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30.11.02 / Wirtschaften ist eine ganz besondere Kunst

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. November 2002


Wirtschaften ist eine ganz besondere Kunst
Christel Bethke erinnert sich an köstliche Gerichte aus der Heimat

Die beiden Schwestern beschließen, mal essen zu gehen. Warum auch nicht? Das kann man sich doch wert sein, weil man sich ja sonst schon nichts gönnt. Ein erstklassiges Lokal haben sie ausgesucht. Wenn schon, denn schon. Der Tisch, zu dem sie geleitet werden, steht an einem Fenster, durch das man auf den nahegelegenen Kanal blickt. Sehr schön. Die Karte, die jeder von ihnen gereicht wird, trägt der Jahreszeit Rechnung: Wildspezialitäten "an" Pilzen, Lamm, Geräuchertes. Sie bestellen, auch ein Karäffchen Wein für jede. Der Ober ist sehr "nett", wie beide feststellen. Das Essen ist vorzüglich, und auch der Preis wäre angemessen (35 Euro), könnten sie alles aufessen. Leider sind sie nach der Suppe schon fast satt, und welch ein Glück, daß sie sich nicht noch an dem Buttertöpfchen und dem frischen Brot, das vor der Suppe gereicht wurde, traktiert haben. Sie hätten eben doch den Seniorenteller nehmen sollen oder "die kleine Portion", wie der nette Ober diskret beim Kassieren anmerkt. Andermal vielleicht. Nun erst mal zu Fuß zu Lotte, denn die bestimmt: "Den Kaffee nehmen wir aber bei mir."

Unterwegs bemerkte die Schwester, daß es ja doch fast siebzig Mark waren, die sie bezahlt hatten. Ein Vermögen für beide! "Denk mal, wie gut und preiswert wir uns ernähren", fügte sie hinzu. "Überhaupt in dieser Jahreszeit." Die Gerichte, die sie nun aufzählen, sind fast immer noch heimatliche. Sie purzeln ihnen nur so zu. Herbstzeit, Apfelzeit, Gemüsezeit. Kartoffelgerichte in allen Variationen, Eintöpfe, die sie gern essen: Wruken, Mohrrüben, Linsen oder Erbsen, über Nacht eingeweicht. Rote Beete gleich ein paar mehr aufsetzen wegen der Stromersparnis. Zwei davon zu Beetenbartsch verwenden, die restlichen mit dem Gurkenhobel fein raspeln und mit einem Sud von Essig, Lorbeerblatt, Zucker und Zwiebeln (auch ein gehobelter Apfel paßt da rein) übergießen, ziehenlassen, hält sich lange und paßt zu Bratkartoffeln, auch zu Kartoffelbrei mit einem Setzei.

Ohne Ende strömen ihnen die Ideen zu. Nicht den Kumst vergessen. Gestovt oder süß-sauer mit Speckwürfelchen zu Salzkartoffeln. Schmorkohl ist auch gut. Nicht zu früh wenden, er muß fast angesetzt haben, damit er schön braun wird.

"Wir sollten ein Kochbuch herausgeben mit dem Titel ‚Alles unter zwei Euro'", lacht Lotte, denn tatsächlich - beim Nachrechnen der aufgezählten Gerichte kommen sie mit dieser Summe aus. Gott, wie ihnen noch immer alles schmeckte! Und nie vergessen sie, die Hände über ihrem Teller zu falten und sich zu bedanken. Dies Wirtschaften, wie man das zu Hause nannte, war die Stärke dieser Generation gewesen. Aus nichts was machen, aus wenig das höchste Resultat erzielen. Sie waren das eigentliche Wirtschaftswunder damals in den schlechten Zeiten.

"Weißt noch", fragt Lotte die Schwester, "als wir damals nach der Flucht hier halbverhungert mit unserer Mutter ankamen und mit dem Wohnberechtigungsschein in einer hochherrschaftlichen Tür standen? Die Dame des Hauses saß an einem gedeck-ten Frühstückstisch. Wie lange hatten wir das nicht mehr erlebt. Viel hatten die hier auch nicht mehr zu essen. Sie reichte jeder von uns eine Scheibe Schwarzbrot, hauchdünn mit Margarine bestrichen und dick mit gekochten Äpfeln belegt. Das ist mir unauslöschlich geblieben." - "Weiß ich noch", sagt die Schwester, "mach ich mir heute noch manchmal, solch ein Brot."

An das Schwarzbrot haben sie sich mittlerweile gewöhnt, und überhaupt haben sich östliche und westliche Küche ganz gut gemischt. Spirkel gibt es nicht zu oft wegen des Cholesterins, dafür hat auch Olivenöl bei ihnen in der Küche Einzug gehalten. Aber ab und zu eine Karbonade auf dem Teller ist schon ganz schön. "Königsberger Klopse sollten in unserem Kochbuch nicht fehlen", meint Lotte. Die Schwester erklärt sich bereit, welche zu kochen und Lotte dazu einzuladen. "Du machst immer so wenig Soße", meint die, "und Kapern gehören auch da rein. Man muß das Gericht mit dem Löffel essen können." Stimmt, man kann sie auch mit Schmand anrichten, dann reicht die Gabel, aber echte Königsberger Klopse, die muß man mit dem Löffel essen, weiß auch die Schwester. Und so soll es sein.