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28.09.02 / Wiederaufbau: "Das Stadtschloß steht 2010"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28.September 2002


Wiederaufbau: "Das Stadtschloß steht 2010"
Wilhelm v. Boddien: Wer ist der Mann, dem Berlin seine neue, alte Mitte verdankt? - Ein Porträt

1991 stand er auf verlorenem Posten. Jetzt konnte v. Boddien nach über zehnjährigem Engagement den Sieg davontragen. Am 4. Juli hat der Bundestag beschlossen: Das Berliner Stadtschloß kehrt zurück - wenigstens seine Barockfassade.
von Natalie Gommert

Was ist über Wilhelm von Boddien nicht alles geschrieben worden: Er sei ein Spinner, Schloßgespenst, Chef der Schloßfälscherbande, hanseatischer Großbürger, der wie ein rheinischer Karnevalsprinz Optimus predige. Er wurde als Verführer bezeichnet, als charmante Mischung aus Hobbyist, Hansdampf und privatgelehrtem Parvenü. Er sei der gute Geist des Berliner Schlosses, ein begnadeter Anwalt für den Wiederaufbau, ein sanfter Prophet. Schloßbefürworter loben ihn in höchsten Tönen, und auch Schloßgegner zollen ihm mittlerweile Respekt.

Doch der begeisterte und begeisternde Schloß-Fan ist bescheiden geblieben. Hat nicht triumphiert, als am 4. Juli der Bundestag mit überragender Mehrheit (384 zu 133 Stimmen) beschloß, die barocke Fassade zu rekonstruieren. "Ein Triumph würde immer auf Kosten Dritter gehen", sagt der Unternehmer, der unentwegt für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses kämpft. Wobei kämpfen zu verbissen klingt für den eloquenten Hamburger, der mit Charme und guten Ideen dem Ziel, das große schwarze Loch in Berlins Mitte wieder zum Leben zu erwecken, näherkommt. Der Bundestagsbeschluß war für ihn nur ein Meilenstein. Ein wichtiger, der bei ihm "Dankbarkeit und Freude" ausgelöst hat und eine unglaubliche Herausforderung bedeutet: Die eigentliche Arbeit beginne erst jetzt.

Geld muß gesammelt werden, denn ohne wird es kein Schloß geben. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat ein Herz für den Barockbau und meint: "Wichtig ist, daß Boddien jetzt richtig zu wirbeln anfängt." Boddien, stets vorausschauend und um die nächsten Schritte wissend, hat damit längst begonnen und Vorbereitungen getroffen. 80 Millionen Euro müssen her - von privaten Spendern. Im vergangenen Jahr brachte ein symbolischer Aktientest vier Millionen Euro ein, nach dem Bundestagsvotum sammelte der Schloßeuphoriker (Boddien über Boddien) per Spendenaufruf 250.000 Euro. "Das Geld kriegen wir zusammen", ist sich Boddien sicher, von 80 Millionen Deutschen würden zehn Prozent spenden, zehn Euro pro Kopf würden reichen, rechnet er. Sagt's und erzählt von vier Lübecker Marzipantorten mit Schloß-Motiv, die er am Tag der Grundsteinlegung, die sich am 31. Juli zum 559. Mal jährte, versteigerte. Rund vierhundert Euro bekam er so nebenbei zusammen. Boddien hat den Kopf voller Ideen, wie er den Leuten Geld aus der Tasche locken kann. "Die werden mir geliefert, die sind nicht von mir."

Boddien, da können wohl alle Schloßfans beruhigt sein, wird das schon richten mit dem Wiederaufbau, und Schloßgegner sollten sich damit abfinden, daß 2010 der Schlüterbau wieder steht. Ein Detail sogar doppelt, denn das Staatsratsgebäude wird mitsamt historischem Portal bleiben. "Auch wenn ich unbändige Lust hätte, das Original ins Schloß zu bauen", scherzt Boddien, der immer mehr Menschen für die Sache mobilisiert hat.

Natürlich hat er das nicht allein geschafft. Aber ohne Boddien als Strippenzieher und Kommunikator wäre der Nachbau nicht in erreichbarer Nähe: Er rechnet mit zwei Jahren Planungsphase und vier bis fünf Jahren Bauzeit, bevor es zur Eröffnung ein großes Volksfest gibt. "Es wird ein unglaublich demokratisches Schloß", freut er sich schon jetzt.

Doch bis dahin ist noch viel zu tun. Die Gegner werden weiter attackieren, Boddien wird weiter wirbeln. Über Häme wird er sich nicht ärgern, bei Lobeshymnen nicht abheben. Boddien ist Taktiker und Stratege. Widersacher nimmt er ernst, behandelt sie mit Respekt: "Die Palastkämpfer verstehe ich, sie haben positive Erinnerungen." Nie würde er jemanden öffentlich beleidigen: "Ich will mir doch keine Feinde machen." Doch die Anti-Schloß-Thesen, die zerpflückt er. "Die Schlagwörter Disney-Land oder Fälschung sind so besoffen, darüber kann ich nur lachen", sagt er und erklärt, daß schon immer nachgebaut wurde: Das Brandenburger Tor - Vorbild Propyläen. Die königliche Bibliothek Unter den Linden - Vorbild war ein Entwurf für die Wiener Hofburg. Diese wurde schließlich doch gebaut, als die Bibliothek in Berlin stand und den Wienern so gut gefiel. Geschichten und Beispiele. Damit operiert Boddien gerne. "Fanatiker, die genauso verbohrt sind wie ich", versucht er in öffentlichen Veranstaltungen umzukrempeln. Pragmatiker kriegt er mit dem Argument, daß mit dem Bau ein Konjunkturprogramm für Berlin aufgelegt werde. Junge Leute hätten den ganzen Müll von 1933 und später nicht im Kopf, sie haben nur Sehnsucht nach Schönheit: "Damit packe ich sie."

Boddien antizipiert gerne, drei Schritte voraus will er stets sein: "Ich freue mich über jeden, der in die Gästebücher meines Vereins schreibt." So kenne er die Argumentationen. Etliche Skeptiker hat er schon umgestimmt, Sympathien gewonnen und Portemonnaies geöffnet.

Taktik. Und Netzwerk. Damit hat Boddien Erfolg. Am 23. März 1991 wurde die Gesellschaft zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gegründet, die sich vom kleinen Verein zur bundesweit tätigen Organisation mauserte und deren Vorsitzender Boddien ist. Und wenn er mal nicht weiterkommt? Dann helfe "Kismet", auch Schick- sal genannt. "Ich weiß manchmal nicht, ob Gott mich zieht oder schiebt", lächelt Boddien, aber er habe diese Macht oft erlebt. Zum Beispiel bei der Eröffnung der Schloßausstellung. Wer sollte die Rede halten, die überzeugt, fragte er sich, es fiel ihm niemand ein. Just zu dieser Zeit traf er Martin Sperlich, früherer Direktor der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlins. Der wetterte gegen einen geplanten Wiederaufbau. Aus kunsthistorischer Sicht absoluter Unsinn, schimpfte Sperlich. Aber wenn er die Augen schließe und sich vorstelle, das Schloß stünde da, und er öffnete sie wieder und es stünde tatsächlich da, wäre er der glücklichste Mensch. "Das war's, die Rede Sperlichs wurde ein voller Erfolg", so Boddien, unverbesserlicher Optimist, dessen Liebe zu Berlin früh begann.

19 Jahre war Boddien alt, als er die Teilung der Stadt hautnah miterlebte. An der Bernauer Straße. "Eine alte Berlinerin wollte aus dem Fenster in den Westsektor springen, Vopos und Volksmenge standen sich gegenüber, die Menge schrie: ‚Spring'", erinnerte sich Boddien. "Die Frau sprang, die Menge jubelte und überzog die Vopos mit Spott." Diese Szene hat Boddien berührt, Berlin hat ihn nicht mehr losgelassen.

Die Begeisterung fürs Schloß führt Boddien auf seine kunsthistorisch interessierte Mutter zurück, die dem Sprößling Kirchen und Schlösser zeigte und Stilarten erklärte. Er wollte sogar Architekt werden, gehorchte aber seinem Vater und übernahm den Landmaschinenhandel. Die Sprengungen der Ruinen erlebte er mit: "Die des Berliner Schlosses war besonders laut." 1961 widmete er diesem zwei Seiten in seinem Fotoalbum. Dann kamen die 750-Jahr-Feiern in Berlin. Boddien war 40. Und er wunderte sich, daß das Schloß nur am Rande erwähnt wurde. Obwohl es doch 500 Jahre lang Dreh- und Angelpunkt der Stadt war, gesellschaftlich wie architektonisch. Die Beschäftigung mit dem Bau war exklusiv, stellte er fest: "Interessierte sich ja offenbar niemand dafür." Das Exklusive gefiel ihm, er ging in Archive, sammelte Fotos. Lernte Margarete Kühn, Direktorin des Charlottenburger Schlosses sowie die Experten Lieselotte Wiesinger und Gerd Peschken kennen: "Von den dreien wurde ich mit Wissen vollgestopft." Drei Jahre ließ er sich "füttern", dann "kannte ich das Schloß so gut, daß ich darin spazierengehen konnte".

Nach dem Mauerfall ging er zunächst nach Potsdam, traf den dortigen Schlösserchef Hans-Joachim Giersberg. Boddien brachte Hamburger in die Stadt, "Potsdam in Trümmern" hießen die Touren: "Das Herz sollte denen bluten, damit sie Schecks rausrückten." Boddien lernte die Größen der Kunstszene kennen. "Kunsthistoriker Otto von Simson bot mir das Du an, ich fühlte mich", erzählt der Treckerverkäufer aus Bargteheide schmunzelnd. 1991 dann die Geburtsstunde des Schloßnetzwerkes: Publizist und Verleger Wolf Jobst Siedler, früherer FAZ-Herausgeber, und Historiker Joachim Fest, Otto von Simson und Boddien waren die Männer der ersten Stunde. "Ich als Spinner aus Hamburg sollte die Arbeit machen", so Boddien.

Der Durchbruch kam 1993 mit der Installation der Folienfassade in Originalgröße. Die Attrappe stand, und Frau von Weizsäcker sagte ihm, er sei ein Filou. Erst stelle er das Schloß hin. Man freue sich darüber. Dann nehme er es weg, und man bekäme Entzugserscheinungen. "Hoffentlich, und zwar so schlimme, daß sich alle das Original wünschen", war Boddiens Antwort.

Boddien freut sich über jede Initiative. Und auch den Potsdamer Stadtschloß-Verein betrachtete er nicht als Konkurrenz. "Potsdam hat es leichter, mit dem Landtag ist der Bau finanzierbar", sagt der Mann, der überlegt hat, ob er in einem früheren Leben Kastellan war. In seinem jetzigen ist er auch Familienvater. Seine fünf Kinder und seine Frau lächelten anfangs über seinen Spleen. Mittlerweile glauben auch sie an sein großes Ziel. Seine Frau hält ihm den Rücken frei. "Zu Hause kann ich mich sacken lassen", sagt Boddien. Und das ist gut, denn ansonsten könnte einem um den Mann, der ständig in Bewegung zu sein scheint, angst und bange werden. Er engagiert sich für den Wiederaufbau des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin Mitte und ist im Rotary-Club Berlin-Brandenburger Tor. "Die Hälfte der Mitglieder stammt aus dem Westen, die andere aus dem Osten", erklärt er, das Zusammenwachsen werde hier längst praktiziert. "Mit dem Schloß wird die Wiedervereinigung in der gesamten Bevölkerung möglich", ist Boddien überzeugt. Dann gebe es in Berlins Mitte wieder einen Ort, an dem sich alle Berliner treffen können, die Hauptstadt werde ein neues Kapitel aufschlagen, glaubt der Visionär.