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16.11.02 / Nur ein Hauch von Versöhnung / Provinzgouverneur erwirkt den Abbruch der Einbettung

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. November 2002


Nur ein Hauch von Versöhnung
Provinzgouverneur erwirkt den Abbruch der Einbettung
von Hans-J. von Leesen

Ende September wurde in der russischen Stadt Rshew im Rahmen des deutsch-russischen Kriegsgräberabkommens eine neue Friedhofsanlage eingeweiht, die bislang wohl einmalig ist. Auf dem mit überwiegend deutschen Geldern von der Stadt Rshew angelegten Friedhof für sowjetische Soldaten ruhen bisher die Gebeine von 1.103 Gefallenen, und auf dem direkt daneben liegenden deutschen Soldatenfriedhof waren zunächst 682 deutsche Gefallene zur Einbettung vorgesehen. An der feierlichen Einweihung des Friedhofes nahmen über 1.000 Russinnen und Russen überwiegend aus der Stadt Rshew teil sowie 150 deutsche Gäste, meist Angehörige von im Raum Rshew Gefallenen und ehemaligen Soldaten der Wehrmacht. Der Präsident des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge, Lange, sowie Repräsentanten der Stadt Rshew sprachen Worte des Gedenkens ebenso wie Vertreter von Verbänden ehemaliger sowjetischer und deutscher Soldaten. Eine Besonderheit: Der eingeladene Botschafter der Bundesrepublik Deutschland war nicht erschienen.

Rshew, Bezirkshauptstadt an der oberen Wolga und zu Beginn des Zweiten Weltkrieges von 54.000 Menschen bewohnt, liegt an einer strategisch wichtigen Stelle zwischen Leningrad, heute St. Petersburg, und Moskau. Im Oktober 1941 wurde die Stadt von den Grenadierbataillonen der ostpreußischen 206. Infanteriedivision und von der Aufklärungsabteilung der rheinisch-westfälischen 26. Infanteriedivision im Zuge der Offensive gegen Moskau erobert. Damit erreichten die ersten deutschen Einheiten die Wolga. In den folgenden Monaten und Jahren versuchten die Sowjets unter Aufbringung aller Kräfte den wichtigen Ort zurückzuerobern. Er blieb im strategischen Vorfall von Moskau in deutscher Hand. Bei den Kämpfen erlitten beide Seiten erhebliche Verluste.

Nach der Katastrophe von Stalingrad und nach den sich immer mehr zuspitzenden Krisen an allen Teilen der Ostfront von Leningrad über Charkow bis zum Kaukasus folgte endlich Hitler dem Rat des Chefs des deutschen Generalstabs und gab die Genehmigung, die 9. Armee und Teile der 4. Armee aus dem Frontsvorsprung Rshew zurückzuziehen und in eine um 300 Kilometer verkürzte Sehnenstellung zu führen. Nach minutiösen Vorbereitungen und in ständige Abwehrkämpfe verstrickt, gelang es der Wehrmacht, innerhalb von 21 Tagen unter dem Kommando von Generaloberst Model den Frontbogen von Rshew zu räumen. Die Divisionen der 9. und 4. Armee zogen sich kämpfend 160 Kilometer zurück, wodurch 22 deutsche Divisionen frei wurden. Eineinhalb deutsche Armeen konnten sich im Angesicht von drei sowjetischen Heeresgruppen ohne ernsthafte Gefährdung absetzen. Man rechnet heute damit, daß im Raum Rshew rund 50.000 deutsche Soldaten gefallen sind, deren Gräber im ganzen Gebiet verstreut sind. Der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge verhandelt seit mehreren Jahren mit den zuständigen russischen Stellen, um hier einen Sammelfriedhof anzulegen, auf dem nicht nur die sterblichen Überreste der deutschen Soldaten würdig bestattet werden sollen, sondern ebenso die ihrer sowjetischen Gegner. Das deutsch-russische Kriegsgräberabkommen setzte den vereinbarten Rahmen, doch gab es überraschend und im Gegensatz zu vielen anderen Projekten in Rußland plötzlich erbitterten Widerstand von Seiten noch immer kommunistischer Gruppierungen. Sie waren grundsätzlich gegen eine deutsche Kriegsgräberstätte und gegen jede Zusammenarbeit mit Deutschen. Wortführer war der Gouverneur des Distrikts Twer, namens Platow.

Er steht zur Wiederwahl an und erhofft sich Stimmen aus dem Lager der Ewig-Gestrigen, wenn er die alte Feindschaft pflegt. Ganz anders die führenden Persönlichkeiten und die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Rshew. Bürgermeister Alexander W. Chartschenko unterstützte nach Kräften das deutsch-russische Vorhaben. Eine von ihm durchgeführte Befragung der Einwohner der Stadt Rshew brachte über 80 Prozent Zustimmung zu dem deutschen und dem russischen Soldatenfriedhof. So wurde denn die russische Anlage fertiggestellt, obwohl sich Gouverneur Platow beschwerdeführend an das russische Außenministerium wandte, das wiederum den deutschen Außenminister Fischer in dieser Angelegenheit anschrieb. Die Stadt Rshew mit ihren Bürgern setzte sich durch. Und so konnte am 28. September 2002 die Friedhofsanlage mit den Gräberfeldern russischer und deutscher Gefallener eingeweiht werden.

"Wenn die Schlacht zu Ende ist, gibt es keine Feinde mehr, sondern nur noch Menschen", sagte Dimitrij Solotow, der Sprecher der Rshewer ehemaligen Soldaten. Das "Kuratorium Rshew", gebildet aus ehemaligen Soldaten der deutschen Wehrmacht, das zum erheblichen Teil die Kosten für die Anlage für die sowjetischen Gefallenen übernommen hatte, war ebenfalls vertreten. Der Gouverneur Platow hatte es tatsächlich fertiggebracht, die vorgesehene Einbettung von 682 deutschen Gefallenen zu verhindern. Milizbeamte erzwangen den Abbruch der Arbeiten. Sie erlaubten nicht einmal, daß über den bereits eingebetteten 99 Toten die Erde planiert wird. Demonstrativ legten jedoch russische und deutsche Bürger gerade auf diese Gräber ihre Blumen.

Auf Befremden stieß bei den Deutschen wie bei den Russen das Fehlen des deutschen Botschafters. Er war der Einladung nach Rshew nicht gefolgt und hatte auch keinen Vertreter entsandt. Der Präsident des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge, Lange, bat das Auswärtige Amt um Aufklärung über die Ursache. Die Teilnehmer der Einweihungsfeier waren bedrückt und wütend, weil Joschka Fischers Auswärtiges Amt dem Drängen der ewig-gestrigen kommunistischen Gruppen nachgegeben hatte. Volksbundpräsident Lange appellierte eindringlich an den Staatspräsidenten Putin, das rechtswidrige Handeln von Gouverneur Platow nicht zu dulden und dem Volksbund zu erlauben, weiterhin die Überreste deutscher Gefallener auf dem Friedhof zu bestatten.

Ein deutliches Zeichen dafür, daß in Rußland nicht mehr die alten bolschewistischen Kräfte den Ton angeben, setzte ein junges Brautpaar aus der Stadt Rshew. Es ist in Rußland - und deutsche Besucher stellen das immer wieder mit Beschämung in Erinnerung an die Verhältnisse in Deutschland fest - gute Sitte, daß junge Brautleute ihren Brautstrauß nach der Trauung auf die Gräber gefallener Soldaten ihres Volkes legen. Sobald die offiziellen Einweihungsfeierlichkeiten der Soldatenfriedhöfe in Rshew beendet waren, erschienen junge russische Brautpaare. Ein Paar bat den Präsidenten des Volksbundes um die Erlaubnis, ihren Blumenstrauß auf die Gräber deutscher Gefallener legen zu dürfen. So geschah es. Präsident Lange sagte zu, der Volksbund werde die Patenschaft für das erste Kind des jungen Paares übernehmen.

Russisches Brautpaar: Marat und Tajana (v. l.) legten ihren Brautstrauß auf deutsche Soldatengräber. Daneben steht der Präsident des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge, Karl-Wilhelm Lange, mit der Betreuerin des Jugendlagers in Rshew, Erika Furtwängler. Foto: VDK