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05.10.02 / Gedanken zur Zeit: Mit der Angst allein

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. Oktober 2002


Gedanken zur Zeit: Mit der Angst allein
von Hans-Joachim v. Leesen

Im vergangenen Monat konnte man von drei von verschiedenen Auftraggebern veranlaßten Umfragen lesen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.

Da wurde zunächst in Hamburg die Studie "Frauen 2002 - Wünsche, Werte, Wirklichkeit" vorgestellt, entwickelt vom Emnid-Institut im Auftrag der Commerzbank. Nun dienen solche Befragungen und die Aufbereitung ihrer Ergebnisse in erster Linie dem Auftraggeber, doch gewähren sie auch einen Blick ins Innenleben der Deutschen.

An erster Stelle soll bei den Sehnsüchten der Frauen die finanzielle Unabhängigkeit bei der Lebensplanung stehen, erläuterten die Banker und freuten sich vermutlich darüber, daß offenbar die Finanzen alle anderen Werte beiseite gedrängt haben. Es sollen 94 Prozent der befragten Frauen sein, für die die finanzielle Unabhängigkeit das wichtigste Ziel ist. Dann erst kommen der Wunsch nach Kindern (88 Prozent) und der nach dem Mann fürs Leben (85 Prozent).

Frauen haben nach Aussage der Commerzbank - wie könnte es anders sein? - zunehmend Interesse an Geldanlagen. Für 47 Prozent ist das "Karrieremachen" ein sehr wichtiger oder wichtiger Aspekt. 53 Prozent antworteten, Beruf und Karriere spielten für sie eine genau so wichtige Rolle wie die Familie. Ein herber Schlag ist jedoch für das kurzzeitige Ban-kengeschäft: 43 Prozent der Frauen halten Mutterschaft und Familie immer noch für wichtiger als berufliche Ziele.

Das war die eine Umfrage.

Kurz vorher konnte man in Zeitungen lesen, im Rahmen der bundesweiten Kampagne "Mehr Respekt vor Kindern" hätten in Schleswig-Holstein der Kinder- und Jugendbeauftragte der Landesregierung (dessen Existenz ein weiterer Beleg für das wuchernde Beauftragtenwesen mancher Regierungen ist) und der Deutsche Kinderschutzbund Kinder und Jugendliche eingeladen, offen von ihren Sorgen und Problemen zu berichten. 300 Kinder hätten sich eingefunden.

Das für die fragenden Institutionen offenbar bestürzende Ergebnis: unsere Kinder haben viel mehr Sorgen, als die Umwelt wahrnimmt. Dankbar sei das Angebot zu einem offenen Gespräch von vielen angenommen worden. Dabei ging es um die Angst vieler Kinder, auf dem Schulweg geschlagen oder beraubt zu werden; verbreitet ist offenbar auch die Angst, in der Schule zu versagen. Der Drittkläßler einer Grundschule klagte, er müsse doch aufs Gymnasium, weil er sonst nichts im Leben werden könne; ein 15jähriger Realschüler hatte Angst, er könne wegen des ausgefallenen Chemie-Unterrichts keine weiterführende Schule besuchen und werde daher im Leben scheitern. Andere waren ratlos, welchen Beruf sie einmal ergreifen sollen; niemand habe ihnen bisher mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

Hinzu kommt dann noch die Angst vor Drogen, die offenbar in allen weiterführenden Schulen weitgehend offen angeboten werden. Und immer wieder stellte sich heraus, daß sich die 300 Kinder und Jugendlichen kaum an ihre Eltern wenden, weil sie von ihnen keine Hilfe erwarten. Sie setzen auf das Arbeitsamt, auf Lehrer und eben jetzt auf den Kinderschutzbund.

Die dritte Umfrage gibt Auskunft darüber, daß die Sechs- bis 13jährigen in Deutschland in diesem Jahr über 5,12 Milliarden Euro inklusive Taschengeld und Sparguthaben verfügen, wie die Untersuchung der Verlage Bauer, Axel Springer und Ehapa ergab. Die meisten lassen sich von ihren Eltern nicht vorschreiben, wofür sie ihr Geld verwenden. Am häufigsten geben sie es für Süßigkeiten, Eis sowie Zeitschriften aus. Sie haben ein ausgeprägtes Markenbewußtsein, d. h., sie sind willige Opfer der Werbung und meinen, es müßten bestimmte, meist teuere Ranzen, Rucksäcke und Taschen sein, die sie tragen, und natürlich Klamotten.

Manche Redakteure knüpften besorgte Kommentare an die Ergebnisse der Befragungen. So wurde gefragt, warum sich die Kinder und Jugendlichen mit ihren Sorgen nicht zu allererst an die Eltern wenden, das hieße traditionell in den meisten Fällen: an die Mutter.

Die Antwort geben die Befragungen. Wenn zwei Drittel der Frauen meinen, Partnerschaft sei in erster Linie dazu da, um zusammen Spaß zu haben und das Leben zu genießen, dann stören dabei Kinder mit ihren Sorgen. Man kauft sich frei, indem man den "Kids" Geld in die Hand steckt. Daß sie dann Opfer der Werbung nicht nur durch sinnlose Vergnügungen, sondern auch durch schädliche Genußmittel werden, interessiert nicht.

Wer finanzielle Unabhängigkeit, Beruf und Karriere in der Werteskala seines Lebens an die Spitze stellt, der gewinnt nicht das Vertrauen seiner Kinder. Fehlt aber den Kindern das Grundvertrauen, dann sind Fehlentwick-lungen vorgezeichnet - Fehlentwicklungen nicht nur der Kinder, sondern unserer gesamten Gemeinschaft. Darüber sind sich alle Anthropologen einig. "Das Glück der Familie ist das Wohl des Staates", steht am Rathaus von Zürich. Daher ist eine von ideologischer Verblendung freie Fami- lienpolitik das A und O einer Regierung. Sie hat bisher in der Bun-desrepublik einen viel zu niedrigen Stellenwert.