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16.11.02 / Deutsche und Tschechen: Ansätze zum Neubeginn / Zukunftskongreß der Sudetendeutschen Landsmannschaft 

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. November 2002


Deutsche und Tschechen: Ansätze zum Neubeginn
Zukunftskongreß der Sudetendeutschen Landsmannschaft 
von Ekkehard Schultz

Rund 300 Mitglieder der Sude tendeutschen Landsmann schaft (SL) sowie zahlreiche Gäste trafen sich vom 25. bis 27. Oktober auf der Festung in Würzburg, um vor dem Hintergrund des bevorstehenden EU-Beitritts der Tschechischen Republik über die künftigen Ziele ihrer Volksgruppe zu diskutieren.

Das Motto des Fachkongresses lautete "Sudetendeutsche Wurzeln - Sudetendeutsche Zukunft". Insbesondere wandte man sich an alle Vertreter der jüngeren und mittleren Generation, die die Ereignisse im Zuge der Vertreibung selbst nicht mehr erlebt haben.

Zentraler Bestandteil der Veranstaltung waren acht Podiumsdiskussionen, die sich im wesentlichen auf drei Schwerpunkte konzentrierten. Zum einen wurden grenzüberschreitende (sudeten)deutsch-tschechische Initiativen im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich vorgestellt. Zweitens ging es um ein Fazit bisheriger Erfolge bzw. Mißerfolge von Projekten zur Entwicklung eines besseren Verständnisses zwischen Tschechen und Sudetendeutschen.

Drittens wurde nach den kommenden Aufgaben der Sudetendeutschen in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich, Tschechien und auf europäischer Ebene gefragt.

Als Fachleute saßen auf dem Podium neben Vertretern der Landsmannschaft, der Sudetendeutschen Jugend sowie den Protagonisten der deutsch-tschechischen Initiativen auch tschechische Vertreter, Angehörige der heimatverbliebenen deutschen Minderheit und Opfer von Vertreibungen der jüngsten Vergangenheit. Zu den letzteren gehörte beispielsweise die Studentin Ora Bukoshi aus dem Kosovo.

Bereits in seiner Eröffnungsrede betonte der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, daß sich die Zusammenarbeit zwischen Sudetendeutschen und Tschechen in den vergangenen Jahren auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene erheblich verbessert habe. Auf der politischen Bühne werde dagegen die ausgestreckte Hand der Sudetendeutschen immer noch zurückgewiesen. Eine eindeutig positive Bewertung erhielten die ökonomischen und kulturellen Initiativen im böhmischen Raum.

Die Bandbreite der nach Würzburg gekommenen Vertreter reichte von Harald Salfellner, Gründer des "Vitalis"-Verlags als einzigem Verlag mit ausschließlich deutscher Literatur in Prag, Peter Rath, seit Januar 1994 alleiniger Geschäftsführer der von ihm gegründeten tschechischen Firma "Glasatelier Steinschönau Peter Rath GmbH", und Barbara Greipl, einer Bäuerin, die Anfang der 90er Jahre in Böhmen einen Hof erworben hatte, bis zu dem Maler Peter Fischerbauer, der in letzter Zeit sowohl in seinem alten Atelier in München als auch in Höritz im Böhmerwald arbeitet.

Hinsichtlich der Projekte und der durch sie in Gang gekommenen Gespräche gingen dagegen die Meinungen stark auseinander. Nach Ansicht der meisten Podiumsteilnehmer fällt die Bilanz ambivalent aus.

Einerseits trägt die unmittelbare Zusammenarbeit dazu bei, Vorurteile und Abneigungen abzubauen; insbesondere bei der jüngeren Generation seien Feindbilder nahezu unbekannt. Andererseits würden in bestimmten Situationen wie bei der jüngsten tschechischen Parlamentswahl oder beim Temelín-Streit alte Stereotypen rasch wieder in den Vordergrund geschoben. Aufschlußreiche Erfahrungen hierzu trug Nicole Sabella, Landesvorsitzende der Sudetendeutschen Jugend in Bayern, vor, die selbst zwei Jahre in Tschechien studiert hat. Trotz ihrer guten Beziehungen zu den tschechischen Kommilitonen, mit denen sie offen über alle Fragen der gegenseitigen Beziehungen diskutiert habe, seien diese Kontakte im Vorfeld der Wahlen vielfach abgebrochen bzw. deutlich negativ beeinflußt worden.

Auch die Studenten ließen sich von den durch Politiker und Intellektuelle geäußerten Vorurteilen schnell beeinflussen und griffen dann ihrerseits zu Stereotypisierungen. Ein Interview des tschechischen Fernsehsenders NOVA mit ihr sei, so Sabella, im Wahlkampf propagandistisch aufbereitet und unter dem Schlagwort "Das Böse lebt unter uns" gesendet worden.

Anwesende tschechische Vertreter wie Matej Spurny von der Studentenvereinigung Antikomplex in Prag, die sich der gemeinsamen Erforschung der heutigen tschechischen Grenzgebiete durch Tschechen und Sudetendeutsche widmet, und Vaclav Mls, der Geschäftsführer des Johann-Balthasar-Neumann-Stiftungsfonds in Eger, nannten vor allem den "Druck von außen" als Ursache solcher Entwicklungen. Je stärker dieser sei, desto mehr würden die Tschechen allen sonstigen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz zusammenrücken, "ohne sich inhaltlich mit den eigentlichen Themen wirklich auseinanderzusetzen". Sie könnten sich nur dann aufrichtig mit den problematischen Teilen ihrer Geschichte beschäftigen, wenn kein Druck ausgeübt werde, so Spurny.

Mls vertrat die Auffassung, daß es unter jungen Tschechen Mitte der 90er Jahre teilweise eine "idealisierende" Darstellung von Sudetendeutschen gegeben hätte, die zwangsläufig zu Enttäuschungen geführt habe, da man auch auf deutscher Seite immer noch Denktabus vorfinden könne. So sei es durchaus eine "Schwierigkeit, mit Sudetendeutschen über etwas anderes zu sprechen als über Vertreibung".

Eine der wesentlichen Zukunfts-aufgaben der Landsmannschaft liegt laut Posselt im Einsatz der Sudetendeutschen für ein europäisches und später auch weltweites Volksgruppenrecht. Die Sudetendeutschen als direkt Betroffene müßten sich für eine Ächtung aller Vertreibungen einsetzen. Zudem sei das "kulturelle Erbe nicht nur museal zu bewahren, sondern für die Zukunft zu entwickeln".

Obwohl die Benesch-Dekrete nur am Rande eine Rolle spielten, waren sie vor dem aktuellen Hintergrund der Gutachten von Frowein und Blumenwitz (s. dazu OB 41) in den Fragen des Publikums wie auch in den Diskussionsrunden im kleineren Kreis ein beherrschendes Thema.

Jüngere Teilnehmer des Würzburger Treffens zeigten sich enttäuscht über die Ausblendung so wichtiger Fragen wie der Schaffung einer zukunftsweisenden Struktur der Landsmannschaft, die die Attraktivität für künftige Mitglieder steigern könnte, einer Erörterung des "Generationenkonflikts" sowie die Art der Erlebnisweitergabe an nachfolgende Generationen.

Ihrer Auffassung nach wurden diese Themen auf dem vom Ansatz her so vielversprechenden "Zukunftskongreß" entweder überhaupt nicht oder nur unzureichend behandelt.