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23.11.02 / EU-Schicksalsgipfel: Kommen nach der Türkei auch Israel, Algerien und Ägypten?

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. November 2002


EU-Schicksalsgipfel: Kommen nach der Türkei auch Israel, Algerien und Ägypten?

Auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen, am 12. Dezember, könnte sich das Schicksal der Europäischen Union entscheiden. Denn auf diesem Gipfel soll die Türkei einen Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen bekommen. Es geht natürlich nicht um den Zeitpunkt, sondern um das Ob überhaupt. Darüber wird hinter den Kulissen der EU heftig diskutiert. Die Front zwischen Befürwortern und Gegnern verläuft mitten durch den Kern der europäischen Staaten. Frankreich ist dagegen, Deutschland dafür. Dabei ist zu unterscheiden: In beiden Ländern sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung dagegen (das dürfte auch für die EU insgesamt zutreffen), die Regierung in Paris hält sich zurück, die in Berlin hängt sich aus dem Fenster. Das hat eigene Gründe.

Das künftige Verhältnis zur Türkei ist wichtig, keine Frage. Das Selbstverständnis Europas aber ist wichtiger. Staatsphilosophisch gehört die Türkei an den Rand Europas. Ihre Landmasse ist wie eine Brücke zur islamischen Welt. Ihr politisches Denken kam gerade im jüngsten Wahltriumph für die Islamisten zum Ausdruck und kann als Teil dieser Brücke betrachtet werden. Wenn die Geographie nicht mehr zählt und die kleinasiatische Landmasse zu Europa gehören soll, dann ist schwer zu sehen, wie man Aufnahmebegehren von Russland, Israel oder Algerien, Marokko und selbst Ägypten ablehnen kann. Schon haben einige dieser Staaten den Finger gehoben. Aber selbst ohne diese Anrainer des Mare Nostrum, nur mit der Türkei wäre die EU staatsphilosophisch entkernt, politisch nicht mehr handlungsfähig, wirtschaftlich im besten Fall eine große Freihandelszone vom Atlantik bis zum Kaukasus und von Grönland bis zur Levante und fast zur Sahara. Man überschätzt die Integrationsfähigkeit des alternden Kontinents, wenn geglaubt wird, junge und dynamische Bevölkerungen wie die türkische assimilieren zu können.

Die Jungen werden die Alten dominieren. Das ist in der Geschichte immer so gewesen. Es müssen andere Formen der Partnerschaft gefunden werden. Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses, Volker Rühe, spricht in diesem Zusammenhang von einer Teil-Mitgliedschaft. Das ist der richtige Weg. Die Absichten von Fischer und Schröder, die sich offen für eine Voll-Mitgliedschaft einsetzen, haben mit dem Selbstverständnis Europas und der Türkei nichts zu tun. Für solche Fragen haben diese beiden Politiker keinen Sinn. Ihr Koordinatensystem hat nur die Achsen politische Gegner und persönliche Macht. Sachfragen werden unter diesem Gesichtspunkt behandelt. Die Regie- rung ist für den Beitritt der Türkei, weil sie sich durch die zu erwartende massive Zuwanderung aus Anatolien einen Zuwachs an rotgrünen Wählern verspricht und dadurch eine strukturelle Mehrheit für das rotgrüne Projekt, genauer: für die kulturelle Revolution in Deutschland, erhofft. Gleichzeitig wollen Fischer und Schröder mit dieser Morgengabe wieder Gefallen in Washington finden. Daß die Interessen einer Weltmacht, die Krieg gegen den islamistischen Terror führt und in einem in sich gefestigten Europa einen künftigen Rivalen sieht, ganz anders gelagert sind, das ficht die beiden Politiker in Berlin nicht an. Ihre Sicht geht nur bis zum rotgrünen Tellerrand. Washington dagegen ist der vorauseilende Gehorsam Berlins nur recht. Er schwächt die EU und stärkt die Weltmacht. Das ist schon ein kurzes Telefonat mit dem Kanzler wert. Man muß ihn deshalb ja nicht wieder in den Arm nehmen, kühle Distanz wird ihn nur noch eilfertiger machen.

Integrieren und tolerieren kann nur, wer einen eigenen Standpunkt, eine eigene Identität hat. Jede andere Politik ist wertlos und führt zur Selbstaufgabe einer Nation. Das kann natürlich auch ein Ziel sein. Für die Franzosen kommt das nicht in Frage. Deshalb ruhen die Hoffnungen der meisten Deutschen für Europas und Deutschlands Zukunft heute nicht auf der Mannschaft in Berlin, sondern auf den Köpfen in Paris. Ein trauriger Befund. Jürgen Liminski