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23.11.02 / Jämmerliches Trauerspiel / Wie Wolfgang Thierse Briefe von Gefallenen zu "Nazitexten" umdeutete

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. November 2002


Jämmerliches Trauerspiel
Wie Wolfgang Thierse Briefe von Gefallenen zu "Nazitexten" umdeutete

Zum jämmerlichen Trauerspiel war die Gedenkfeier des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Berliner Reichstag schon im Vorfeld geraten: Der Präsident des Deutschen Bundestages hatte demonstratives Fernbleiben angedroht, falls dort "Nazitexte" verlesen würden. Wer solch finstere Absichten hegen könnte, war zunächst nicht erkennbar. Die Veranstalter hatten lediglich geplant, die Sinfonie "Letzte Briefe aus Stalingrad" des französischen Komponisten Aubert Lemeland aufzuführen; die Schauspielerin Senta Berger sollte die in dieses Werk integrierten Briefe verlesen, die mit der letzten Feldpost aus der umzingelten Stadt ausgeflogen worden waren.

Bei zahlreichen Aufführungen, auch in Stalingrad, das heute Wolgograd heißt, hatte niemand Anstoß an diesen Briefen genommen - es blieb dem wackeren "Antifaschisten" Wolfgang Thierse vorbehalten, sie als "Nazitexte" zu entlarven.

Die Einschüchterungsmethode des Bundestagspräsidenten hatte insofern Erfolg, als die Veranstalter sich genötigt sahen, die Verlesung der Briefe aus dem Programm zu nehmen und statt dessen Texte zu Gehör zu bringen, die offenbar als politisch korrekt gelten. Thierse kam dann auch zum Festakt, dafür sagte Senta Berger ab - "aus Zeitgründen", was man wohl als vornehme Umschreibung für Charakterstärke verstehen darf.

Der Fuldaer CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann warf dem Sozialdemokraten Thierse "Unversöhnlichkeit" vor und erinnerte ihn daran, daß "die wenigsten der in Stalingrad Gefallenen NSDAP-Mitglieder" gewesen seien, "und wenn, dann haben sie ihren Irrtum sehr bitter bezahlt. Die meisten waren normale junge Deutsche, ohne die heutige Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung". Hohmann verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, daß die Briefe aus dem letzten Postflugzeug, das Stalingrad verlassen konnte, dem Goebbels-Ministerium gerade nicht für eine Heroisierung der Stalingradkämpfer geeignet erschienen.

Eigentlich hätte Wolfgang Thierse dies ebenso bekannt sein müssen wie die Tatsache, daß der französische Komponist wohl schon deshalb kaum mit "Nazitexten" gearbeitet hätte, weil einige seiner engsten Familienangehörigen für ihren Widerstand gegen die Nationalsozialisten von General de Gaulle persönlich ausgezeichnet worden waren. Auch hat der Präsident sich offenbar nicht klargemacht, welch tiefe Verletzung sein schroffes Verdikt gegen die Verlesung der Landserbriefe bei den Angehörigen der gefallenen Stalingradkämpfer hervorrufen muß - das ist nicht "Versöhnung über den Gräbern", sondern - um Hohmann noch einmal zu zitieren - "Unversöhnlichkeit über den Tod hinaus".

In letzter Zeit hat der Bundestagspräsident immer häufiger mit einseitig moralisierenden Rückgriffen auf die jüngere deutsche Geschichte auf sich aufmerksam gemacht. Dabei fällt auf, daß seine Form von "Vergangenheitsbewältigung" sich weitgehend darauf beschränkt, die Vergangenheit anderer zu bewältigen, zum Beispiel toter Stalingradkämpfer, deren "Schuld" darin besteht, keinen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur geleistet zu haben. Von offenem Widerstand eines Wolfgang Thierse gegen die Honecker-Diktatur ist allerdings bislang auch noch nichts bekannt - vielleicht sollte auch dieser Teil der deutschen Vergangenheit einmal "bewältigt" werden. Hans-Jürgen Mahlitz