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08.02.03 / Vor 60 Jahren kapitulierte die 6. Armee in der Stadt, die Stalins Namen trug

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08.Februar 2003


Die Wende an der Wolga
Vor 60 Jahren kapitulierte die 6. Armee in der Stadt, die Stalins Namen trug
von Klaus Gröbig

Nachdem Generalfeldmarschall Paulus am 31. Januar in russische Gefangenschaft gegangen war, streckte am 2. Februar 1943 auch General Strecker mit den sechs Divisionen seines XI. Armeekorps die Waffen. Damit war der Kampf um Stalingrad zu Ende.

Nach dem gescheiterten Sturm auf Moskau sollten die kaukasischen Ölquellen das Ziel der deutschen Sommeroffensive im Jahre 1942 sein. Zu einer Zeit, als noch die sowjetische Winteroffensive 1941 lief, ließ Hitler entsprechende Pläne ausarbeiten. Von Kursk und Rostov ausgehend waren Woronesch, Stalingrad und Astrachan die ersten Ziele. Erst anschließend sollte der Vorstoß in den Kaukasus zu den Ölquellen geführt werden. Je weiter die Angriffsarmeen vordringen würden, desto länger wären ihre Flanken. Ihre Sicherung sollte von verbündeten Armeen, sprich Italienern, Ungarn und Rumänen übernommen werden. Die sogenannte Führerweisung Nr. 41 begann mit der Behauptung, daß der Russe "die Masse seiner für spätere Operationen bestimmten Reserven in diesem Winter weitgehend verbraucht" habe - eine fatale Fehleinschätzung.

Auf der Krim stürmte die 11. Armee in der Zeit vom 7. Juni bis 3. Juli 1942 die Festung Sewastopol. Damit war die Voraussetzung für den Vorstoß im Kaukasus gegeben. Zuvor waren am 30. Juni 1942 die 4. Panzerarmee, die 6. Armee und die 2. ungarische Armee aus dem Raum Kursk Richtung Woronesch am Don aufgebrochen. Auf halbem Weg bei Oskjol sollte ein Kessel gebildet werden. Aber der Kessel war leer. Die Rote Armee hatte sich rechtzeitig zurückgezogen.

Vor Beginn der Offensive waren Teile der deutschen Pläne erbeutet worden. Ein übriges leistete der kommunistische Spionagedienst. Stalin zog seine Schlüsse, er war nicht gewillt, die Fehler des Jahres 1941 zu wiederholen, die ihn ganze Heeresgruppen gekostet hatten. Der Vormarsch der Wehrmachtsverbände vollzog sich in atemberaubender Geschwindigkeit - allerdings marschierten auch die Sowjets - alles Richtung Osten. Am 9. Juli 1942 sollte die zweite Kesselschlacht geschlagen werden. Die 1. Panzerarmee und die 17. Armee traten am Südflügel der Heeresgruppe Süd zum Angriff an. Die 6. Armee sollte dieser Gruppe von Woronesch aus entgegenstoßen. Zwischen Don und Donez sollte ein zweiter Kessel gebildet werden. Aus dem Raum Stalingrad sollte dann der Vorstoß in den Kaukasus geführt werden. Auch diese Kesselbildung mißlang. Die Rote Armee zog sich hinter Don und Wolga weiter zurück. Nun stand das ganze Unternehmen auf der Kippe.

Hitler beschloß daraufhin sein Führungspersonal auszutauschen. Gleichzeitig wurde die Heeresgruppe Süd in zwei neue Heeresgruppen aufgeteilt. Die Heeresgruppe "A" zunächst von Feldmarschall List, später von Hitler selbst geführt, sollte in den Kaukasus vorstoßen. Die Heeresgruppe "B" mit vier verbündeten Armeen sowie zwei deutschen Armeen sollte die lange Front des Don von Woronesch bis zur Wolga verteidigen und Stalingrad einnehmen. Generalfeldmarschall von Bock mußte das Kommando an Generalfeldmarschall von Weichs abgeben. Hitler reiste persönlich an, um die Operationen zu überwachen. Das änderte aber nichts daran, daß auch die südlich Rostov geplante Kesselschlacht mißlang.

Einsam zog die 6. Armee Richtung Stalingrad. In ihrem Verband kämpfte die 24. Panzerdivision aus dem Wehrkreis I (Königsberg/Preußen) und die 60. Panzergrenadierdivision aus dem Wehrkreis XX (Danzig), während die übrigen Einheiten der 6. Armee überwiegend aus Mittel- und Süddeutschland stammten. Nicht weniger als 30 Divisionen verbündeter Mächte, gegliedert in vier Armeen, wurden zu ihrer Sicherung herangezogen. Deren Artillerie- und Panzerabwehrausrüstung war unzureichend und mit jener der Roten Armee nicht zu vergleichen. Neuzeitliche Panzerabwehrkanonen - namentlich solche, die in der Lage waren, die sowjetischen T 34 abzuschießen - waren nicht vorhanden. Die rumänische Artillerieausstattung stammte teilweise noch aus der Zeit vor der Jahrhundertwende. Gleichzeitig zog Hitler deutsche Verbände wie zum Beispiel drei SS-Divisionen sowie die 6. und 7. Panzerdivision des Heeres von der Front nach Frankreich ab. Schließlich wurde die 11. Armee des Generalobersten von Manstein nach der Eroberung der Krim mit acht Infanteriedivisionen nach Leningrad verlegt, um diese Stadt einzunehmen.

Die Heeresgruppe "A" kam nach Anfangserfolgen im Kaukasus nicht weiter voran. Bis zum Fluß Terek gelang der Vorstoß. Dann reichte die Kraft nicht mehr. Hitler tobte, aber es half nichts. Eine Frontlücke zwischen der Heeresgruppe "A" und "B" von rund 200 Kilometern wurde von einer einzigen Panzergrenadierdivision "spähtruppmäßig" überwacht. Inzwischen war die 6. Armee in das Stadtgebiet von Stalingrad eingebrochen. Der Befehlshaber der 62. sowjetischen Armee, General Lopatin, wollte die Stadt bereits aufgeben. Seine Divisionen waren zerschlagen und zählten oft nur noch einige hundert Mann. Stalin setzte Lopatin ab und holte General Tschuikow. Der mobilisierte erst einmal die Zivilbevölkerung. Die wehrfähige männliche Bevölkerung stand ohnehin schon an der Front. Von 445.000 Einwohnern wurden insgesamt 135.000 Greise und Halbwüchsige, darunter 3.000 minderjährige Mädchen und 7.000 13-16jährige Jungen der kommunistischen Jugendorganisation "Komsomol", als zusätzliche "Soldaten" der 62. Armee zugeteilt. Das war der totale Krieg. Fabrikarbeiter fuhren mit den von ihnen montierten Panzern direkt auf das Schlachtfeld. Das "Verheizen" dieses "Kanonenfutters" verschaffte Tschuikow die Zeit bis zum Winter, wo die Rote Armee zur Winteroffensive antreten wollte. Bis dahin mußte Stalingrad gehalten werden.

Hitler verstärkte die 6. Armee lediglich durch fünf Pionierbataillone. So mußten immer mehr deutsche Divisionen in das Stadtgebiet verlegt werden. Die frei werdenden Frontabschnitte gingen in die Verantwortung rumänischer Verbände über. Im Ok-tober befand sich vier Fünftel des Stadtgebiets unter der Kontrolle der Wehrmacht. Bereits zu dieser Zeit konnte die Luftwaffe einen ganz massiven Aufmarsch an den Frontabschnitten der Rumänen beiderseits der 6. Armee beobachten. Anfang November hielt Tschuikow lediglich noch ein paar Fabrikgebäude und einige Kilometer am Ufer der Wolga. Angesichts des bedrohlichen Aufmarsches befahl Hitler am 4. November die 6. Panzerdivision aus Frankreich nach Rußland. Aber nun war es zu spät.

Am 19. November griff die Rote Armee an. Schon nach 80 Minuten war die Front der 3. rumänischen Armee zerschlagen. Nur eine Kavallerieeinheit leistete tagelang Widerstand. Am Abend hatten die Angriffsspitzen bereits 50 Kilometer gewonnen. Gleichzeitig erfolgte auch ein Angriff bei der 4. rumänischen Armee. Beide sowjetischen Angriffsspitzen reichten sich am 23. November bei Kalatsch am Don die Hand. Die 6. Armee war nun eingeschlossen. Die 3. rumänische Armee hatte aufgehört zu bestehen. 75.000 Soldaten waren tot oder gefangen. Die 4. rumänische Armee war schwer angeschlagen. Die 6. Armee verfügte damals über mehr als 200.000 Soldaten, sowie 20.000 kriegsgefangene Russen, von denen viele als sogenannte Hilfswillige in der Wehrmacht ihren Dienst taten.

In den ersten Nachkriegsjahren hat man deutscherseits den verbündeten Armeen den Vorwurf gemacht, nur unzuverlässig gekämpft zu haben. Dieser Vorwurf ist aber teilweise ungerechtfertigt, denn die Ausrüstung der Rumänen, Ungarn und Italiener mit schweren Waffen war erbärmlich. Ein Panzer vom Typ T 34 war nur mit großkalibrigen Panzerabwehrkanonen aufzuhalten. Diese waren bei den Verbündeten Mangelware. Was italienische Soldaten leisten konnten, zeigte die Fallschirmdivision "Folgorre" bei El Alamein. Diese Einheit war aber mit modernsten Waffen ausgerüstet.

Im November 1942 standen 39 deutsche Divisionen in Frankreich. Kein Absolvent einer Kriegsakademie wird erklären können, warum die Wehrmacht bei einer entscheidungssuchenden Offensive wesentliche Teile ihrer Angriffsverbände einfach "stillegte". Ihre spätere Verlegung von Frankreich nach Rußland dauerte wochenlang.

In der Krise wechselte Hitler wieder das Führungspersonal. Generaloberst von Manstein, als preußisch-monarchistisch eingestellter An- hänger des Generalobersten Fritsch bei Hitler trotz seiner Verdienste wenig geschätzt, wurde herbeibe-fohlen, um das Unmögliche möglich zu machen. Hitler wollte Stalingrad nicht räumen, um die 6. Armee zu retten. Er verlangte von Manstein die "Wiederherstellung" der Lage. Ohne zusätz-liche Kräfte war dies unmöglich, denn auch die erkämpften Positionen im Kaukasus wollte Hitler nicht aufgeben. So vertat Hitler die Gelegenheit mit einem sofortigen Ausbruch aus Stalingrad zumindest die über 200.000 Mann zu retten. Einer der Gründe für Hitlers Haltebefehl war Görings Zusage, er werde mit "seiner" Luftwaffe die 6. Armee versorgen. Nur an zwei Tagen kamen 300 Tonnen Nachschub nach Stalingrad.

Am 12. Dezember 1942 traten drei Panzerdivisionen zum Entsatzangriff an. Die Entfernung: 100 Kilometer. Der Angriff kam gut voran. Nach einer Woche waren die Entsatzkräfte bis auf 50 Kilometer herangekommen. General Jeremenko funkte an Stalin: "Es besteht die Gefahr, daß Hoth in den Rücken unserer 57. Armee stößt, die den Südwestrand des Stalingrader Kessels zuhält. Wenn Paulus in diesem Augenblick aus dem Kessel nach Südwesten angreift, wird es schwer, seinen Ausbruch zu verhindern." Stalin antwortete ihm: "Du hältst, wir schicken Reserven." Die Furcht war unbegründet. Hitler hatte den Ausbruch verboten, obwohl Manstein dies forderte. Am 22. Dezember 1942 begann die sowjetische Offensive gegen die 8. italienische Armee. Das Ergebnis war ähnlich wie bei den Rumänen. Der Entsatzangriff mußte abgebrochen werden. Die Kräfte standen davor, selbst eingekesselt zu werden. Weihnachten 1942 war der letzte Termin, zu dem ein Ausbruch hätte gewagt werden können. Die schweren Waffen wären wegen Treibstoffmangel verloren gewesen, aber 200.000 Mann hätte man wahrscheinlich retten können.

In der Nachkriegszeit haben Kritiker Manstein und Paulus den Vorwurf gemacht, sie hätten befehlswidrig ausbrechen sollen. Das Beispiel des sowjetischen Generals Lopatin zeigt, daß dies gar nicht möglich war. Manstein wie Paulus wären sofort ihrer Kommandos enthoben worden. Andere wären an ihre Stelle getreten. Erst im Februar 1943 räumte der SS-General Hauser entgegen Hitlers Befehl die Stadt Charkov. Hitler zeterte - aber er ließ ihn gewähren. Dies geschah unter dem Eindruck der gerade erfolgten Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad. Andere deutsche Generäle haben in ähnlichen Lagen Befehlsverweigerungen mit dem Leben bezahlt. Noch im April 1945 wurde der General Lasch wegen seiner Kapitulation in Königsberg zum Tode verurteilt.

Den ganzen Januar über leistete die 6. Armee Widerstand und band eine große Zahl sowjetischer Armeen. Hierdurch gewann Manstein Zeit mit eilig aus Frankreich herbeigeschafften Divisionen am Donez eine neue Front aufzubauen. Ab Mitte Januar war die Kraft der Armee zu Ende. Noch lebten die Männer, wenn sie auch kaum noch kämpfen konnten. Am 16. Januar 1943 fiel der Flugplatz Pitomnik. Die Luftversorgung brach damit zusammen. Manstein befürwortete nun eine Kapitulation der 6. Armee, denn sie hätte ihre "Pflicht getan". Hitler untersagte dieses und machte Paulus noch zum Generalfeldmarschall in der Erwartung, er werde sich selbst den Tod geben. Hitler: "Paulus hat vor der Geschichte versagt". Zu Manstein sagte Hitler, er übernehme die "volle Verantwortung" für die 6. Armee. Manstein erkannte erst Monate später, daß dies anders gemeint war, als er es verstanden hatte. Der "kleine Landser" war Hitler egal. Er war bereit, bedenkenlos Massen an Menschen zu opfern. Dieses unterschied ihn fundamental von allen bisherigen preußischen und deutschen Generälen. Von den 90.000 Gefangenen von Stalingrad kehrten nur 6.000 Mann zurück.

Stalingrad wurde vom Propagandaminister Göbbels zum Mythos stilisiert. Göring, dessen großmäulige Zusage das Unglück erst heraufbeschworen hatte, bemühte gar die griechische Mythologie der Spartaner, die unter ihrem König Leonidas den Termophylenpass verteidigt hatten und bis auf den letzten Mann gefallen waren.

In der Nachkriegszeit wurde versucht, Stalingrad filmisch aufzuarbeiten. "Hunde wollt ihr ewig leben" ist nach wie vor als herausragendes Werk zu nennen. "Der Arzt von Stalingrad" nach dem Roman von Konsalik hat mit der Schlacht gar nichts zu tun und Josef Vilsmeiers Film "Stalingrad" gipfelt nach guten und realistischen Ansätzen in einer tumben Anklage gegen den "preußischen" Offizier.

General de Gaulle hat bei einem Besuch Rußlands das Stadtgebiet Stalingrads besichtigt und ausgerufen: "Welch ein Volk, was für eine Armee." Er meinte damit die Deutschen - nicht die Sowjets. Aber auch in Rußland beginnt ein gemeinsames Gedenken in Würde dem Haß früherer Jahre Platz zu machen. Gleiches läßt sich über Deutschland nicht sagen. Man denke nur an das Verhalten des Bundestagspräsidenten Thierse anläßlich des letztjährigen Volkstrauertages (siehe Folge 47/02). Dazu paßt wieder General de Gaulle: "Den Cha-rakter eines Volkes erkennt man daran, wie es nach einem verlorenen Krieg mit den eigenen Soldaten umgeht."

Eine geschlagene Armee geht in die Gefangenschaft: Von den 90.000 Soldaten, welche die ursprünglich über 200.000 Mann zählende 6. Armee zum Zeitpunkt ihrer Kapitulation vor Josef Stalins Rotarmisten noch besaß, sollten nur 6.000 die Kriegsgefangenschaft in den Lagern der Sowjetunion überleben und Deutschland wiedersehen