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26.10.02 / Gedanken zur Zeit: Das Bewahren der Sprache

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Oktober 2002


Gedanken zur Zeit: Das Bewahren der Sprache
von Wilfried Böhm

In mancherlei Hinsicht weist die Verleihung des Jacob-Grimm-Preises an die Gattin des russischen Präsidenten Putin in die europäische Zukunft. Die 800 Gäste der festlichen Veranstaltung des "Vereins Deutsche Sprache e.V." vernahmen in Kassel unüberhörbar den Wunsch der Präsidentengattin, die Zusammenarbeit nicht nur in dem von ihr gemeinsam mit Frau Schröder-Köpf, der Frau des deutschen Bundeskanzlers, begonnenen Jugendforum "Gemeinsam ins XXI. Jahrhundert" fortzusetzen. Vielmehr gelte es, die Kenntnisse von Kultur und Sprache "der zwei größten europäischen Länder" in jeder Hinsicht zu vertiefen. Die Pflege der deutschen Sprache in Rußland und der russischen Sprache in Deutschland seien eine reiche Quelle für die Entwicklung der Beziehungen auf allen Ebenen, sagte die Präsidentengattin.

In der Tat haben Russen und Deutsche das gemeinsame Interesse, ihre eigenen Sprachen zu bewahren und deutlich zu machen, daß Englisch zwar zur weltweiten Zweitsprache geworden ist, aber als solche neben und nicht über der Muttersprache zu stehen hat und diese nicht ersetzen oder mit sogenannten Anglizismen zerstören darf.

Anglo-amerikanische Marktstrategen kennen die Bedeutung der Sprache für wirtschaftliche und politische Zwecke ganz genau und huldigen dem Leitsatz: "Zwinge den Partner, deine Sprache zu lernen, das kostet ihn Zeit und Energie und Du wirst ihm überlegen sein, weil Du Deine Sprache immer besser sprechen wirst als er." Es ist kein Zufall, daß in Deutschland Waren und Dienstleistungen nicht nur von ausländischen Unternehmen, sondern auch von deutschen in englischer Sprache oder in einer Art von Pidgindeutsch, auch "Denglisch" genannt, angeboten werden, das den Charakter einer Kolonialsprache hat.

So werden die Kunden gezwungen, die fremdsprachlichen Ausdrücke zu übernehmen und sich von ihrer Muttersprache zu entfremden. Wenn Gebrauchsanweisungen und Beipackzettel in Englisch gehalten sind, hat dieser Vorgang über die kulturelle Unterwürfigkeit hinaus wirtschaftliche und soziale Folgen, die in der Benachteiligung derjenigen liegen, die keine oder nur geringe Englischkenntnisse haben. Auf diese Weise entsteht eine Wissenskluft, die nach der Politik der 16 deutschen Kultusminister mit immer früherem Englischunterricht bis in den Kindergarten hinein geschlossen werden soll. Das führt dazu, daß Grundschul-, Vorschul- und Kindergartenkinder eine fremde Sprache erlernen müssen, noch bevor sie ihre deutsche Muttersprache richtig schreiben und lesen können.

Sofern anglo-amerikanische Marktstrategien im Spiel sind, kann man deren Urhebern im System einer weltweiten ökonomischen Vernetzung ihre Methoden zur sprachlichen Anglisierung nicht einmal verübeln. Ein Skandal hingegen ist es, wenn von den deutschen Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft diese Entwicklungen nicht nur hingenommen, sondern als Ausdruck "globaler Vernetzung" sogar geför- dert werden.

Deutsch ist das Kommunikationsmittel der größten Sprachgemeinschaft mit 90 Millionen Menschen in Europa. Im Zentrum des Kontinents hat es größte Verbreitung und grenzt an 14 andere Sprachgebiete, was Sprachkontakte menschlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art in großem Umfang mit sich bringt. Deutsch hat als Sprache daher eine große europäische Aufgabe wahrzunehmen, ist es doch in weiten Teilen des östlichen und südöstlichen Europa die "Sprache der Freiheit", auch wenn das viele Deutsche selbst gar nicht wahrhaben wollen und statt dessen dort in englischer Sprache auftreten oder das radebrechen, was sie dafür halten.

Deutsch sollte entsprechend seiner europäischen Bedeutung in der Europäischen Union die gleiche Bedeutung wie Englisch und Französisch erhalten, und zwar nicht nur formal, sondern auch praktisch und als sachlich gebotene Voraussetzung für die deutsche Mitwirkung bei der Osterweiterung. Auch im Europarat sollte entsprechend den europäischen Realitäten Deutsch volle Amtssprache werden, und zwar gleichzeitig mit Russisch, um dem Charakter des Europarates als einer gesamteuropäischen Institution gerecht zu werden.

Der Jacob-Grimm-Preis für Frau Putina hat solche Notwendigkeiten und Chancen für die europäische Zukunft sichtbar gemacht. Allerdings haben die Verantwortlichen in Staat, Politik, Wirtschaft und Medien Deutschlands einen riesengroßen Nachholbedarf, wenn sie die deutsche Sprache so entschlossen verteidigen wollen, wie es viele Franzosen, Polen und Russen in ihren Ländern mit ihren Sprachen tun und wie es die Bürgerinitiative "Verein Deutsche Sprache e.V." in Deutschland in verdienstvoller Weise auf sich genommen hat.

Wenn Frau Putina die Sprache als "die Seele der Nation" bezeichnet, dann kann die Zuneigung und Hinwendung zur deutschen Sprache, die diese menschlich so warmherzige Frau offenbarte, für Deutsche und Russen viel bedeuten. Für Ljudmilla Alexandrowna, die Frau Putins, ist das von den Russen Kaliningrad genannte Königsberg ihre Heimat, in der sie geboren wurde. Sie bekennt sich zu dieser Stadt und eröffnete erst im September dieses Jahres dort in Anwesenheit von 500 Ärzten und Sozialarbeitern eine auf die gesamte Russische Föderation zielende Kampagne gegen Drogen und Aids. Fast vierzig Jahre wohnte die Mutter von Ljudmilla Alexandrowna bis vor kurzem in einem dreistöckigen deutschen Haus, das aus zehn Wohnungen besteht, im Krieg zerstört und dann wiederaufgebaut wurde. Unter den 500 Deutschen, die jetzt in Kassel mit Frau Putina die Preisübergabe feierten, waren auch solche, denen Königsberg Heimat ist und die gerade deswegen dieser couragierten Frau verbunden sind.