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05.10.02 / Die Gesellschaft läßt sich pornographisieren

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. Oktober 2002


Wenn die letzten Hemmschwellen sinken: Dem Blößenwahn verfallen
Die Gesellschaft läßt sich pornographisieren
von Markus Spieker

Porno ist überall: Immer rasanter breitet sich an allen Ecken und Enden unseres Landes ein Phänomen aus, das bis vor gut 30 Jahren noch einer illegalen Halbwelt vorbehalten war: Pornographie. Fast permanent werden wir - vom Kleinkind bis zum Greis - in der Öffentlichkeit mit pornographischen Darstellungen konfrontiert. Der Zukunftsforscher Matthias Horx spricht von einer "Pornographisierung der Gesellschaft" und prophezeit eine Explosion des Pornokonsums per Internet.

Heftig boomt die Erotik auch auf dem Videomarkt. Allein in diesem Jahr erscheinen über 6.000 neue Produktionen. Die Aktien der Beate Uhse AG zählen zu den bestnotierten Wertpapieren. Weltweit werden die Einnahmen der Branche auf 50 Milliarden Euro geschätzt. In der Literaturszene heißen die neuen Spitzenverdiener Catherine Millet und Michel Houellebecq. In ihren Büchern "Das sexuelle Leben der Catherine M." und "Plattform" geht es vorwiegend um zweierlei: endlose Gruppensex-Orgien und zahllose Kopulationsvarianten. Pornos für Intellektuelle zeigt selbst der deutsch-französische Kultursender Arte, zuletzt den französischen Skandalfilm "Romance X". Erstmals in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens flimmerten hier unsimulierte Geschlechtsakte über den Schirm.

Jenseits aller Schamgrenzen senden sonst vor allem die Privatsender. Kabel 1 ("Der Sexanwalt") und Vox ("Liebesspiele Online") buhlen mit Zoten um Quoten. Und auf 9 Live und Onyx ziehen junge Frauen täglich ab Mitternacht blank. Vertiefende Informationen bietet der Videotext, der laut Süddeutscher Zeitung inzwischen "zum Tummelplatz der schlüpfrig-schmierigen Angebote geworden" ist. Hier werben Telefonsex-Veranstalter rund um die Uhr. Deutschland ist dem Blößenwahn verfallen.

Der stern, vormals Wegbereiter der medialen Freikörperkultur, klagt über die "Tyrannei der Nacktheit". Im ZDF-Nachtstudio diskutieren Zeitgeist-Experten über die "Pornographisierung der Gesellschaft".

Wahrscheinlich mußte es so kommen. Denn auch vor Moralfragen macht das kapitalistische Gesetz der "kreativen Zerstörung" nicht halt. Der Unterleib wird als gigantisches Bedürfniszentrum erschlossen. Hier sind die Ausbeutungspotentiale genauso wie die Abgründe der menschlichen Phantasie unerschöpflich. Denn: Wo die reale Beziehungsfähigkeit abnimmt, wächst zwangsläufig die Nachfrage nach virtuellem Sex.

30 Jahre hat die Pornoindustrie gebraucht, um ihr Schmuddel-Image loszuwerden. In den 70er Jahren liefen die ersten Sexfilme an, in denen "alles" gezeigt wurde - damals noch in schäbigen Rotlichtkinos. Den nächsten Popularisierungsschub brachte Anfang der 80er Jahre die Einführung des Videorekorders. Jetzt konnte man die "sündige Ware" in der Anonymität der eigenen vier Wände genießen. Seitdem floriert das Geschäft mit dem obszönen Ramsch. Heute werden zehnmal mehr Sexfilme als vor zehn Jahren produziert. Bei Herstellungskosten von ein paar tausend Euro sind die Gewinn- margen traumhaft. Auf dem deutschen Markt schürfen über 50 Firmen an dieser Goldader, mit kräftiger Unterstützung der "seriösen" Medien. Jahrelang sendeten die Privatsender Pro 7, RTL 2 und Vox pseudojournalistische Reportagen über den Drehalltag in der Triebfabrik und machten die Branche damit gesellschaftsfähig.

Noch bleibt freilich eine letzte Hemmschwelle. Nicht jeder brave Bürger möchte dabei beobachtet werden, wie er sich in das "Nur-für-Erwachsene"-Séparée seiner Videothek schleicht. Den Weg kann er sich allerdings sparen, wenn es demnächst "Videos auf Bestellung" gibt. Denn in spätestens acht Jahren ist die Medienlandschaft voll digitalisiert und jedes Fernsehgerät mit riesigen Filmbibliotheken vernetzt. Das heißt: Jede Menge Schweinkram kann jederzeit per Fernbedienung abgerufen werden. Im Internet lauern bereits rund 200.000 Sex-Anbieter auf lüsterne Kundschaft. Sie erzielen rund 70 Prozent der gesamten Internet-Verkaufserlöse. Bei Suchmaschinen ist der meistbenutzte Suchbegriff: Sex. Wer die drei Buch- staben eingibt, stößt auf ein Panoptikum der Perversitäten. Nichts, was es nicht gibt: Sex allein, zu zweit, zu zehnt, mit Kindern, Krüppeln, Kühen, Fetisch-Sex, Fäkalien-Sex, Folter-Sex. Es ist, als ob die inneren Dämonen der Menschen aus dem kollektiven Unterbewußtsein herausgetreten wären und sie nun, wie aus einem Spiegel, angrinsen, verlocken, versklaven.

Denn Pornographie macht süchtig. Nicht nur die unsittlichen Webseiten vermehren sich, sondern auch die Selbsthilfegruppen für Abhängige. Ehen gehen kaputt, weil Frauen nicht dem Porno-Ideal der unersättlichen Sexsklavin entsprechen wollen.

Immerhin gibt es für den Selbstschutz Filterprogramme, die automatisch den Zugang zu einschlägigen Webseiten sperren. Was in Deutschland fehlt, ist eine breite Zensurdebatte. Es gilt als "uncool", sich über den sexistischen Müll aufzuregen. Offenbar wirkt hier die langjährige "Aufklärungsarbeit" der privaten Medien. Dabei gibt es genug Anlaß zum Protest, auch im frei empfangbaren Fernsehen.

"Die Beischlafszenen, die heute zur allerbesten Sendezeit über die Bildschirme flimmern", wunderte sich unlängst Die Welt, "hätten noch vor einer Generation ganze Heerscharen christlicher Sittenwächter und freiwilliger Selbstzensoren mobilisiert." Die heben heute vielleicht entrüstet die Augenbrauen oder ziehen angewidert eine Schnute. Aber bleiben stumm. Die Kirchen sind, wenn es nicht gerade um Jugendschutz geht, auf Tauchstation.

Anders in den USA. Dort ruft die kulturelle Umweltverschmutzung ständig neue Anti-Porno-Lobbygruppen auf den Plan: "Genug ist genug", "Besorgte Frauen für Amerika", "Moral in den Medien", "Amerikanische Familien-Vereinigung". Sie können bereits einige Achtungserfolge vorweisen: Das Internet-Unternehmen "Yahoo" hat als Reaktion auf 100.000 Beschwerdebriefe sein Erotikportal geschlossen. Die Kreditkartenfirma "American Express" weigert sich neuerdings, den Internet-Zahlungsverkehr für Pornohändler abzuwickeln. Und die größte Videoverleih-Kette "Blockbuster" hat Pornofilme ganz aus ihrem Sortiment gestrichen. Es geht also doch ...

In Deutschland stehen wir kurz vor dem nächsten Dammbruch. Noch ist harte Pornographie im Fernsehen verboten. Geschlechtsorgane dürfen nicht in Großaufnahme und schon gar nicht in voller Aktion gezeigt werden.

Der Geschäftsführer von Beate Uhse-TV, das im Digital-Angebot von Premiere World läuft, jammert: "Wir müssen uns von unseren Zuschauern ständig fragen lassen, warum wir so ein Kindergartenprogramm zeigen." Der Druck auf die Landesmedienanstalt wächst. Nur durch freizü- gige Erotik, so argumentieren Branchenexperten, können Bezahlprogramme wie Premiere endlich in die Gewinnzone rutschen.

Vollendete "nackte" Tatsachen geschaffen hat bereits der Kabelnetzbetreiber Primacom, der in Sachsen rund 100.000 Haushalte versorgt - unter anderem mit expliziten Sexfilmen zur nächtlichen Stunde.