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19.10.02 / Die Marienburg erlebte in ihrer 730jährigen Geschichte viele Höhen und Tiefen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Oktober 2002


Geburtstag: "An der Nogat grünen Wiesen"
Die Marienburg erlebte in ihrer 730jährigen Geschichte viele Höhen und Tiefen
von Rüdiger Ruhnau

Es gab einmal eine Zeit, da hatten die Deutschen ihre große Vergangenheit vergessen. Erst die romantische Strömung des 19. Jahrhunderts erweckte wieder die Erinnerung an den Glanz der mittelalterlichen Welt. Fast unglaublich erscheint es uns heute, daß der Kölner Dom nahezu vier Jahrhunderte unvollendet dastand und erst in der Romantik zu Ende gebaut wurde.

Auch für die Marienburg standen die Zeichen schon auf Abbruch. Während des 18. Jahrhunderts diente das verstümmelte Schloß der preußischen Militärverwaltung als Kaserne und Getreidemagazin. Oberbaurat D. Gilly hatte sogar den Vorschlag gemacht, das Mittelschloß ganz abzubrechen, um aus den Ziegeln ein neues Gebäude zu errichten. Da erschien im Jahre 1803 ein aufrüttelnder Aufsatz des Dichters Max von Schenkendorf gegen die fortschreitende Zerstörung der Marienburg: "Wer sehen will und kann, der rette bald, denn Eile ist nötig." Max von Schenkendorfs Worte fanden Gehör. In einer Kabinettsorder befahl König Friedrich Wilhelm III., daß für die Erhaltung der Burg alle Anstrengungen unternommen werden sollen. Um nun auch die Öffentlichkeit wachzurütteln, erschien von Friedrich Frick, basierend auf Zeichnungen von Fried-rich Gilly, ein prachtvolles Kupferstichwerk, das die Schloßansichten als frühe Hochleistungen deutscher Baukunst dokumentierte.

Zwar hatte der Befreiungskrieg die vaterländische Gesinnung der Bevölkerung stark beflügelt, jedoch verhinderte das all-gemeine Elend zunächst die Wiederherstellungsarbeiten an dem Nogatschloß. Erst der Tatkraft Theodor von Schöns war es dann zu verdanken, daß schließlich die notwendigen Voraussetzungen für den Wiederaufbau des Schlosses geschaffen werden konnten. Theodor von Schön, im Kreis Tilsit geboren, 1816 zum Oberpräsidenten der neugebildeten Provinz Westpreußen berufen, erkannte klar die geschichts-trächtige Bedeutung des Deutschordensschlosses. Von tiefer Heimatliebe durchdrungen schrieb er an den Historiker Johann Gustav Droysen: "Die Marienburg ist eine große Tragödie in architektonischer Form ..." Der Oberpräsident sah in der Marienburg die Einheit des alten Deutschordenslandes verkörpert, folgerichtig trat er immer wieder für die Vereinigung Ost- und Westpreußens zu einer Provinz ein, die unter seiner Leitung auch bald Wirklichkeit wurde.

Mit Theodor von Schöns Amtsantritt begannen die Herstellungsarbeiten am Mittelschloß. Geschickt verstand er es, die romantischen Neigungen des Kronprinzen auf das Schloß zu lenken und darüber hinaus auch alle Schichten der Bevölkerung von der patriotischen Aufgabe zu überzeugen, am Gemeinschaftswerk der Wiederherstellung mitzuwirken. Beispielsweise fielen in den ersten zwei Jahren 48.000 Fuhren Schutt an, die ausnahmslos von den benachbarten Einwohnern freiwillig, ohne Bezahlung, fortgeschafft wurden.

Für die architektonisch-künstlerischen Aufgaben der Restaurierung konnte Karl Friedrich Schinkel zur Mithilfe gewonnen werden, der wie kein anderer die preußische Kunst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmt hat. Mehrere Jahrzehnte begleitete Schinkel die Arbeiten an der Marienburg mit seinen Ratschlägen. Seine Entwürfe für die Glasmalereien des Großen Remters verschönten die Innenausstattung des Mittelschlosses. Die Geschäftsverwaltung des Wiederherstellungswerkes dagegen übernahm Joseph Freiherr von Eichendorff, der seit 1821 als preußischer Regierungsrat in Danzig wirkte. Der Freiherr war mit von Schön freundschaftlich verbunden. So verfaßte er auf dessen Wunsch hin 1844 die berühmte Schrift "Die Wiederherstellung des Schlosses der deutschen Ordensritter zu Marienburg".

In der ersten Wiederherstellungsphase, die bis 1856 dauerte, wurde im wesentlichen der Hochmeisterpalast mit dem kleinen Remter rekonstruiert. Die Arbeiten von 1847 bis 1854 nahmen sich des Mittelschlosses an, das im 14. Jahrhundert als Sitz der Ordensregierung errichtet worden war. Der berühmte Giebel der Firmarie (Hospital), eines der kostbarsten Teile des Mittelschlosses, hatte erstaunlicherweise alle Zeitwirren weitgehend überstanden. Mit dem jungen Regierungsbaumeister Conrad Steinbrecht begann 1882 eine zweite Wiederherstellungsphase, in der nach gründlichen archäologischen und archivarischen Studien eine sorgfältige Rekonstruktion des ursprünglichen Schloß- zustandes erfolgte. In vier Jahrzehnten vollendete Steinbrecht nach und nach den gesamten Schloßkomplex, er stattete auch die Räume mit Malereien, Wandvertäfelungen und alten Einrichtungsgegenständen aus. Sein Nachfolger wurde Oberbaurat Dr. Bernhard Schmid (1872-1947), der insbesondere die alten Wehranlagen wieder herstellte und die wissenschaftliche Erforschung sowohl der Marienburg als auch der übrigen Deutschordensbauten im Preußenland intensivierte. Ziel der Marienburgarbeit war es, ein Bild der eigenständigen Kultur, die der Deutsche Orden aus dem Nichts geschaffen hatte, zu zeichnen und damit für alle Deutschen eine vaterländische Gedenkstätte zu schaffen.

Bis in die vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts belebten Scharen von Besuchern die wiedererstandenen Bauten. Für Konzerte, Versammlungen, Festaufführungen und andere Veranstaltungen bediente man sich gerne der historischen Kulisse der Schloßanlagen. So 1933, als im Rahmen der Marienburgfestspiele, unter der künstlerischen Leitung von Hermann Merz, die Uraufführung von Max Halbes neuestem Werk "Heinrich von Plauen" stattfand. Oder die Ver- leihung des Ehrenringes deutscher Dichter an Agnes Miegel. Ein Ereignis aus dem Jahre 1940 soll hier ausführlicher erwähnt werden, nämlich die Feier zur Heimholung der Fahnen des Deutschen Ordens von der Burg Krakau in die Marienburg des damaligen Reichsgaues Danzig-Westpreußen.

In der Schlacht bei Tannenberg, 1410, rückten die Fähnlein des deutschen Ritterordens, wie im Mittelalter üblich, mit Wimpeln und Feldbannern in die Schlacht. Gegen die polnisch-litauisch-tatarischen Heerscharen erlitt das Ordensheer eine schwere Niederlage. Der Hochmeister Ulrich von Jungingen und mit ihm die obersten Ordensführer fielen auf dem Schlachtfeld, 51 Feldzeichen gingen verloren. Die erbeuteten Fahnen ließ der Polenkönig Jagiello nach Krakau bringen und in der Stanislauskapelle auf dem Wawel zur Schau stellen. Der Krakauer Domherr Jan Dlugosz, besorgt um den Zerfall der Fahnen, ließ sie mit Beschreibung auf Pergament abmalen, um die Erinnerung an die Niederlage des Ordens zu verewigen. Tatsächlich waren schon nach etwa 200 Jahren die Originalfahnen zu Staub zerfallen. Das Kolossalgemälde "Die Schlacht bei Grunwald" von dem Historienmaler Matejko brachte das Aussehen der Ordensfahnen einer breiten Öffentlichkeit wieder zur Kenntnis.

Vermutlich gegen 1927 ließ der polnische Staat nach der Originalhandschrift von Dlugosz "Banderia Prutenorum" Nachbildungen anfertigen, die auf der Weltausstellung in New York zu sehen waren. Von den 51 Ordensfahnen wurden von den Deutschen nach ihrem Einmarsch in Polen 18 auf Seide gemalte gute Nacharbeitungen auf der Krakauer Burg vorgefunden. Gründe für die Auswahl der 18 Ordensbanner sind nicht bekannt. Es befanden sich darunter das große Banner des Hochmeisters, ein schwarzes Kreuz mit goldenem Mittelstreifen, darauf ein Wappenschild mit dem schwarzen Reichsadler auf goldenem Grunde, das vom Großmarschall des Ordens Friedrich Wallenrod geführte gezackte Banner des Ordens mit einfachem Kreuz auf weißem Grunde, das einen roten Greifen zeigende Banner des Herzogs Kasimir von Stolp, das von ihm selber in die Schlacht geführt worden war, das Banner des Herzogs Konrad von Öls mit dem schwarzen Adler auf gelbem Grund, unter dem Soldaten aus dem Herzogtum Breslau und Schlesien kämpften, das einen von zwei Bischofsstäben flankierten gelben Adler mit Heiligenschein auf rotem Grunde zeigende Banner des Bischofs von Pomesanien, das Marquard von Riesenburg geführt hatte, das im Oberteil eine rote Krone auf weißem Felde und unten ein weißes Kreuz im roten Felde zeigende Banner der Altstadt Königsberg, das der Bürgermeister der Stadt geführt hatte, sowie das zwei weiße Kreuze auf rotem Grunde zeigende Banner des Komturs von Danzig.

Am 19. Mai 1940 wurden im Großen Remter der Marienburg in einer Feierstunde die im Wawel zu Krakau aufbewahrten Feldzeichen des Ordens - das heißt die in Polen angefertigten Nachbildungen - der Obhut des Landrates des Kreises Marienburg Neufeld übergeben. Im selben Remter des Hochmeisters hatten 1772 die westpreußischen Stände dem großen Preußenkönig gehuldigt. Der herrliche Raum, dessen reichgeteiltes Strahlgewölbe drei schlanke Mittelsäulen tragen, ist ohne Vorbild im deutschen Mutterlande geschaffen worden. Im 14. Jahrhundert bewirtete der Orden dort seine Kreuzzugsgäste. Heute ist dieser größte Profanbau der Deutschordensarchitektur, der zu den schönsten des Mittelalters zählte, wegen statischer Probleme fürs erste nicht zugänglich.

Die Kriegsereignisse von 1945 richteten auf der bis Mitte März umkämpften Marienburg große Zerstörungen an. Die Schloßkirche mit der riesigen Marienfigur an der Außenfront wurde verwüstet, die meisten Dächer abgedeckt, nur die dicken Mauern hielten der Bombardierung einigermaßen stand. Die russischen Eroberer vernichteten oder verschleppten die wertvolle Inneneinrichtung, darunter Museumsbestände mitsamt der wissen-

schaftlichen Bibliothek. Der weitgehend auf Kosten Deutschlands wiedererstandene polnische Staat zauderte lange, wie er mit dem deutschen Erbe umgehen sollte. Schließlich galten Preußen und der Deutsche Orden schon immer als Hauptfeinde des Polentums, obwohl seinerzeit Herzog Konrad von Masowien den Ritterorden zur Hilfe gegen die heidnischen Prussen ins Land gerufen hatte. Immerhin widmete man der kolossalen Anlage die notwendigste Pflege, um Einsturzgefahren und Witterungsschäden möglichst zu verhindern. 14 Jahre nach Kriegs-ende breitete sich ein Großbrand auf dem Schloßgelände aus, vermutlich durch Brandstiftung ausgelöst. Die hierbei aufgetretenen Schäden sollen die Zerstörungen der Bausubstanz von 1945 noch übertroffen haben. Endlich erkannten die staatlichen Stellen, wie achtlos man lange mit dem großartigen Werk deutscher und europäischer Geschichte umgegangen war, und schließlich siegte auch die ökonomisch vernünftige Idee, die alte Deutschordensburg als Touristenattraktion zu vermarkten.

Nachdem fast alles, getreu dem Steinbrechtschen Konzept, wiederhergestellt worden ist, wartet nun immer noch die Schloßkirche auf ihre Erneuerung. Wird man sich für eine totale Rekonstruktion entscheiden oder soll der heutige fragmentale Zustand der Kirche konserviert werden, sozusagen als immerwährendes Memento gegen menschliche Unvernunft? Ein internationaler wissenschaftlicher Beirat soll zur Beratung herangezogen werden. Man kann nur wünschen, daß der sakrale Raum mit seiner figuralen Ausstattung in ursprünglicher Form wieder entsteht. Das Schicksal der Marienburg war sowohl mit der Blüte Preußens als auch mit seiner Niederlage verknüpft. Keine Nation kann die großen Ereignisse seiner Geschichte einfach abstreifen, sogar heroische Niederlagen können noch den Anlaß zur Mythenbildung geben.

Polen hat die Marienburg niemals erobert, Landsknechte im Solde des Ritterordens, die der Deutsche Orden nicht mehr bezahlen konnte, hatten damals die Burg an den Polenkönig verschachert. Später mußten sich die polnischen Burgbesatzungen mehrmals den Schweden ergeben und zweimal, 1734 und 1758 bis 1763, kapitulierten sie vor den Russen. Erinnert sei auch daran, daß der deutsche Kurfürst von Sachsen Friedrich August I., als König August II. von Polen, 1703 in dem Marienburger Schloß residierte. In der 1955 im Holzner-Verlag erschienenen Baugeschichte "Die Marienburg", verfaßt von Schloßbaumeister Bernhard Schmid, stehen als Schlußsatz die prophetischen Worte: "Wenn Deutschland einst wiederersteht, wird die Marienburg ihm folgen."

 

Die Westseite: Vor den Kämpfen von 1945, bei denen die Schloßkirche verwüstet und die meisten Dächer abgedeckt wurden