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08.02.03 / Eine Frage von Krieg und Frieden / Vertriebene müssen die künftige EU-Verfassung ablehnen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08.Februar 2003


Eine Frage von Krieg und Frieden / Vertriebene müssen die künftige EU-Verfassung ablehnen
von Bernhard Knapstein

In Kreuth hat die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag auf einer Klausurtagung über das Für und Wider von Volksentscheiden gestritten. Konkret ging es um eine europaweite Volksabstimmung über die zukünftige EU-Verfassung.

Mit der EU-Verfassung soll ein Pfahl in die Erde Europas gerammt werden, der zum Maßstab aller Werte- und Rechtsordnungen der europäischen Völker in der künftig um Tschechien, Slowenien, Polen und anderen Staaten erweiterten EU werden wird. Der Maßstab aller Dinge, an dem gut von böse unterschieden werden kann.

Basis der künftigen Verfassung ist die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die am 7. Dezember 2000 in Nizza feierlich proklamiert worden ist. Sie bestätigt unter anderem die Würde des Menschen (Art. 1), das Eigentumsrecht (Art. 17) und das Diskriminierungsverbot (Art. 21). Dabei berufen sich die Urheber in den Erläuterungen zur Charta beständig auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts. Zu diesen allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts gehören unter anderem aber schon die in der Haager Landkriegsordnung von 1907 verankerten Normen, die die Bevölkerung militärisch besetzter Gebiete vor Übergriffen auf Zivilpersonen, im weitesten Sinne auch Vertreibung und Enteignung schützen sollen. Regeln, die auch in späteren Jahrzehnten zum Beispiel in der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 zum Ausdruck gekommen sind.

Aber welchen Stellenwert haben solche Normen, die Ausdruck einer humanen Werteordnung sind, in der Europäischen Union? Der historische Hintergrund der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften liegt in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ziel war es, Deutschland in ein europäisches Konzept einzubinden, um dadurch - insbesondere aus französischer Sicht - deutsche Aggressionen künftig zu verhindern. Das Konzept war auf der Kontrolle der kriegswichtigen Ressourcen Atomenergie, Kohle und Stahl aufgebaut. Auch der EU-Vertrag vom 7. Februar 1992 befaßt sich vorrangig mit der inneren Verfaßtheit, der Angleichung der Rechtssysteme und der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, nicht aber mit den elementaren Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, den Menschenrechten. Bisher war die Europäische Union in diesem Sinn ein supranationaler Staatenbund und kein Bundesstaat mit eigener Verfassung. Daran hat auch die gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion nichts geändert.

Die Charta der Grundrechte weist nun aber in eine neue Richtung. Der EU soll sukzessive eine neue Qualität angedeihen. Dabei wächst diese neue Qualität nicht von unten, sondern wird von den Organen der EU, Parlament, Kommission und Rat, dem Wirtschaftseinheitskonstrukt "EU" übergestülpt. Künstlich wird hier aus einem Staatenbund ein Bundesstaat erzeugt. Wir mögen vom Bundesstaat noch weit entfernt sein, doch der Weg dorthin führt offensichtlich nur über die Auflösung der Vaterländer. Die Umschichtung legislativer Kompetenzen von nationaler auf europäische Ebene ist seit Jahren im vollen Gange, wobei eine Beteiligung der Bevölkerung am Prozeß der politischen Willensbildung unterbleibt.

Auch die auf der Charta der Grundrechte beruhende Verfassung muß herz- und seelenlos bleiben, sei sie nun durch einen Volksentscheid legitimiert oder durch die EU-Organe aufoktroyiert. Der Zweifel an dem Bestehen einer umfassend auf den Menschenrechten basierenden Werteordnung in der EU ist aber schon jetzt berechtigt. Grundrechte-Charta und allgemeines Völkerrecht haben nämlich nicht verhindert, daß Millionen entrechteter Europäer auch in der erweiterten EU entrechtet bleiben werden. Das Jahr 2002 war in diesem Sinne in vertriebenenpolitischen Fragen ein entscheidendes Jahr.

Es galt vor dem Beitritt der östlichen EU-Anrainerstaaten zu verhindern, daß die Vertreibungs- und Entrechtungsdekrete bzw. deren nachhaltige Wirkung in die Rechts- und Werteordnung der EU Eingang finden werden. Es galt dafür Sorge zu tragen, daß das Recht auf die Heimat einen bedeutenden Stellenwert in den Beitrittsverhandlungen bis zur Kopenhagener Konferenz Ende 2002 erhält und im Ergebnis auch durchgesetzt wird. Es galt dafür Sorge zu tragen, daß vor dem Beitritt Polens der Schutz der deutschen Volksgruppe in den unter polnischer Souveränität stehenden Oder-Neiße-Gebieten nicht nur verfassungsrechtlich geschützt, sondern auch innerstaatlich manifestiert wird. Es galt dafür Sorge zu tragen, daß die Königsbergfrage nicht nur auf die Frage nach Transitregelungen reduziert wird, sondern einen ganzheitlichen Lösungsansatz unter Einbeziehung der Ostpreußen erfährt.

In der Retrospektive war das Jahr 2002 für die deutschen Heimatvertriebenen zugleich ein Jahr der Rückschläge und Niederlagen.

Tatsache ist, daß die Wirkung aller Vertreibungs- und Enteignungsdekrete in den Bestand der europäischen Union Einzug halten wird. An der Spitze und als Krönung der Wertlosigkeit der europäischen (Menschen-)Rechtsordnung wird das tschechische Straffreistellungsgesetz von 1946 - und mit ihm der zeitweise legalisierte Mord und Totschlag an Deutschen und Ungarn - seine Gültigkeit behalten. Die Mörder, so denn sie nicht verstorben sind, werden nicht nur straffrei, sondern auch als geachtete Bürger unter uns leben. Politiker, die des öfteren mit populistischen Aussagen den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, wie der tschechische Politiker Milos Zeman werden geehrte Politiker sein und die europäische Werteordnung nach außen vertreten. Gestützt wurde dieses Faktum zuletzt durch ein die Menschenrechte deformierendes Rechtsgutachten des Heidelberger Rechtsgelehrten Jochen A. Frowein, der gemeinsam mit zwei Kollegen insbesondere das Straffreistellungsgesetz von 1946 mit der europäischen Rechts- und Werteordnung für kompatibel erklärt hat. Spitze des Unerträglichen ist aber, daß das Gutachten von Kommission und EU-Parlament akzeptiert und zur Grundlage der weiteren Politik gemacht worden ist. Das EU-Parlament ist sogar noch darüber hinausgegangen. Einer Entschließung "zu den Fortschritten jedes Bewerberlandes" vom 20. November 2002 zur Folge, empfiehlt das EU-Parlament nach dem Vorbild der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 eine "Europäische Erklärung", in der die Beitrittsländer ihr Bedauern über die im und nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Ausdruck bringen sollen. Dies ist blanker Zynismus und eine schallende Ohrfeige für alle Heimatvertriebene. Der Wert der Kohl'schen Grabplatte in der sudetendeutschen Frage, denn nichts anderes sollte die Erklärung von 1997 sein, hat sich am 24. April 2002 gezeigt, als im tschechischen Parlament in Prag die Vertreibung von allen Fraktionen und mit 100 Prozent der abgegebenen Stimmen im Rahmen einer Entschließung noch einmal feierlich bestätigt worden ist. Der tschechische Sozialdemokrat Vladimir Spidla, dessen politische Karriere ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat, nannte etwas später die Vertrei- bung eine "Quelle des Friedens".

Und nun soll diese deutsch-tschechische Erklärung, die im Land der Vertreiber Hohn und Spott über die Opfer nach sich zog, Grundlage für eine entsprechende Europäische Erklärung werden? Tatsache ist, daß das Recht auf die Heimat im Rahmen der Beitrittsverhandlungen 2002 keine Rolle gespielt hat, ja noch nicht einmal angesprochen worden ist.

Tatsache ist auch, daß die Kommission in ihrem Bericht 2002 über die Fortschritte Polens auf dem Weg zum Beitritt die innerstaatliche Umsetzung des Menschenrechts- und Minderheitenschutzes als nur teilweise erfolgt festgestellt und seine vollständige Umsetzung nicht gefordert hat. Auch habe sich "in puncto Eigentumsrückgabe fast nichts bewegt", so die EU-Kommission in ihrem Bericht. Gleichwohl, - das geforderte Restituierungsgesetz ist für den Beitritt keine conditio sine qua non.

Tatsache ist nicht zuletzt, daß die Kommission sich in der Königsbergfrage zwar den Souveränitätsinteressen Moskaus beugen mußte und daher nur über eine Transitregelung verhandeln konnte. Aus mehreren Gesprächen zwischen Funktionsträgern der LO einerseits und EU-Politikern und Diplomaten aus Parlament und Kommission andererseits ergibt sich allerdings auch, daß ein Konzept für die künftige EU-Enklave Königsberg nicht im Ansatz vorhanden ist, welches eine ganzheitliche Lösung erkennen läßt.

Die Relevanz der Vertriebenen bei der politischen Willensbildung ist in Deutschland gering und in den Institutionen der Europäischen Union kaum noch wahrnehmbar. So wenig wahrnehmbar wie die Menschenrechte in der europäischen Rechts- und Werteordnung, also jene Grundsätze und Vorstellungen vom zwischenmenschlichen Miteinander, die in die Verfassung der EU einfließen sollen.

Konsequent werden die Vertriebenen sein, wenn sie - unabhängig von ihrer grundsätzlichen Zustimmung zur Osterweiterung der EU - für einen Volksentscheid über eine künftige EU-Verfassung kämpfen und dann geschlossen gegen den Verfassungsentwurf stimmen. Das gebietet schon die Würde der Entrechteten.

Der frühere Bundeskanzler Kohl nannte die Einführung des Euroseinerzeit etwas drohend eine Frage von Krieg und Frieden. Tatsächlich aber wird wohl die Durchsetzung des allgemeinen Völkerrechts und der individuellen Menschenrechte eine Frage von Krieg und Frieden sein und die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union besiegeln.

EU-Verfassungsentwurf: Im Oktober 2002 legte Valery Giscard d'Estaing (l) dem Präsidenten der EU-Kommission Romano Prodi (r) den ersten Entwurf für eine EU-Verfassung vor. Der Text behandelt Prinzipien, Aufgaben, Ziele, Kompetenzen und Funktionsweise der EU nach der Osterweiterung. Der Inhalt besagt, in welchen Bereichen die EU allein kompetent ist, wo sie Aufgaben mit den Mitgliedstaaten teilt und wo diese allein zu entscheiden haben. Zahlreiche strittige Fragen läßt der Verfassungsentwurf jedoch noch offen.