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19.10.02 / Eva Hönick macht sich Gedanken über die Zeit

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Oktober 2002


Den Augenblick genießen
Eva Hönick macht sich Gedanken über die Zeit

Das Leben währet 70 Jahre." Heute währt es allerdings meist länger. Aber jeder weiß: "Eine kurze Spanne Zeit ist uns zugemessen." Der dahinrasende Sekundenzeiger der Uhr kann einem manchmal Angst machen, indem er mahnt, den Augenblick zu nutzen, der so schnell vergeht. Die Lebenszeit jedes Menschen ist begrenzt und daher kostbar. Anderen Menschen Zeit zu widmen, ist darum ein wertvolles Geschenk. Ein Sprichwort sagt: "Das Wasser rinnt ins Meer zurück, doch kehrt zurück kein Augenblick."

Man sollte in der Gegenwart leben, nicht dem Vergangenen nachhängen, nicht die Zukunft herbeisehnen sondern das Heute voll ausschöpfen, um die Erlebnisfähigkeit zu schulen und dadurch reif zu werden für die nächste Lebensstufe. Die Erlebnisfähigkeit des heutigen Menschen hält sowieso nicht Schritt mit seinem enormen Erlebnishunger. Denn nicht wer dauernd neue Erlebniswünsche und Erlebnisse hat, sondern wer die Fähigkeit besitzt, den Augenblick zu genießen, ist ein glücklicher Mensch.

Es gibt Erlebnisse im Leben, da möchte man mit Goethe zum Augenblick sagen "verweile doch, du bist so schön!" Wer etwa einen überwältigenden Sonnenaufgang oder -untergang auf einem Dreitausender erlebt hat, möchte diese Augenblicke mit allen Fasern seines Seins festhalten und vergißt sie niemals. Oder wer einen über und über blühenden Baum an seinem schönsten Tag in der Sonne sieht, kann sich von diesem Anblick kaum losreißen. Solche Augenblicke sammelt man wie einen Schatz von Edelsteinen als Herzensreichtümer. Schiller sagt: "Es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo er dem Weltgeist näher ist als sonst." Das gilt für den gläubigen wie für den ungläubigen Menschen. Solche erfüllte Augenblicke sind Teil unserer Lebenszeit, die uns gegeben ist, die man andererseits auch vergeuden, totschlagen oder vertreiben kann.

Ein Lebenskünstler ist, wer die großen und die kleinen Dinge des Lebens im richtigen Augenblick tut. Wie viele Menschen scheitern immer wieder, weil sie alles im falschen Augenblick anfangen. Es gehört schon Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen dazu, die Stimmung eines anderen Menschen, seine Aufgeschlossenheit, sein Mitteilungsvermögen, sein Bedürfnis nach Ruhe oder Gedankenseiltanz, kurz seinen Seelenzustand gerade im gegenwärtigen Augenblick zu erfühlen. Wer das nicht gelernt hat, wird ein ewiger Pechvogel bleiben.

Dem Menschen, der nach einem Unglück jammert: "Was soll ich jetzt tun?", sollte man sagen: "Das Nächstliegende." Wer die Forderungen des Augenblicks erfüllt, hat zum Schluß ein erfülltes Leben. Goethe läßt Mephisto im Faust sagen: "Wer den Augenblick ergreift, das ist der rechte Mann."

Aber erfüllte Augenblicke, erfülltes Leben sind nicht zum Nulltarif zu haben. Es gehört schon Disziplin dazu. Viele Menschen haben Depressionen, weil sie spüren, daß sie ungelebte Möglichkeiten haben verstreichen lassen. Darum: Nimm dir Zeit für dich, lebe im Heute - ohne Angst. Man kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.