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12.10.02 / Auf dem St. Johannisfriedhof in Nürnberg

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Oktober 2002


Stille - kein Schweigen
Auf dem St. Johannisfriedhof in Nürnberg
von Esther Knorr-Anders

Man könnte von ihm als "Rosenfriedhof" sprechen. Wohin man blickt, wachsen Rosenbäume auf den schmalen Durchlässen zwischen den einheitlich großen, liegenden, samt und sonders grauen Grabsteinen. Die Einheitlichkeit erklärt sich aus der Tatsache, daß eine auffallende Grabgestaltung nicht zulässig war. Keiner, auch nicht der angesehenste Verstorbene, sollte sich über seinen Nachbarn erheben. Doch unzählige Schalen mit Rosen zieren die schlichten Sandsteinplatten; Geranien, Sonnenblumen, Margeriten bilden Farbtupfer im Rosenrausch dieses ältesten Teils des St. Johannisfriedhofs.

Über 700 Jahre ist der Gottesacker alt, der aus drei kleineren Friedhöfen, dem einstigen Leprosenfriedhof, dem Pestfriedhof, dem Gemeindefriedhof von St. Johannis und dessen dörflicher Umgebung, zusammenwuchs. Viele Erweiterungen im Laufe der Jahrhunderte wurden erforderlich. In diesen später angelegten Teilen waren auch erhöhte oder stehende Grabmäler mit plastischen Darstellungen erlaubt. Durch das Riesenareal leitet ein Grabplan, der der Friedhofsbroschüre beiliegt.

"Es ist der stillste Ort Nürnbergs", wurde mir gesagt. Das trifft zweifellos zu. Wer die quirlige, weltberühmte Altstadt kennt, weiß Bescheid. Stille bedeutet aber nicht Schweigen. Die grauen Gräber mit ihren Inschriften, Wappen, Reliefbildnissen - unter diesen in feiner Ausführung das Antlitz des Malers Anselm Feuerbach, gestorben 1880 -, ferner Handwerkerzeichen und christliche Symbole erzählen die Geschichte vergangener Leben. Doch bei weitem nicht alle.

Die Broschüre von Illa Maron erläutert: "Auf vielen Grabsteinen ist seit Mitte des 16. Jahrhunderts nichts mehr vermerkt und die Steine verschweigen die Namen derer, die man hier begraben hat. Es ist die Eigenart dieses Friedhofs, der bis heute benützt wird, daß Generationen von Menschen verzichtet haben und verzichten, daß die Nachwelt ihre Namen findet." Eine Frühform der heutigen Anonymen Bestattung - aber auch diese Entscheidung spricht.

Deutliche, sogar humoristische Hinweise auf den ausgeübten Beruf liebte man auch. Ein sogenanntes "redendes Wappen" zeigt das Grab des Goldschmiedes Hans Bauch. Der Meister transportiert seinen Bauch auf einem Schubkarren. Das Bildepitaph eines Totengräbers weist Grabschaufel und Mondsichel auf. Die Ruhestätte des Zuckersieders Hans Sachs wird seit je für das Grab des Schuhmachers, Dichters und Meistersingers Hans Sachs gehalten, dieser aber ist mit Gewißheit nicht auf dem Johannisfriedhof beerdigt. Die Stadt ehrte ihn mit einem Denkmal vor dem Heilig-Geist-Spital.

Alle Bürger - egal ob reich oder arm - fanden in diesem bewußt klassenlos angelegten Totengarten ihre letzte Bleibe. Unter den vielen Berühmten, die bestattet liegen, wenden wir uns drei Künstlern, alle Ausnahmepersönlichkeiten, zu. Veit Stoß, Bildhauer und Bildschnitzer, gestorben 1533, ist der Schöpfer des "Engelsgrußes" in der Lorenzkirche. Das Kunstwerk hängt aus dem Sternrippengewölbe herab. Zwei Figuren, der Engel und Maria, grüßen aus einem mit sieben Medaillons geschmückten Kranz. Stoß, als "heilloser und unruhiger" Bürger verschrien, bereitete dem Stadtrat von Nürnberg eine Menge Verdruß. 1477 wanderte er nach Krakau aus. Für die dortige Marienkirche schuf er den Hochaltar und für König Kasimir IV. das Grabmal im Krakauer Dom. Als finanziell Vermögender kehrte er 1496 nach Nürnberg zurück. Angesichts seines Reichtums ist es unverständlich, daß ihm wegen Wechselfälschung am 4. Dezember 1503 öffentlich beide Wangen durchbrannt wurden. Die Nürnberger Strafen waren zu damaliger Zeit grausam. Daß nach der Brandmarkung der Engelsgruß-Auftrag des Patriziers Anton Tucher an ihn erfolgte, beweist die Geisteshaltung einer Bevölkerung, die für nachtragendes Verhalten ungern Zeit vergeudete.

Außergewöhnlich verhielt sich auch der Rechtswissenschaftler, Schriftsteller und Senator Willibald Pirckheimer. Seine sterblichen Reste fanden 1530 in der Nähe seines Freundes Albrecht Dürer auf dem "Rosenfriedhof" Ruhe. Als ebenso geistvoller wie streitbarer Humanist war er Parteigänger der Reformation, doch sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn ließ ihn bald feststellen, daß die "evangelischen Buben" nicht sittenreiner als die katholischen handelten. Allerdings mußte er selbst den Vorwurf des Senats entgegennehmen, "frommen Frauen und Jungfrauen ein schwerer merklicher Ehrabschneider" zu sein und sich "viel böser sündlicher Handlungen öffentlich berühmet" zu haben. Freund Dürer schrieb ihm, "er solle sich tagelang schämen". Ob Pirckheimer sich schämte, ist nicht bekannt. Bekannt aber wurde seine köstlich-unverschämte Satire über die Luxuskrankheit Podagra, "Lob der Gicht".

Das "Albrecht-Dürer-Haus", nach dem Zweiten Weltkrieg restauriert und ausgebaut, ist heute Museum und Gedenkstätte. Nürnbergs Genie bewohnte es von 1509 bis zu seinem Tod. Verehrt von aller Welt wurde Dürer stets. Kurfürsten, Könige, Kaiser huldigten ihm, rissen sich um seine Werke. Doch abgesehen von Dürers Hochbegabung muß ihm eine Wesensausstrahlung eigen gewesen sein, die ihn hinreißend machte. Überliefert ist, daß er sich wie ein Kind zu freuen vermochte, sich an Scherzen begeisterte, stets offen, freigebig und niemals prüde war.

Über den plötzlichen Tod Dürers war nicht nur Freund Pirck-heimer entsetzt; er verfaßte die lateinische Inschrift für den Grabstein, die übersetzt lautet: "Was an Albrecht Dürer sterblich gewesen, ist unter diesem Stein beigesetzt." Am 8. April 1528 war er an den Folgen einer Malaria gestorben, die er sich auf einer Reise durch die Sumpfgebiete der niederländischen Küste geholt hatte.

Sein Leichnam wurde in der Familiengruft seiner Frau Agnes Frey bestattet. Nach deren Tod fiel das Grab an das Johannes-Spital zur Weiternutzung zurück. Das heißt, die Ruhestätte wurde zum "Aushub" freigegeben. Später wurden darin Pfründner und Künstler beigesetzt, die sich keine eigene Grablege hätten leisten können. Das Dürersche Grab mit der Originalplatte, die so viele fremde Gebeine schützte, wird vom Duft der Rosenbäume umweht. Sein Hauptwerk, die "Vier Apostel", hatte Dürer seiner Heimatstadt geschenkt.

Eine Kirche, eine Kapelle und das "Steinschreiberhaus" sind die einzigen Bauwerke innerhalb des Friedhofs. Das "Steinschreiberhaus" - der Name verrät es - diente als Arbeitsstätte der Steinmetze. Sie beschliffen die Grabplatten und meißelten, "schrieben", die Namen, Epitaphien und Wappen der Verstorbenen auf und in den Stein.

Als der gegossene Plattenschmuck vorherrschend wurde, übernahmen diese Arbeit die Gießhütten anstelle der Steinmetze, die aber deshalb bis heute nicht überflüssig wurden. Ihre ehemalige Arbeitsstelle, das "Steinschreiberhaus", wurde Sitz der Friedhofsverwaltung.

Die 1395 erstmals urkundlich erwähnte Stephans-Kapelle wurde anno 1523 Begräbnisstätte der Patrizierfamilie Holzschuher und trägt seither den Namen "Holzschuher-Kapelle". Äußerlich ein unauffälliger Rundbau, birgt sie im Innern ein prachtvolles Netzgewölbe und eine Kostbarkeit: das letzte Werk des Nürnberger Bildhauers Adam Kraft von 1507/08: "Grablegung Christi". Der wenig später verstorbene Kraft ließ sich auf dem Friedhof bei der Lorenzkirche beerdigen.

Die aus rötlichem Sandstein errichtete St. Johanniskirche wacht seit dem 13. Jahrhundert über den Friedhof. Als einzige der historischen Kirchen Nürnbergs blieb sie bei der Bombardierung der Stadt unversehrt. Das erlaubt, die edle Innengestaltung, Altäre, Gemälde, Skulpturen original zu bewundern.

Verläßt man das Gotteshaus, gleitet der Blick noch einmal über den "Rosengarten" mit den grauen Gräbern. Stille - aber kein Schweigen.

 

St. Johannisfriedhof in Nürnberg: Überall wachsen Rosenbäume auf den schmalen Durchlässen zwischen den grauen Grabsteinen Fotos (2): Christine Dierenbach / Stadt Nürnberg Presseamt

Veit Stoß: Der Englische Gruß (Ausschnitt Verkündigungsgruppe) in der Kirche St. Lorenz zu Nürnberg. Der Bildhauer und Bildschnitzer fertigte dieses Kunstwerk im Auftrag des Patriziers Anton Tucher; es entstand 1518. Stoß liegt wie Dürer, der das Werk vor der Bezahlung begutachten mußte, auf dem Friedhof St. Johannis begraben

Anselm Feuerbach: Das Reliefbildnis auf der Grabplatte zeigt das Antlitz des 1880 gestorbenen Malers