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09.11.02 / Präsidiumsentwurf spaltet die geister

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 09. November 2002


Präsidiumsentwurf spaltet die geister
Nordeuropäer sehen EU auf den Weg in den Bundesstaat
von Karl P. Gerigk

Der Rohbau der Europäischen Verfassung steht. In der nun dem Europäischen Verfassungs-Konvent vorliegenden Gliederung sollen die Kompetenzen und das Verhältnis der einzelnen europäischen Organe wie Parlament und Kommission, aber auch von Rat und den Ausschüssen zueinander geregelt werden. Die Beziehung der Organe zu den Einzelstaaten und die Ziele und Werte der Union sollen hier festgeschrieben sein. Vor allem der Bezug zur europäischen Menschenrechtscharta stellt den Unterschied des geplanten Verfassungswerkes zu den vorausgegangen Verträgen von Rom bis Maas-tricht und Nizza dar. Diese unter Federführung des früheren Bundespräsidenten und Richters am Bundesverfassungsgericht Roman Herzog entstandene Charta ist zur Zeit noch unverbindlich. Sie soll aber durch die Einfügung in die Europäische Verfassung Gesetzescha-rakter erhalten.

Dennoch sind allen Planungen zur europäischen Verfassung bis zum heutigen Tage fromme Wunschvorstellungen, wenn sie auch an Kontur gewinnen. Verantwortlich für die Vorlage des Verfassungentwurfs ist der "Europäische Verfassungskonvent" und hier vor allem der ehemalige französische Präsident Giscard d'Estaing. Es ist schon eine ausgesprochen verwunderlich, daß es neben allen existierenden europäischen Institutionen und einem Europäischen Parlament nun auch noch eines Konventes bedarf, um die europäische Einigung voranzutreiben. Erklärbar nur durch den Reformstau und die notwendigen Änderungen und Vereinfachungen für den administrativen europäischen Alltag vor einer Oster- weiterung, welche mittelfristig aus 15 beinahe doppelt so viele EU-Mitglieder werden läßt. Dem Konvent gehören neben seinem Präsidenten und seinen beiden Vize-Präsidenten 15 Vertreter der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, ein Vertreter pro Mitgliedsstaat, und 30 Vertreter der nationalen Parlamente an, zwei Vertreter pro Mitgliedsstaat. Von seiten der Europäischen Union nehmen an den Sitzungen des Konventes 16 Mitglieder des Konventes und zwei Vertreter der Kommission teil. Aber das Wichtigste ist, daß die Bewerberländer an den Beratungen des Konventes beteiliget sind. Auf diese Weise nehmen Nichtmitglieder der EU, wenn sie auch bald nach allem Bestreben mit im europäischen Boot sitzen, an der Meinungsbildung bezüglich der künftigen Gestalt eines möglichen europäischen Bundesstaates teil. Sie bereiten ihre Mitgliedschaft selbst durch die Mitsprache an der Vorbereitung der Verfassung aktiv vor - ohne daß die Völkerschaften oder verfaßten Organe im jetzigen Stadium der Diskussion an der Meinungsbildung teilhätten. Oder findet in der Öffentlichkeit eine Diskussion über den Inhalt und die Art eines verfaßten Europas statt? Diese Debatte vollzieht der Konvent stellvertretend, unter der Beobachtung der Ausschüsse, des Gerichtshofes, des Rechnungshofes und des Bürgerbeauftragten, die sich auf Antrag zu Wort melden dürfen. Weniger Beobachtung vollzieht sich hier zur Zeit durch die Medien und durch die Bürger. Auf die Reaktion einer unmittelbaren Wortmeldung interessierter Bürger vor dem Konvent zu Fragen der Verfassungsausgestaltung wäre ich gespannt. Sie würde wohl kaum möglich sein - oder? Schließlich debattiert der Konvent nur Vorschläge aus dem Präsidium - und nicht aus den Volk. Diese Vorschläge tragen ganz entscheidend die Handschrift von Valéry Giscard d'Estaing.

Es geht ihm hierbei darum, zwei noch nebeneinander existierende europäische Modelle zusammenzuführen, und dies ist ein Rückgriff auf den Europa-Enthusiasmus der End-Siebziger Jahre unter Helmut Schmidt und eben diesem französischen Präsidenten. Zusammengefügt werden soll das sich aus der Montan-Union der fünfziger Jahre und der EWG entwickelte ökonomische System der Europäischen Gemeinschaft (EG), das sich über die römischen Verträge, den Maas-tricht-Vertrag bis zur Einführung des Euro fortentwickelt hat mit der im Maastricht-Vertrag festgeschriebenen Existenz der Politischen Union, die eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und Verteidigungsidentität besitzt. Aus diesem Grunde müsse auch die Namensgebung der Europäischen Union überdacht werden, so Gis-card, da es sich dann schließlich um ein neues Gebilde handele. Zu diesem Gebilde zähle dann der auch noch zu schaffende Volks-Kongreß, dem Mitglieder aus dem EU-Parlament und den nationalen Parlamenten angehören sollen. Das Ganze könne dann wirklich "Vereinigte Staaten von Europa" heißen. Spätestens an dieser Stelle regt sich jedoch der Unmut und tun sich die altbekannten Unterschiede innerhalb der EU wieder auf. Ist es das deutsche und schließlich auch französischen Interesse - wie auch das der kleineren unmittelbaren Grenzstaaten zu Deutschland im Westen, in der Mitte Europas ein Zentrum ökonomischer Prosperität und militärischer Sicherheit zu haben?

Es geht den Staaten weiter im Norden und Osten, wohl auch im Süd-Osten, eher um den ökonomischen Profit aus einem EU-Beitritt und weniger um politische Sicherheit und Stabilität. Kaum überraschend ist also, daß die Ministerpräsidenten von Schweden, Finnland und Dänemark Vorbehalte gegen den Entwurf der Konvents-Präsidiums geäußert haben. Am Rande einer Tagung des Nordischen Rates in der finnischen Hauptstadt Helsinki kritisierten sie vor allem die Idee des unmittelbar von den Bürgern gewählten EU-Präsidenten. Der schwedische Ministerpräsident Göran Persson erklärte, mit der Wahl eines Präsidenten würde der Charakter der Union verändert. Damit würde die EU zu einem Bundesstaat. "Diesen Weg wollen wir nicht einschlagen," sagte er. Ähnlich äußerten sich der finnische Ministerpräsident Paavo Lipponen und Anders Fogh Rasmussen, sein dä- nischer Kollege. Somit scheint die Idee von den "Vereinigten Staaten von Europa" in Name und Art mehr Illusion als Vision. Selbst die Idee von einem einheitlichen Paß für alle Bürger in den Grenzen der EU mit allen hiermit verbundenen Schutzrechten und Pflichten stößt verschiedentlich auf Ablehnung. Gerade eben der Vorschlag eines frei, geheim und unmittelbar gewählten europäischen Präsidenten - als Pendant zum US-Präsidenten oder auch zum Präsidenten der russischen Föderation - wird als ein Eingriff in nationalstaatliche Souveränität begriffen. Den USA kann ein so eng vereintes Europa mit Deutschland im Zentrum ohnehin nicht recht sein. Denn anders als die Nationalstaaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien allein würden dieselben Staaten und Völker auf dem Balkan und im Nahen Osten in bezug auf das Öl der Araber und hin- sichtlich der islamischen Gefährdung viel gezielter und kraftvoller durch einen gewählten europäischen Präsidenten und den Mister GASP auftreten können. Man wäre wirkliche Konkurenz der Supermacht und logistisch wesentlich näher am russischen Gas und arabischen Öl. Und wie würde sich für einen amerikanischen Präsidenten ein Nein aus Brüssel dann anhören, verglichen mit der wahlkampftaktischen Kritik Schröders am US-amerikanischen Vorgehen gegen den Irak? Das Spiel mit den verschiedenen Bällen der europäischen Außenpolitik ist für Europa konstituierend und dürfte einen amerikanischen Präsidenten auch weiterhin eher an die Grenzen seines Könnens führen.