26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.10.02 / Neue Vorschläge zur Lösung der Königsberg-Frage

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Oktober 2002


Neue Vorschläge zur Lösung der Königsberg-Frage
EU-Kommission schlägt eine Art "Passierschein" vor - Rußland wirbt weiter für uneingeschränkte Visumfreiheit

Die EU-Kommission schlägt für die Bürger des Königsberger Gebiets, die regelmäßig zwischen der Exklave und Rußland pendeln müssen, die Einführung eines vereinfachten Transit-Dokumentes vor. Dies hat ihr Präsident Romani Prodi am Ende einer Sondersitzung des Gremiums auf einer Pressekonferenz mitgeteilt. Der Vorschlag sieht vor, daß die diplomatischen Vertretungen Polens und Litauens entweder kostenlos oder für einen minimalen Obolus allen jenen dieses Transit-Dokument anbieten, die auf einer von der russischen Regierung aufgestellten Liste stehen. Die Europäische Union würde sich gemäß dem Vorschlag ihrer Kommission verpflichten, nach dem Beitritt Litauens neben den juristischen auch die technischen Möglichkeiten für einen visumfreien Bahn-Transit nonstop zwischen Königsberg und Rußland zu prüfen.

Der Teufel steckt allerdings im Detail, wie der Königsberg-Beauftragte des russischen Präsidenten und Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses der Duma, Dmitrij Rogosin, zu Recht feststellte. So räumt der Kommissionsvorschlag zumindest der Regierung des Transitlandes Litauen das Recht ein, einzelnen Russen diese Art "Passierschein" zu verweigern. Ab 2005 würde der baltische Staat zusätzlich einen dem internationalen Standard entsprechenden Auslandspaß für die Einreise verlangen dürfen.

Rogosin sagte zu, daß seine Regierung den EU-Vorschlag Punkt für Punkt prüfen und in seiner Antwort dezidiert erklären werde, was sie zu akzeptieren bereit sei und was nicht. Seines Erachtens ist die Königsberg-Frage nicht technischer, sondern politischer Natur, was die EU-Kommission auch zugebe. Bezüglich der EU-Tagung in Kopenhagen am 11. November äußerte der Russe die Hoffnung, daß die Königsberg-Frage in die Tagesordnung aufgenommen werde.

Hinsichtlich des über den Vorschlag der EU-Kommission hinausgehenden Lösungsvorschlags des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der eine uneingeschränkte Visumfreiheit anstrebt, hatte bereits schon einige Tage vor der EU-Sondersitzung die russische Nachrichtenagentur "Wremeni MN" berichtet, daß er nicht nur von russischen Politikern, sondern auch von EU-Vertretern positiv aufgenommen worden sei. Die Agentur wagte sogar die Vermutung, daß die EU dem Vorschlag schon längst zugestimmt habe, dieses jedoch noch nicht offiziell zugeben wolle. Die Zustimmung gelte jedoch nur für den Transit in geschlossenen Zügen und unter der Bedingung, daß diese mit hoher Geschwindigkeit ohne Zwischenstopp fahren und in jedem Waggon ein litauischer Kontrollbeamter mitfährt, solange sich der Zug auf litauischem Staatsgebiet befindet.

Um den Befürchtungen der EU-Mitgliedsstaaten Rechnung zu tragen, daß deren Außengrenzen im Falle des gegenseitigen Verzichts auf die Visumpflicht für illegale Zuwanderer durchlässiger würden, schlägt Putins Königsberg-Beauftragter Rogosin eine zumindest mit Litauen zu schließende vertragliche Regelung über die Abschiebung jener unerwünschten Migranten vor, die aus Rußland eingereist sind. Damit die Russische Föderation dann nicht auf abgeschobenen Nicht-Russen aus der GUS sitzen bleibe, müsse das Land dann seinerseits seine Politik gegenüber illegalen Migranten aus den GUS-Nachbarländern verschärfen und mit diesen Staaten gleichfalls Abschiebeabkommen abschließen.

Wladimir Putins starkes Interesse an der von ihm vorgeschlagenen Visumfreiheit zwischen seinem Land und der EU kommt nicht von ungefähr. Zwar würde ein Visumzwang neue Arbeitsplätze beim Neubau, Ausbau und der Modernisierung von Grenzstellen schaffen, und zusätzliches Kontrollpersonal würde auch eingestellt werden müssen, doch verlören andererseits noch mehr Menschen ihre Arbeit. So gab Rogosin bekannt, daß etwa ein Drittel der Exklavenbewohner vom Handel mit Wodka, Zigaretten und Lebensmitteln in den Nachbarstaaten lebt. Von einer Durchlässigkeit der Grenzen profitieren auch die Königsberger Industrieunternehmen, die nach offiziellen Angaben zu 90 Prozent in privater Hand sind. Der Visumzwang würde für sie einen Verlust von über 1,5 Milliarden US-Dollar bedeuten. Über 700 Unternehmen, die hier nur erfolgreich tätig sind, weil das Gebiet einen Sonderstatus hat, wären vom Bankrott bedroht. Auch die große Zahl der in den Nachbarstaaten beschäftigten Pendler ist nicht zu vernachlässigen. So arbeitet zum Beispiel von den Einwohnern Tilsits die Hälfte in Litauen, wie umgekehrt viele Litauer im Königsberger Gebiet ihren Lebensunterhalt verdienen.

Zusätzliche ökonomische Belastungen durch einen Visumzwang könnte das Königsberger Gebiet jedoch nur schwer verkraften, befindet sich die Exklave doch selbst gegenüber Rußland chronisch im Rückstand. So liegt hier das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung 25 Prozent unter dem russischen und gar 50 Prozent unter dem der Nachbarstaaten Polen und Litauen. Dafür hat das Gebiet von allen Regionen der Russischen Föderation die höchste Kriminali-

tätsrate, die höchste Arbeitslosenzahl und die höchste Zahl an HIV-Infizierten.

Man kann dem russischen Präsidenten jedoch getrost unterstellen, daß er auch an seinen Gesamtstaat denkt, wenn er Vi- sumfreiheit fordert, denn ein offenkundiges Ziel seines Landes ist ein europäischer Binnenmarkt unter Einschluß der Russischen Föderation. So hofft denn auch die russische "Wremeni MN", daß das nördliche Ostpreußen durch die allmähliche Angleichung der örtlichen Gesetzgebung an EU-Standards eine Pilotfunktion für eine Integration in die Europäische Union erfüllen wird. Manuela Rosenthal-Kappi