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18.01.03 / Gedankenspiele: Vom Tigris nach Eurasien

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Januar 2003


Gedankenspiele: Vom Tigris nach Eurasien
Mitteleuropa, der Irak-Krieg und das "Eurasische Magazin"
von Martin Schmidt

Der 18. Januar ist für die meisten Bundesdeutschen ein Tag wie jeder andere. Nur eine Minderheit kennt seine historische Bedeutung, und noch weniger halten das Datum in würdiger Erinnerung. Dabei eignet sich die Vorgeschichte der Gründung des zweiten Deutschen Reiches im Jahre 1871 in besonderem Maße zum Nachdenken über Deutschlands Rolle in der Welt.

Vom diplomatischen Genie Bismarcks und der einstigen militärischen Schlagkraft der Deutschen ist freilich wenig geblieben. Statt dessen beherrschen Komplexe, Unterwürfigkeit, diplomatische Tolpatschigkeit und eine über Jahrzehnte gewachsene pazifistische Verdummung das Bild. Ernstgenommen wird man nur noch wirtschaftlich.

Und das ausgerechnet zu einer Zeit, da spätestens seit dem 11. September 2001 weltpolitisch die Zeichen auf Sturm stehen. Deutsche Soldaten sind zu Statisten eines blutigen Spiels herabgewürdigt, das von anderen geführt wird. Sie stehen in Bosnien, Mazedonien, Afghanistan - und demnächst vielleicht auch im Irak.

Daß es dort in den kommenden Wochen zum Krieg kommt, ist längst beschlossen. Die US-Politik will im Irak ein Exempel statuieren und zugleich eine alte Rechnung begleichen. Die Machthaber in Bagdad bieten sich - nicht zuletzt aufgrund eigenen Propaganda-Getöses - als Ziel zur Demonstration amerikanischer Stärke im arabischen Raum an. Obendrein wäre eine künftige loyale irakische Führung von erheblichem strategischen Wert in der Golfregion.

Der weitgehend isolierte Irak ist militärisch und innenpolitisch so schwach, daß ein Einmarsch keine hohen Blutopfer forden dürfte. Daß Bagdad an einem realistischen Atomwaffenprogramm arbeitet, erscheint abwegig. Bei denkbaren Alternativzielen wie dem Iran, der anders als sein Nachbar sehr wohl eine islamistische Bedrohung darstellen könnte, wäre ein Angriff ungleich gefährlicher.

Das offizielle Deutschland steht den fadenscheinigen Rechtfertigungen Washingtons ebenso mit Unverständnis gegenüber wie fast alle anderen Staaten außerhalb Anglo-Amerikas. Man flüchtet sich in die Anlehnung an Frankreich und wird, sobald der casus belli da ist, dennoch das tun, was das Weiße Haus verlangt.

Vielleicht gibt es angesichts der heutigen Schwäche Deutschlands gar keine andere Möglichkeit. Um so mehr sollte das Nachdenken über außenpolitische Perspektiven beginnen. Doch wie könnten diese aussehen?

Zunächst muß unser Land innerlich erstarken. Das heißt, es gilt nicht nur die alte Wirtschaftskraft wiederzugewinnen und überzogene Wohlstandserwartungen und lähmende Bürokratismen abzuwerfen, sondern die Deutschen müssen vor allem mental gesunden. Erst wenn wieder ein Gefühl der Wertschätzung und des Stolzes für die eigene Kultur vorhanden ist, kann deutsche Politik auch jenseits der eigenen Grenzen wirkungsvoll handeln. Auf absehbare Zeit ist aber auf jeden Fall Zurückhaltung geboten. Die Vorherrschaft der USA wird andauern, auch wenn sich bereits erste Kräfteverschiebungen zugunsten Chinas andeuten.

Die aufkommende multipolare Welt eröffnet Deutschland vor allem im östlichen Mitteleuropa, seinem "Vorhof", große Chancen. Dort ließen sich in einem an Bismarcks kluger Diplomatie orientierten Wechselspiel mit den maßgeblichen Mächten - hier den USA, Frankreich und Rußland - neue machtpolitische Spielräume gewinnen.

Kulturpolitisch könnte das, auch wenn man es noch kaum zu hoffen wagt, zu einem Erweckungs- und Wiederentdeckungserlebnis führen. Erweckt aus lähmender Geschichtslosigkeit stieße ein solches Deutschland unweigerlich auf die tiefen Spuren der eigenen Kultur in den Regionen des Ostens.

Als erstes würden die einstigen Ostgebiete des Reiches wieder in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit geraten, dann natürlich das Baltikum, Böhmen und Mähren, die alten k. u. k.-Provinzen Galizien und Bukowina, die Zips, das Banat sowie Siebenbürgen, aber auch die Gottschee, die Wojwodina und Bessarabien. Die deutsche Indistrie hat vielerorts bereits den Fuß fest in der Tür, jedoch oft ohne zu wissen, welch für unser Volk bedeutsames Terrain da betreten wird. Inzwischen übersteigen die Ausfuhren ins östliche Mitteleuropa sowie nach Rußland und in die GUS-Staaten sogar die Exporte in die Vereinigten Staaten.

Jenseits der "mitteleuropäischen Berufung" Deutschlands zeichnet sich langfristig eine Option ab, die sich mit dem Schlagwort "Eurasienpolitik" umschreiben läßt. Der "Eurasismus" ist hierzulande vor allem als eine russische Denkschule bekannt, die Rußland als eigenständiges, vom Westen und westlichem Denken bewußt abgegrenztes euro-asiatisches Reich begreift.

Doch seit einigen Jahren hat sich diese von slawophilen Kräften getragene Ausrichtung zugunsten einer umfassenderen Definition verändert. Geprägt von Vordenkern wie dem durch die französische Neue Rechte beeinflußten Alexander Dugin schließt sie ganz Europa sowie mindestens den asiatischen Teil der Russischen Föderation ein. Demnach soll sich "Eurasien", das weit weniger Unterschiede aufweise als das begrifflich vereinheitlichte (Nord- und Süd-) Amerika, seiner Kraft bewußt werden und gemeinsam die "Befreiung Europas aus der Rolle eines US-Protektorats" erreichen.

Im deutschen Sprachraum vertritt diese Vorstellungen das nur übers Internet verfügbare Eurasische Magazin. Unter der Leitung des Verlegers Hans Wagner fordert es einen " eurasischen Föderalismus, der den Großkontinent als eine strategische Einheit formt, aber mit ethnisch-kultureller und wirtschaftlicher Autonomie für seine hundert Einzelstaaten." Der Internet-Auftritt des Magazins ist auch abgesehen von den "eurasischen" Theorien lesenswert. So wird eine aktive deutsche Sprachpolitik angemahnt, es gibt gute Rußland-Reportagen, und der Nutzer bekommt vielfältige Verweise auf andere Internetseiten.

Zwar können die geschichtlichen Grundlagen für den Eurasismus, sprich die Annahme einer schon bei den alten Griechen begonnenen "künstlichen Teilung" des Großkontinents, mit einigem Recht bestritten werden, dennoch hat die Idee ihren Reiz. Manches spricht sogar dafür, daß sie spätestens im nächsten Jahrzehnt auch realpolitisch die Gemüter bewegt.