16.04.2024

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21.12.02 / Die ostpreußische Familie

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 21. Dezember 2002


Die ostpreußische Familie
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Ruth Geede

Lewe Landslied,

nun steht das Weihnachtsfest vor der Türe, und am Heiligabend werde ich wieder meine Weihnachtskassette hören mit dem vollen, wuchtigen Geläut der alten Königsberger Domglocken. Und werde dann wieder ganz zu Hause sein! Ach ja, die Glocken - sie haben unsere Familie auch in diesem Jahr beschäftigt. Vor allem "die wandelnde Glocke"! Eigentlich wollte ich dar-über nichts mehr schreiben, aber dann kam ein Brief von unserem Leser Leuther von Gersdorff, und der ist doch so interessant, daß ich auf ihn eingehen muß. Denn bei der erfolgreichen Suche nach dem Gedicht stieß seine Frau in ihren 36 Bänden Goethe auf folgende Notiz: "Nach Reimer ... verdankt das am 22. Mai 1813 in Töplitz verfaßte Gedicht sein Entstehen einem Scherze, den er und Goethes Sohn gemeinsam mit einem kleinen Knaben zu treiben beliebten, der, sie sonntags vor der Kirche besuchend, bei beginnendem Geläute besonders vor der durchschlagenden, großen Glocke sich einigermaßen zu fürchten schien. Sie redeten ihm ein, die Glocke steige auch wohl von ihrem Stuhle herab, komme über Markt und Straße gewackelt und könne sich leicht über ihn herstülpen, wenn er sich draußen blicken lasse. Dieser Vorfall muß dem Dichter nach vielen Jahren wieder in Erinnerung gekommen sein!" Der Chronist Friedrich Wilhelm Reimer, Gelehrter und Erzieher im Hause Wilhelm von Humboldts, weilte von 1803 bis 1812 in Goethes Haus als literarischer Gehilfe und Erzieher des Sohnes. Ich finde solche Erläuterungen höchst lehrreich und belebend für unsere Kolumne, und sage deshalb dem Ehepaar Evi und Leuther von Gersdorff meinen herzlichsten Dank.

Und noch eine andere Glockenfrage hatte uns beschäftigt: Die nach dem Verbleib der Glocke von Zinten. Dazu hat mir Manfred Seidenberg eine interessante E-Mail geschickt. Er verfügt in seinem Video-Archiv auch über eine sehr umfangreiche Glocken-Datei und kann mit absoluter Sicherheit sagen: Es gibt sie nicht mehr!

Manfred Seidenberg erläutert dies sehr eingehend. Er weist darauf hin, daß im Ersten Weltkrieg rund fünfzig Prozent aller historischen Bronzeglocken für Rüstungszwecke eingeschmolzen wurden. In der Regel blieb jeweils eine, die historisch wertvollste, in den Kirchen, die übrigen kamen zum "Glockenfriedhof", vor allem nach Hamburg. So könnte es auch in Zinten gewesen sein, denn dort wurde erst 1930 wieder eine Glocke geweiht, eine Stahlglocke. Sie ist in dem Seidenberg-Film "Stadt Zinten" zu sehen. Stahlglocken blieben in den Kirchen, weil das Material eben nicht aus Bronze war und so nicht registriert werden mußte. Diese Zintener Glocke hier zu suchen ist daher zwecklos. Manfred Seidenberg hat alle 86 Glocken aus evangelischen Kirchen Ostpreußens, die in den Kirchen der Bundesrepublik hängen, gefilmt und ihren Klang aufgenommen. Eine einmalige Dokumentation!

Und mit dem Anfang eines alten Glockengedichtes möchte ich unserer großen ostpreußischen Familie die Weihnacht einläuten:

Von all den tausend Klängen

hat keiner solche Macht,

als wie der Klang der Glocken

in heil'ger Weihenacht.

Eure

Ruth Geede