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16.11.02 / Abschied eines Filmstars

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. November 2002


Abschied eines Filmstars
von Robert Jung

Wollen wir nicht unseren prominenten Gast bitten, etwas aus seinem Leben zu erzählen, wovon man nichts weiß?" wehrte Cora Holm auf einer Party ihres Mannes, des Konsuls Holm, ab, als sie, wie einige vor ihr, aufgefordert war, über ein unglaubliches Erlebnis zu plaudern, vorausgesetzt, der Zufall habe dabei die Hand im Spiel gehabt. "Sie wissen, liebe Freunde", fuhr sie fort, "Schauspieler und Filmstars werden oft mit Begebenheiten konfrontiert, von denen wir gewöhnlichen Sterblichen kaum eine Ahnung haben."

Konsul Holm lächelte verschmitzt: "Eigentlich warst du an der Reihe des Erzählens, Cora. Aber wenn unser Gast so liebenswürdig ist ..." Er stockte und blickte fragend auf den Filmstar. Dieser nickte leicht, schien aber sehr in sich gekehrt, fast abweisend. "Eine Affäre aus Ihrer dritten Ehe?" zischte eine ältere Dame recht frivol. Sie sah herausfordernd auf den Gast der Leinwand. Aber er hob ein wenig die Hand, und in den Anwesenden kroch ein eigenartiges Gefühl hoch. Dieser Gast war in seiner ganzen Erscheinung und mit jeder Gebärde eine bezwingende Persönlichkeit.

"Nehmen Sie es mir nicht übel", sagte er etwas hintergründig, "eine sensationelle Story kann ich Ihnen nicht bieten. Aber diese Geschichte ist von Anfang an wahr. Ihr Abschluß bezeugt allerdings die ungeheure Macht des Zufalls oder einer göttlichen Fügung." Er räusperte sich und setzte seine Erzählung fort: "Der glücklichste Mensch aus meinem großen Bekanntenkreis unter Filmleuten war später einer der unglücklichsten, die mir begegneten. Während der Zeit des Stummfilms galt er als eine unerreichbare Größe, um den sich die Filmemacher rissen. Dann aber, als der Tonfilm aufkam, wurde er über Nacht brotlos. Seine Stimme eignete sich nicht für das neue Medium, und er mußte nach jahrelangem, erfolglosem Bemühen am Hungertuch nagen. Zwischendurch wollte ich ihm mit einigen Scheinen aushelfen, aber er lehnte jede Hilfe ab. Von niemandem wollte er sich helfen lassen. ‚Ich bin ausgebootet aus dem Geschäft. Niemand verschafft mir eine Rolle; es ist aus!' klagte er verbittert. - Eines Abends verzehrte er seinen letzten Bissen, den einzigen Groschen, den er noch besaß, steck- te er in den Gasautomaten. Danach schrieb er einige Zeilen an die Polizei und seine Wirtin, öffnete den Gashahn und legte sich auf die Couch unter dem Dachfenster. - Morgens, in aller Frühe, klopfte ein Eilbote an die Zimmertür, erst leise, dann lauter und schließlich mit Donnergewalt.

Der Schläfer lauschte verwundert. Was bedeutete dieses beängstigende Gepolter an seiner Tür? Er war doch überhaupt nicht mehr auf dieser Welt, tot, vergessen. In die Ewigkeit gegangen ...

Aber dann erhob er sich doch. Erschöpft vor Hunger und Durst, leicht betäubt, aber von Gasgeruch nicht die geringste Spur. Mit zitternden Händen taumelte er zur Tür und zog darunter einen Eilbrief hervor. In wenigen, im Telegrammstil gehaltenen Zeilen bot ihm eine der größten Filmgesellschaften des Auslands eine Top-Rolle an. Für den nächsten Streifen habe sie ihm die Hauptrolle zugedacht, Honorarforderungen möge er nach Belieben stellen. Tatsächlich erntete er nach monatelangen Sprachübungen in dieser Rolle neue Lorbeeren. Er war nie ein Selbstmordkandidat gewesen ..."

Die Gäste im Salon des Konsuls wehrten ab, diese Geschichte zu glauben. "Er muß doch die lange Nacht das Gas eingeatmet haben", riefen sie in die Runde. Der Erzähler beruhigte sie. "Es war einer dieser Gasautomaten, in die man mehrere Münzen einwirft. Sein einziger Groschen reichte nicht zum Gastod, und er schlief wie in Morpheus Armen. Mit jenem Eilbrief kehrte er wieder ins Leben zurück, meine Herrschaften!" Der Konsul tauschte einen seltsamen Blick mit seiner Frau: "Übrigens - meine Frau und ich, glauben jenen Schauspieler zu kennen, Herr Jannings, ja?" Darüber schwieg sich ihr Gast aber aus.