19.04.2024

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04.01.03 / Neujahr 2003 - zum Geleit: Vor uns die schweren Jahre

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. Januar 2003


Neujahr 2003 - zum Geleit: 
Vor uns die schweren Jahre

von Wilhelm v. Gottberg, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen

Was immer die Zukunft für die Deutschen und für Deutschland bringen wird - gewiß ist, daß die guten Jahre für eine oder auch zwei Dekaden der Vergangenheit angehören werden.

Auch in der Vergangenheit war die Entwicklung in unserem Land in Teilbereichen, wie zum Beispiel bei den Langzeitarbeitslosen oder bei der Ausbildungsplatzsituation, nicht nur positiv. Gleichwohl, die große Mehrheit der Menschen in unserer Republik hat gut verdient, gut konsumiert und den Aussagen der Politiker zur Stabilität des Sozialstaates vertraut. Das soziale Netz ermöglichte auch den wirtschaftlich Schwachen eine menschenwürdige Existenz.

Allerdings haben wir uns die guten Jahre der Vergangenheit durch die Ausstellung eines in der Zukunft fälligen Wechsels ermöglicht. Mittlerweile dämmert es den meisten; wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Die Folgen sind noch nicht zu übersehen. Die gigantische Staatsverschuldung und der marode Zustand der Sozialkassen sind im Hinblick auf die eigentlichen Probleme dieser Republik nur kleine Problemchen. Schwerer wiegt, daß die große Masse der Menschen eine Anspruchsmentalität gegenüber der öffentlichen Hand entwickelt hat, von der nur eine mutige und wahrhaftige Politik sie herunterbringen wird. Die Verlogenheit gehört zum politischen System der Bundesrepublik, und sie zeigt sich zum Beispiel in der Feststellung der Politiker, es gelte nunmehr, den Sozialstaat umzubauen.

Nein, nicht Umbau, sondern Abbau des Sozialstaates ist die bittere Wahrheit und das Gebot der Stunde. Wir werden auf diesem Sektor in den nächsten Jahren einen Paradigmenwechsel erleben, wie er bisher unvorstellbar erschien. Der Beitragsstopp für die gesetzliche Krankenversicherung, Nullrunde für Ärzte und Krankenhäuser, Absenkung der Beamtenpensionen auf 71,25 Prozent, tendenziell sinkende Renten und anderes mehr sind erst die Vorboten einer Entwicklung, an deren Ende das ausgeuferte Sozialstaatsprinzip des ausgehenden 20. Jahrhunderts auf ein vertretbares Maß zurückgeführt sein wird. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land wird es durch die tiefen Einschnitte in die sozialen Besitzstände hart treffen. Dies festzustellen ist keine Panikmache, sondern eine Botschaft der Wahrheit und Klarheit, wie sie der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache von der Politik gefordert hat. Glücklich können sich diejenigen schätzen, die z. B. bei der Rente privat vorgesorgt haben, die Blüms zahlreichen Märchenstunden über die so sicheren Renten nicht geglaubt haben.

Noch ist der Inhalt des im Bun-deskanzleramt konzipierten Strategiepapiers zur Reform der Sozialkassen nicht im einzelnen bekannt. Näheres dazu wird man erst nach dem 2. Februar 2003 erfahren, wenn die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen vorüber sind. Gleichwohl, es bedarf keiner prophetischen Begabung, um die Botschaft des Strategiepapiers vorauszusagen: "Der Sozialstaat ist nicht mehr zu finanzieren, die Maschen des sozialen Netzes werden erweitert."

Dies wird - generalisierend gesprochen - die offizielle Aussage des Strategiepapieres sein. Jede politische Nachricht enthält fast immer auch eine indirekte Botschaft. Die indirekte Botschaft des Strategiepapiers: "Es werden vermehrt Menschen durch das soziale Netz fallen, es wird sich eine Tendenz zur Verelendung der sozial Schwachen entwickeln, die zahlreichen karitativen Organisationen werden ihr Augenmerk zukünftig mehr auf die Situation der Schwachen im Lande richten müssen, unter Vernachlässigung ihrer bisherigen grenzüberschreitenden Aktivitäten."

Nur am Rande sei vermerkt, daß für Scharfsinnige schon heute eine Tendenz zur Verelendung von bestimmten Schichten, sowohl in den Großstädten als auch auf dem Lande, und hier vor allem in den östlichen Regionen, erkennbar wird.

In den mitteldeutschen Bun-desländern werden die Kenn- zeichen der Armut bei den Menschen eher sichtbar, weil hier die Massenarbeitslosigkeit höher ist, und weil die 45jährige sozialistische Umgestaltung den kirchlichen karitativen Organisationen kein flächendeckendes Wirkungsfeld ermöglicht hatte. Man hatte ja die Volkssolidarität. Heute aber steht die Volkssolidarität als Einrichtung des Sozialstaates mehr oder weniger zur Disposition.

Deutschland ist auf der Weltwohlstandsrangliste vom dritten auf den sechzehnten Platz gefallen. Der Abstieg wird weitergehen. Über 40.000 Insolvenzen im vergangenen Jahr haben die Probleme auf dem Arbeitsmarkt verschärft und den notleidenden Mittelstand ins Blick- feld gerückt.

Kohls Behauptung, daß die Einführung des Euro Arbeitsplätze schaffe, war eine bewußt in Umlauf gebrachte Unwahrheit, um die Akzeptanz für den Euro zu verbessern. Jedem Gebildeten war klar, daß der Euro neue Arbeitsplätze schafft, aber nicht im Hochlohnland Deutschland, sondern in Niedriglohnländern. Die Tendenz zur Verlagerung der Arbeitsplätze in diese Länder war vorhersehbar.

Jetzt erst erkennt die Politik - bei weitem noch nicht die gesamte politische Klasse - daß der Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet ist. Mit Minijobs, Ausbau der Leiharbeit und Förderung der Selbständigkeit versucht man mehr schlecht als recht gegenzusteuern. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Merz nennt dies ein erstes Reförmchen, dem wirkliche Reformen folgen müssen.

Die zwischen den Zeilen stehende Botschaft des vielgepriesenen Harz-Konzeptes lautet: Der Gürtel ist enger zu schnallen, das Pro-Kopf-Einkommen sinkt. Fazit: Mit den reduzierten Leistungen des Sozialstaates gehen zukünftig sinkende Arbeitseinkommen einher.

Die Haltung der Arbeitgeber bei den derzeit laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst wird durch das Diktat der leeren Kassen bestimmt.

Wer wie der Verdi-Anführer mit Streik droht, wenn die Gewerkschaftsforderung beim Tarifpoker nicht erfüllt wird, handelt in höchstem Maße verantwortungslos und ganz gewiß nicht im Sinne des Gemeinwohls.

Die bittere Wahrheit für das neue Jahr muß den Menschen ungeschminkt verkündet werden. Unser Land ist finanziell auf allen Ebenen total fest. Es gibt keine finanziellen Spielräume mehr. Weder beim Bund noch bei den Ländern und schon gar nicht bei den Kommunen.

Auch mit mehr Wirtschaftswachs-tum ist dies Dilemma nicht zu beseitigen, allenfalls ein wenig zu mildern. Der Druck, Steuern und Abgaben zu erhöhen, wird anhalten. Zusätzlich bedrückend an dieser Situation ist die Tatsache, daß unser Land im Rahmen der EU-Osterweiterung bis 2013 steigende finanzielle Verpflichtungen eingegangen ist. Der Druck, Steuern und Abgaben zu erhöhen, wird dadurch noch größer. Eine Mehrwertsteuererhöhung wird kommen. Ein Land, das sich gegenüber dem Ausland human zeigt, muß zwangsläufig nach innen inhuman sein.

Der Aufbau der mitteldeutschen Länder ist noch nicht beendet. Folgerichtig soll der Finanztransfer von West nach Ost auch Solidarpakt genannt, noch bis 2019 fortgeführt werden. Wird man dies durchhalten können?

Seit einigen Jahren verfällt die Infrastruktur in bestimmten Regionen der Altbundesrepublik. Im ehemaligen niedersächsischen Zonenrandgebiet stehen für die Unterhaltung von Landesstraßen, Kreisstraßen, Bahnkörpern und Schulen schon lange nicht mehr ausreichende Mittel zur Verfügung. Auch dies ist ein Beispiel für unsere prekäre Finanzsituation auf der kommunalen Ebene.

Gleichwohl versprechen die Politiker eine ganze Wundertüte neuer Wohltaten. Mehr Leistungen für die Familien, mehr Geld für die Ausländerintegration, neues und besseres für die Schulen, Ganztagsbetreuung in den Schulen, mehr Lehrer, Sprach- und Fremdsprachenunterricht in den Kindergärten, PC und Internetanschluß auch schon in den Grundschulen. Jeder, der ein wenig die Nachrichten aus der Arbeits- und Wirtschaftswelt und der Kommunalpolitik verfolgt, weiß, daß aus finanziellen Gründen nichts von allem eingelöst werden kann.

Damit sind wir beim eigentlichen Kern unserer Probleme. Es ist unsere geistige Verwirrung, unser verwirrtes Denken. Es ist unsere Unfähigkeit, unser Handeln in der Politikgestaltung nach ethisch-moralischen und vernünftigen Kriterien auszurichten. Die Krise der Gegenwart ist nicht primär eine Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie ist vor allem eine geistig-moralische Krise. Zu ihrer Überwindung bedarf es einer allgemeinen Umorientierung und einer geistigen Führung durch die Repräsentanten der Verfassungsorgane und der Eliten in Wirtschaft und Verbänden. Ohne die Überwindung der gesellschaftlich-moralischen Krise werden wir auch unsere wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten nicht meistern, sondern höchstens kurzfristig überdecken können. Der vormalige Bundeskanzler Kohl hatte dies bereits vor 20 Jahren bei seinem Regierungsantritt erkannt und deshalb die geistige Wende versprochen. Versprochen und gebrochen. Dies gilt für Rot-Grün, und dies galt auch für die christlich-liberale Regierungskoalition von 1982 bis 1998. Die derzeitigen Finanznöte der Regierungskoalition sind ja zu einem großen Teil ein Erbe der Kohl-Regierung. Sie sind das Ergebnis eines verwirrten Denkens, das sich nicht am Gemeinwohl orientiert, sondern danach trachtet, den Erwartungen der eigenen Wählerklientel gerecht zu werden.

Das deutsche Volk zerfällt mehr und mehr in gesellschaftliche Gruppen, deren Egoismen den Blick für das Allgemeinwohl verstellen. Das in unserem Land praktizierte System der Bedienung von Gruppeninteressen wirkt als Zentrifugalkraft gegen das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Gemeinschaftsinteresse. Der in der Bundesrepublik überzogen praktizierte Föderalismus verstärkt diese Tendenz. Die Verwirrung im Denken zeigt sich bei der Gesetzgebung und den Festsetzungen des Bundeshaushaltes. Die Homo-Ehe ist ein gezielter Hieb gegen die seit Jahrhunderten bewährte Institution Ehe. Das Zuwanderungsgesetz begrenzt entgegen der Aussagen der rot-grünen Repräsentanten eben nicht die Zuwanderung, sondern erlaubt durch großzügige Nachzugsregelung weitere Zuwanderung. Hatte nicht Schily auch davon gesprochen, daß das Boot voll sei?

Wir haben 4,5 Millionen Arbeitslose. Gleichwohl wird wider besseres Wissen behauptet, auch von führenden Wirtschaftsvertretern, wir bräuchten Zuwanderung, um den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Wir wissen, daß die Zuwanderung nicht dem Arbeitsmarkt zugute kommt, weil die Mehrheit der Zuwanderer nicht qualifiziert ist. Die Zuwanderer belasten fast ausschließlich die Sozialkassen.

Im Haushalt ist die Förderung der Vertriebenenkultur drastisch reduziert worden, und mit dem Bundeswehretat kann die Bundeswehr nicht mehr ausreichend finanziert werden. Gleichzeitig erhalten Randgruppen, Frauenprojekte, fragwürdige Auslandseinrichtungen eine großzügige Finanzierung, und es wird immer noch viel Geld für überflüssige Subventionen bereit gestellt.

Unser verwirrtes Denken zeigt sich auch bei den gesellschaftlichen Gruppen. Die Maßlosigkeit einzelner Gewerkschaftsvertreter wurde bereits angesprochen.

Die verfaßte evangelische Amtskirche hat ihre zentralen Aufgaben aus dem Blickfeld verloren. Seelsorge im eigentlichen Sinne, Verkündigung der frohen Botschaft, Vermittlung von Heilsgewißheit, Aufruf zur Buße und die Gewissensschärfung anhand der zehn Gebote findet in der EKD nur noch graduell statt. Die Mehrheit der evangelischen Pastoren versteht sich als Sozialingenieure. Gesellschaftsverändernde Maßnahmen haben Priorität. Beispiele wie die Segnung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften und die Propagierung der multikulturellen Gesellschaft, Kirchenasyl und blasphemische Veranstaltungen bei Kirchentagen bedürfen keiner Kommentierung. Zehntausende empfinden die evangelische Kirche nicht mehr als ihre geistliche Heimat und treten aus. Jüngstes Beispiel ist die BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Hört man Richtungsweisendes aus der EKD zur Sektenentwicklung in unserem Land? Haben die Leitungsgremien der Protestanten sich jemals massiv für den Schutz des ungeborenen Lebens eingesetzt?

Glücklicherweise trifft diese Zustandsbeschreibung noch nicht für alle evangelischen Kirchengemeinden zu. Blühendes protestantisches Gemeindeleben auf der Grundlage der lutherischen Reformation finden wir heute umfassend in der kleinen selbständigen evangelisch-lutherischen Kirche (SELK).

Unser verwirrtes Denken zeigt sich auch im öffentlichen Diskurs. Unsere eigentlichen Probleme werden nicht wirklich thematisiert. Gravierende Defizite in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden ganz oder teilweise tabuisiert. Das einzige Thema, das nicht tabuisiert wird, ist die Sexualität mit allen Teilbereichen und Obszönitäten. Mit Randthemen wird versucht, von den eigentlichen Problemen abzulenken. Seit Jahren wird mit hohem finanziellen Einsatz ein Kreuzzug gegen den Rechtsextremismus geführt. Der Bundestagspräsident zählt gar alle rechts von der politischen Mitte stehenden Menschen mit zu den Extremisten. Die zunehmende brutale Gewalt an den Schulen, die Wohlstandsverwahrlosung vieler Kinder und Jugendlicher, das Scheitern vieler junger Menschen hinsichtlich des Berufs- und Bildungsabschlusses ist hingegen kaum ein Thema. Die Bluttat von Erfurt und die verschiedenen Attentate von Schülern an Lehrern beleuchten schlaglichtartig den Zustand in Teilen der jungen Generation.

Seit Jahrzehnten wird die hohe Ausländerkriminalität in unserem Lande tabuisiert. Sie paßt nicht in die Scheinwelt der Multi-Kulti-Propagandisten. Durch massenhafte Einbürgerung versucht man dieses Problem vom Tisch zu bekommen. Vor Weihnachten berichteten einige Regionalzeitungen in einer kleinen Notiz von einer grauenhaften Bluttat in Hamburg, bei der unter anderem auch ein Behinderter Opfer wurde. Täter sei, so wurde berichtet, ein in der Türkei geborener Deutscher. Wie wäre wohl berichtet worden, wenn dieses Verbrechen von einem deutschen Täter an einem behinderten Ausländer verübt worden wäre?

Die sich wie ein Krebsgeschwür bei Menschen und Institutionen eingenistete geistig-moralische Krise gefährdet den Fortbestand Deutschlands als demokratisches Gemeinwesen und als große Kulturnation in Europa. Sie zu überwinden, sind alle aufgerufen. Dazu bedarf es einer allgemeinen Umorientierung hin zu den auf christlichen Grundsätzen basierenden preußischen Tugenden. Dazu bedarf es geistiger Führung durch die politischen und gesellschaftlichen Eliten. Auf die besondere Verantwortung der Medienschaffenden bei diesem Umorientierungsprozeß sei hingewiesen. Dazu bedarf es, um ein Wort des früheren Bundespräsidenten Karl Carstens aufzugreifen, der Wiedergewinnung der transzendentalen Dimension (Rückbesinnung auf die eigentlichen Grundlagen des christlichen Abendlandes).

Zur Überwindung der geistigen Krise bedarf es des Mutes zur Wahrheit. Am Anfang der Therapie zur Heilung unseres verwirrten Denkens muß eine wahrheitsgetreue, schonungslose Diagnose stehen. Das bereits ist der erste Schritt zur Besserung.

Die Flutkatastrophe des Jahres 2002 hat gezeigt: die Deutschen besitzen immer noch viel Idealismus, Hilfs- und Opferbereitschaft, Einsatzwillen, Gemeinschaftssinn und Selbstdisziplin. Mit diesen Eigenschaften lassen sich auch wirtschaftlich schwere Jahre durchstehen. Eine Erkenntnis, die zuversichtlich nach vorne blicken läßt. Zuversicht erhält die Zukunft.

 

Bild: Yorcks Ansprache an die preußischen Stände am 5. Februar 1813: Diese "Ruck-Rede" hatte, im Gegensatz zu der schon beinahe vergessenen von Bundespräsident Roman Herzog im Jahre 1997, eine langanhaltende Wirkung.