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01.02.03 / Und es gibt doch Engel oder Wie ein plötzliches Ereignis den Alltag verwandeln kann

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. Februar 2003


Und es gibt doch Engel oder Wie ein plötzliches Ereignis den Alltag verwandeln kann

Es war ein Kaffeenachmittag wie immer gewesen, nur diesmal waren die Gespräche der Frauen ernsterer Natur; denn wie aus dem Nichts war die Frage aufgetaucht: Gibt es Schutzengel oder nicht?

Einige glaubten fest an die Helfer Gottes, andere hatten nur abgewinkt. Auch Aurelia lächelte skeptisch, sagte dann nachdenklich: "Es gibt so viel Leid unter den Menschen; viele haben schreckliche Unfälle oder werden mißhandelt, sogar kleine Kinder. Wo sind denn da die Schutzengel, die Hüter der Menschen?" - "Mein guter Geist muß wohl gerade frei gehabt haben, als ich überfallen und beraubt wurde", sagte eine Frau in der Runde und zeigte auf ihr Gesicht, in dem Prellungen und Kratzer noch nicht ganz verheilt waren. - Aurelia dachte nicht mehr an dieses Gespräch, die Arbeit als Hausfrau und Mutter ließ ihr kaum Zeit zum Denken. Erst bei einem Ausflug ins Grüne bekam das Thema "Engel" eine Bedeutung für sie, denn sie hatte ein merkwürdiges Erlebnis:

Es war ein sonniger Nachmittag, als sie mit ihrer Familie durch eine Stadt ging, die durch ihre schönen Fachwerkhäuser und Museen bekannt ist. Sie hatten gerade die verkehrsberuhigte Zone verlassen und liefen an einer stark befahrenen Straße entlang, deren Bürgersteig stellenweise so schmal war, daß sie hintereinander gehen mußten. Aurelia lief als letzte hinter ihrer Familie her. Neben ihnen rasten die Autos vorüber, kein Fahrer schien das vorgeschriebene Tempo 50 einzuhalten. Aurelia drückte sich ängstlich an den Häusern vorbei und rief ihren Kindern immer wieder zu, doch vorsichtig zu sein.

Jetzt wurde der Bürgersteig so schmal, daß sie drei, vier Schritte auf der Straße laufen mußte. Plötzlich spürte sie eine leichte, fast unwirkliche Bewegung nach rechts, etwas drückte sie zur Seite an die Hauswand, und in dieser Sekunde donnerte ein Lastwagen dicht an ihr vorüber. Wäre sie noch auf der Fahrbahn gewesen, hätte dies ihren sicheren Tod bedeutet.

Danach war Aurelia längere Zeit sehr still. Noch spürte sie die leise, aber drängende Berührung, die sie gerettet hatte. Ihre Familie hatte von alldem nichts bemerkt, doch jetzt fragte die jüngste der Töchter: "Warum sagst du nichts, Mama? Du bis doch sonst nicht so schweigsam."

Aurelia fand keine Worte, um zu schildern, was sie gerade erlebt hatte. Es hätte unglaubwürdig geklungen, wenn sie geantwortet hätte: "Ich hatte gerade eine Begegnung mit meinem Engel." Sie war davon überzeugt, daß es ihr persönlicher Schutzgeist gewesen war, der sie eben bei der Hand genommen hatte. Doch das würde sie ihnen später in einer stillen Stunde erzählen. Jetzt lächelte sie nur und sagte: "Ich bin ein bißchen müde. Aber wir sind ja gleich am Ziel." Am liebsten wäre sie jetzt ganz allein gewesen, in einem Wald oder zu Hause in ihrem Garten; zu nah war noch das seltsame Geschehen und zu unbegreiflich. Aber es war auch schön, dieses Gefühl von Beschütztsein, und irgendwie beruhigend.

Als sie wieder mit ihren Freundinnen am Kaffeetisch zusammensaß, schnitt sie das Thema "Schutzengel" noch einmal an, denn mittlerweile hatte sie ihr Erlebnis überdacht und verarbeitet. "Ach, das hast du dir nur eingebildet", rief die Frau mit dem verletzten Gesicht. Eine andere sagte, es sei ganz sicher nur der Sog des riesigen Fahrzeugs gewesen, der sie nach rechts gedrückt hatte. Aurelia schüttelte den Kopf. "Auf dieser Straße machte einem nicht nur der Lärm der Autos das Hören schwer, sondern auf der gegenüberliegenden Seite wurde am Pflaster gearbeitet und ihr wißt ja alle, wie laut so ein Preßlufthammer rattert. Ich habe den Lastwagen gar nicht wahrgenommen. Glaubt mir, ich bin nach rechts gedrückt worden, als das Auto knapp hinter mir war, und als es dicht an meiner Seite fuhr, habe ich schon das Haus neben mir umarmt." Sie lächelte, sah dann ernst in die ungläubigen Gesichter ihrer Freundinnen und sagte mit bewegter Stimme: "An diesem Nachmittag habe ich einen Augenblick gespürt, daß da noch etwas ist in unserem Leben, das wir mit unserem Verstand nicht erfassen können, und ich glaube jetzt ganz fest: es gibt doch Engel." Niemand widersprach ihr. Gabriele Lins