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16.11.02 / Zum Tode von Hans Jürgen Press

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. November 2002


Zum Tode von Hans Jürgen Press
* 1926 in Klein Konopken † 19.10.2002 in Hamburg

Jedem von uns ergeht es so, wenn man vom Tod eines alten Freundes erfährt, daß man die Stunden aus der Vergangenheit zurückholt, die zu dieser Freundschaft führten. Die auch bei räumlicher Distanz über Jahrzehnte erhalten blieb und immer da war, wenn man sich wiedersah oder wenigstens die Stimme des Anderen hörte. Und die besonders fest verflochten war, weil man Wurzeln hatte, die noch immer in der gemeinsamen Kinderheimat lagen: in Ostpreußen!

So erging es mir, als ich hörte, daß Hans Jürgen Press verstorben sei, der in Masuren geborene Zeichner und Schriftsteller, der vor allem durch seine Bücher "Spiel - das Wissen schafft", "Der Natur auf der Spur" und "Geheimnisse des Alltags" weltweit bekannt wurde. Auch durch die so liebenswerte Comicfigur "Der kleine Herr Jacob" und andere Bildgeschichten, durch seine Karikaturen, die "Punktebücher" und viele weitere Spielbücher, die unverwechselbar seine Handschrift tragen: Die Verbundenheit des Verfassers mit der Natur, das Erkunden der Umwelt und das Umsetzen seiner Entdeckungen in einfache, aber in Wort und Bild faszinierend dargestellte Erklärungen.

Diese Liebe zu allem, was wächst, kreucht und fleucht, wurde Hans Jürgen Press im masurischen Klein Konopken in die Wiege gelegt. Dort besaß der Vater einen Landwarenhandel mit Gastwirtschaft, und so bezog der Sohn später nicht nur die Entdeckungen in der heimatlichen Wald- und Wasserweite, sondern auch die Menschen mit ein, die er als Kind beobachtet hatte. Mit wachen Augen, heiterer Schläue, der Fähigkeit, das Wesentliche zu entdecken und - damals schon - mit einem immer bereiten Zeichenstift. Und wenn der nicht da war, malte er einfach mit den Fingern - wie in dem masurischen Kleinbahnzug, der ihn nach Lötzen zur Schule brachte. In die im Winter immer vereisten Fenster ritzte er seine Karikaturen, sehr zur Freude der Mitreisenden. Und seine Entdeckungen in der so reichen heimischen Tier- und Pflanzenwelt stellte er auf Anraten seiner Biologielehrerin in einem Album zusammen, das schon den Titel "Der Natur auf der Spur" trug - wie sein späteres Buch, das ein Bestseller wurde. Wir begegneten uns nicht in der Heimat, sondern 1950 in der Hamburger Baracke, in der sich damals die Ostpreußische Landsmannschaft mit dem noch blutjungen "Ostpreußenblatt" befand. Ich sah ihn, über einem Blatt Papier gebeugt, an einer Karikatur zeichnen: Ein Bahnwärter legt eine lange Rauchwurst auf die Schiene mit der Absicht, sie vom nahenden Zug in Scheiben schneiden zu lassen. Ich mußte lachen, wir kamen ins Gespräch, aus dem sich dann eine lange Zusammenarbeit entwickelte. Nicht nur für das Ostpreußenblatt. Press illustrierte viele Jahrgänge des von mir herausgegebenen Kinderkalenders "Das Karussell", und gemeinsam erarbeiteten wir viele Publikationen.

Ich bewohnte damals den Oberstock eines kleinen Hauses im zerbombten Hamburg-Barmbek, das der ostpreußischen Malerin Dore Kleinert gehörte. Meine Mitbewohnerin war die ebenfalls aus Königsberg stammende Schauspielerin Edith Schroeder. Hans Jürgen hauste unweit in einem winzigen Zimmer. Er war noch 1944 als 17jähriger Abiturient eingezogen worden und nach vierjähriger Kriegsgefangenschaft in Algerien, England und den USA in Hamburg gelandet. Jetzt arbeitete er neben seinem Studium an der Hochschule für Bildende Künste freiberuflich als Pressezeichner.

Wir bildeten damals sozusagen eine kleine "ostpreußische Künstlerkolonie", Heimat und Arbeit verbanden uns sehr. Als Edith Schroeder nach Bonn ging, zog Hans Jürgen in das Haus. Und als ich ein Jahr später nach Klein-Flottbek in meinen geliebten "Schweinestall" wechselte - ein 200jähriges Hofgebäude -, kam eine neue Mieterin. "Liesel", wie wir sie nannten, wurde die Ehefrau von Hans Jürgen Press und die beste Lebensgefährtin, die er sich wünschen konnte.

Es verband uns auch weiterhin viel Gemeinsames - nicht nur die Arbeit, sondern eine echte Freundschaft, die beide Ehepartner mit einschloß, denn auch ich hatte inzwischen geheiratet. Jeder verfolgte mit Freude und Interesse den beruflichen Aufstieg des anderen. Für Hans Jürgen Press führte er aufgrund seines Könnens und Fleißes zu internationalen Erfolgen, zum gefragten Karikaturisten, dem ideenreichen Zeichner des "Sternchens" im Magazin "Der Stern", zu Millionenauflagen seiner Bücher - einige wurden in über 40 Sprachen übersetzt -, zur Verleihung des "Goldenen Taschenbuches" und vielen anderen Auszeichnungen. Vor allem aber zur Anerkennung als einer der bekanntesten und beliebtesten Kinderbuchautoren Deutschlands, dessen Arbeiten wegen ihres didaktischen Wertes den Eingang in die Schulbücher fanden.

Der Junge aus Masuren hatte sich auch als Mann einen Schatz bewahrt: seine Kindheit! Er hatte sie, wie ein spanisches Sprichwort rät, "in sein Taschentuch gesteckt und sie mitgenommen auf seinen langen Lebensweg". Die war der Kraftquell für seine ungeheuer vielseitigen Arbeiten, sie gab ihm immer wieder neue Ideen und die Kraft, diese in Wort und Bild umzusetzen, sie ließ ihn aber auch die Bescheidenheit, Herzensgüte und Hilfsbereitschaft bewahren, die den Menschen Hans Jürgen Press ein Leben lang auszeichnete.

"Bleib kindlich! So bist du unüberwindlich!" Dieses Goethewort steht nun in seiner Todesanzeige. Die auch von der Trauer und dem Dank seiner Familie spricht, die für ihn der geliebte Mittelpunkt seines Lebens war. Die ihn behütete und umsorgte, seit vor Jahren die physischen Kräfte nachließen, als er den Zeichenstift aus der Hand legen mußte. Es war ein langer, langer Abschied aus einem Leben, das mit Fleiß und Kreativität, aber auch mit Lebensfreude, Großzügigkeit und Fürsorge bis zum Rand gefüllt war.

Zu denen, die Dank für manche heitere Stunde, für das gemeinsame Bewahren der unvergessenen Heimat, für fruchtbaren Ideenaustausch und vor allem für eine echte und ehrliche Freundschaft sagen müssen, gehöre auch ich. In meinem Arbeitszimmer hängt ein Aquarell, das er gemalt hat: Sonnenblumen in leuchtendem Gelb. Sie haben mir schon manchen grauen Tag erhellt. Und werden mir in Zukunft noch mehr bedeuten: Sichtbare Erinnerung an einen lieben Heimatfreund und vielseitigen Künstler von unverwechselbarer Eigenart - eben an einen besonderen Menschen. Ruth Geede