Ganz Salzburg erzählt fortwährend von den beiden.

Lichtvolle Heiterkeit beherrscht die Stadt mit ihren unter Wolf Dietrichs Ägide entstandenen Plätzen, hellen Prachtbauten. Fontänengeglitzer, Rosenzauber beschwören die Erinnerungen an die dunkellockige Salome herauf, von der sage und schreibe nur ein winziges Medaillon-Porträt existiert. Eine von Blättergewirr umrahmte Brunnenfigur soll, unauslöschlicher Legende zufolge, ihre Züge tragen. Spielt es da noch eine Rolle, daß die spektakulären Liebenden durch Mirabell in seiner heutigen Form nie geschritten sind? Das Schloß wurde nach dem großen Brand von 1818 völlig neu gestaltet. Auch die vom Ausbrennen verschont gebliebene Prunkstiege und den pompösen Marmorsaal im Schloßteil von 1727 sahen sie nicht. Da waren sie schon über hundert Jahre tot. Doch die Prunkstiege hätte Salome belustigt. Schäumenden, sich überschlagenden Wogen gleichen die Verzierungen des Treppengeländers. Auf den "Wellenkämmen" reiten dralle Putti. "Aufwärts geht's" deuten ihre wegweisenden Hände, ihre schelmischen Gesichter. Der Marmorsaal schwelgt in Farbenreichtum. Die Wände sind mit filigranen Ornamenten überzogen. In der Saalmitte steht ein feierlich mit Kerzen und Blumengebinden geschmückter Tisch. Hier heiraten Salzburgs Bürger standesamtlich. "Wollen wir auch?" könnte Salome spitzbübisch dem Wolf Dietrich zuwispern. "Zu spät, mein Lieb", würde er brummen.

Nachdem ich das Schloß verlassen hatte, begann der Streifzug durch den 1687 von Johann Bernhard Fischer von Erlach im Auftrage Erzbischofs Johann Ernst Thun umgestalteten Gartenteil. Über eine schier endlose Fläche ziehen sich von Wegen durchkreuzte Rasenbeete, die mit Blumenschlangen in Stukkatur-Manier übersät sind. Einen kleinen Wolfshundrüden scherte das wenig. Im unbewachten Augenblick wälzte er sich in den Stiefmütterchen. Sein Herr stürzte ihm nach, bekam ihn zu fassen und verdrosch ihn. Mitleidsvolles Gemurmel seitens der Spaziergänger. Wenig später erreichte der pechschwarze Welpe das große Fontänenbassin. Tolpatschig krabbelte er auf den Beckenrand. Noch Sekunden, und er würde ins Wasser plumpsen. Rechtzeitig rettete ihn sein erbleichter Besitzer vor dem Ersaufen.

Unberührt von allem Geschehen im Mirabellgarten vollziehen die in der Nähe des Bassins postierten mythischen Skulpturen schicksalsträchtige Kraftakte. Auf vier hochgetürmten Gesteinsblöcken verewigte Ottavio Mosto 1690 der Menschen und Götter Tun und Treiben. Die Steinsockel versinnbildlichen die vier Elemente. Der Sockel "Feuer" zeigt züngelnde Flammen. Auf ihm trägt Äneas seinen Vater Anchises aus dem brennenden Troja. Auf dem von Gewürm und Schnecken bekrochenen Sockel "Erde" ringt Herkules mit dem Riesen Antäus, den er nur bezwingen kann, wenn dessen Füße nicht den Boden berühren. Herkules stemmt ihn in die Höhe und erwürgt das Ungeheuer sozusagen zwischen Himmel und Erde. Seltsame Blumen, Pflanzen winden sich über den Sockel "Luft", wo Pluto die Proserpina in die vegetationslose, ewig eisige Unterwelt entführt. Kehrt sie wieder zurück, beginnt der Frühling. Anker und Muschel kennzeichnen den Sockel "Wasser". Keine geringere als die schöne Helena hängt zappelnd auf der Schulter von Paris. Von Frauenraub kann keine Rede sein. Die Langlockige jauchzt, der troische Prinz trägt sie frohlockend aufs Schiff.

Doch damit erschöpfte sich der mythische Figurenreigen nicht. Eine schlohweiße Götterparade wartet am Haupteingang des Gartens. Auf der Ballustrade stehen die männlichen Gottheiten Chronos, Mars, Vulkan und weitere in Wächterpose. Die das Portal beschirmenden, nichtgöttlichen "Faustkämpfer" holen zum Stoß aus. Aber verheißungsvoll lächeln die Göttinnen Diana, Flora, Venus und weitere den Betrachter an. Ein Wüstling könnte in vorschneller Freude wähnen, in einen "Garten der Lüste" gelangt zu sein.

Ohne jegliches Gewirbel von marmornen Armen, Beinen, Locken, Schleiern präsentierte sich ein Nebenhof, der ehemalige Orangeriegarten. Zum Verweilen einladend, plätscherte ein Brunnen. Mittendrin sitzt Wolfgang Amadeus Mozarts unsterbliche Vogelfrau Papagena. Ihren Kopf und ihre Hand zieren Piepmätze. Mir war, als würde ich meine unsichtbare Begleiterin Salome kichern hören: "Vögelchen hatten wir auf den Gobelins und ,piep, piep' machten wir selber."

Geraume Zeit verstrich, dann kehrte ich in den Hauptgarten zurück. Da es später Nachmittag geworden war, fiel Nebel ein, wob zarte Gespinste über die dick-stämmigen Alleebäume und den schummrigen Laubengang. Alle Farben hatten sich verändert. Hohe Steinvasen geisterten grau aus grünblauem Pflanzenwirrwarr. Die Blüten roter Rosenbüsche glänzten schwärzlich. Ich geriet ins 1717 angelegte "Heckentheater". Vor den kulissenartig gestaffelten Heckenreihen erstreckt sich ein tiefer Orchestergraben, an dessen rechter und linker Begrenzung ein Löwe kauert. Das Laub der Hecken leuchtete kupfern. Es bedurfte nicht viel Phantasie, um Papagena und ihren Herzensvogel Papageno aus dem Blätterwald hervorhuschen zu sehen. Mutwillig zausten sie ihr Federkleid, umschlangen sich, purzelten zu Boden, rollten sich im rotgoldenen Laub und verschwan- den so lautlos, wie sie gekommen.

Nun schritt ich durch die dunk-le Allee dem stillen Platz zu, den ein Brunnen krönt. Jener Brunnen! Ich befand mich im einzigen, original erhaltenen Teil des Gartens der Salome Alt von anno 1606. Und da war sie, die legendäre "Badende". Sie sitzt auf dem Brunnenrand, die Fußspitze senkt sich dem Wasser entgegen. Die Kinderaugen träumen ins Weite. Schön war sie, doch glücklich nur, solange ihre Verbindung mit Wolf Dietrich von Raitenau währte, alles in allem rund zwanzig Jahre. Der Erzbischof unterlag den Bayern im unseligen Krieg um die Salzhandelsrechte. Er wurde seiner Ämter enthoben und auf der Festung Hohensalzburg in entwürdigender Haft gehalten. Dort starb er um die Mittagszeit des 16. Januar 1617, gefürchtet und gehaßt von seinen Gegnern, aber geliebt von Salzburgs Bürgern. Und - als ginge es mit dem Teufel zu - je länger er tot war, um so größer wurde die Liebe. Wolf Dietrich und Salome - den beiden entkommt in der Stadt an der Salzach niemand.