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15.02.03 / Gedanken zur Zeit: Jenseits von "Gut" und "Böse"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Februar 2003


Gedanken zur Zeit: Jenseits von "Gut" und "Böse"
von Hans Heckel

Ich verstehe das ganze Hin und Her nicht. Krieg will doch keiner! Außerdem hat Deutschland ja wohl das Recht, selber zu entscheiden, was es tut!" Derlei Antworten auf die Herausforderungen der USA-Irak-Krise hört man dieser Tage nicht nur von schlichteren Gemütern deutscher Zunge. Auch sogenannte Intellektuelle aller politischen Couleurs äußern sich kaum weniger eindeutig und - moralisch einwandfrei. Für das Taktieren der Franzosen wie das Lavieren der Russen fehlt hierzulande buchstäblich das Verständnis. Was wollen die? Sind die nun für oder gegen den Krieg, kurz: auf der Seite der Bösen oder der Guten?

Wer sich ausgiebiger mit Außenpolitik und ihrer Geschichte auseinandergesetzt hat, den muß die derzeitige Debatte beunruhigen. Um eines vorwegzunehmen: Niemand sollte an den ethischen Werten, am Ziel des Friedens und am Recht Deutschlands, seine Position an der eigenen Überzeugung auszurichten, zweifeln. In der klassischen Bündnis- und Außenpolitik jedoch zählen Macht und Interesse. Diese Botschaft ist nüchtern, ja kalt, aber leider wahr. Und zur Wahrung der eigenen Interessen bedarf es der Entfaltung von Macht - welche eine mittelgroße Nation wie die deutsche nur im geschickten diplomatischen Zusammenspiel mit anderen wirksam aufbringen kann. Wer dies aus dem Blick verliert, wird auch mit den edelsten Motiven Schiffbruch erleiden, vielleicht sogar ein Fiasko (für sich selbst!) anrichten.

Solche Einwände hören die Deutschen nicht gern. Die Linke erkennt darin nichts als die Fratze des nationalistischen Machtstaats, der ohne Rücksicht auf Mitmenschlichkeit nur seinem eigenen Vorteil hinterherjagt. Viele Rechte verabscheuen jene simple Wahrheit von der Natur der Außenpolitik aber nicht minder: Sie wittern dahinter die nächste Ausrede deutscher Politiker, warum sie sich mal wieder untergeordnet haben unter vermeintliche Bündnisinteressen oder "unsere europäische" oder "internationale Verantwortung", damit Deutschland abermals das Nachsehen hat.

Das Neue an der derzeitigen Stimmungslage in Deutschland ist, daß sich "linke" und "rechte" Gründe für die Verachtung der klassischen Außenpolitik zunehmend vermischen. Früher waren die Lager klar getrennt. Die Linke argumentierte moralisch: "Wir müssen Politik machen für die Menschen in aller Welt, vor allem für die Schwächeren", hieß es von dort. Die Rechte argumentierte mit der Gerechtigkeit: "Was die anderen dürfen, dürfen wir auch. Warum soll Deutschland immer zurückstecken?" Heute fallen diese beiden einst unversöhnlichen Haltungen immer öfter zusammen. Schröders Diktum vom "deutschen Weg" hat die Parole für die neue deutsche Eintracht allgemeinverständlich ausgegeben. "Für das Gute sein" und "deutsch sein" sind plötzlich ein und dasselbe. Gerade links war dies vor kurzem noch unvorstellbar, was den besonderen Reiz dieser neuen Gemütslage insbesondere für Patrioten ausmacht.

Mögliche realpolitische Folgen von Berlins Hartnäckigkeit werden bei all der Freude über die wiedergefundene Selbstgewißheit gern tiefer gehängt. Denn sie sind weniger erfreulich: Im Sauseschritt sind Bündnisse zerrüttet und Beziehungen wegen eines entlegenen Öl-staates schwer belastet worden, ohne daß - als Ausgleich - ent- sprechende Vorteile für die internationale und europäische Machtstellung Deutschlands erkennbar sind. Achten Frankreich wie Rußland peinlichst darauf, sich in jeder Phase des anschwellenden Konflikts einen entscheidenden Rest Verhandlungsspielraum zu bewahren, hat sich Berlin jenseits aller Regeln diplomatischer Klugheit selbst festgenagelt.

Woher kommt dieser deutsche Hang zur unbedingten Eindeutigkeit? Woher rührt die Fehleinschätzung, keinen Verhandlungsspielraum mehr zu benötigen, keine substantiellen Kompromisse mehr eingehen zu müssen, wenn man sich für das Gute und Gerechte "engagiert"? Von Bismarck haben die Deutschen das jedenfalls nicht gelernt. Er war ein Virtuose auf der Klaviatur von Macht und Interesse. Seine "Moral" war das Interesse Deutschlands, das darauf beruhte, im Rahmen eines kunstvollen Netzes von Bündnissen stabile Verhältnisse zu schaffen, die den Frieden sichern. Nie hätte er sich mit einem seiner ausländischen Partner oder Nachbarn wegen irgendeines Landes in den Fernen Afrikas oder Asiens überworfen.

Die "Moralisierung" der politischen Atmosphäre in Deutschland, nach der die Welt in Gut und Böse, in Recht und Unrecht zu unterteilen und entsprechend rigoros zu verfahren ist, erfolgte lange nach Bismarck. Auch nach dem Ersten Weltkrieg erkannten die Deutschen die außenpolitischen Konstanten von Macht und Interesse noch recht genau. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte jene Moralisierung ein.

Wie kam es dazu? Nun, die Kriegsverlierer begannen groteskerweise damit, die Kriegsmythen ihrer einstigen Feinde mit der historischen Wahrheit zu verwechseln. Selbstredend ist in der Propaganda stets von Gut und Böse die Rede, alles andere würde die Kampfbereitschaft untergraben. Für die historische Analyse als Grundlage des eigenen künftigen Handelns sind diese Kategorien jedoch unbrauchbar. Die Deutschen aber machten die fromme Mär, daß die großen Kämpfe von 1914 bis 1945 um Gut und Böse schlechthin ging, daß allein die Verfolgung edelster Absichten die Seite des Lichts zum Erfolg brachte, zur Basis ihres "geläuterten" Politikverständnisses. Dies ist die Ironie der Geschichte: Jene Supermacht, die zur Zeit schäumt über die naive moralische Radikalität ihres früheren Musterknaben, sollte sich an die Lehrpläne ihrer "Re-education" erinnern. Deren Botschaft war: Die Guten hatten ab 1914 gegen die Bösen gekämpft, nicht etwa konkurrierende Großmächte um ihre Vorteile. Vasallen oder unbelehrbare Pazifisten wurden die Deutschen als "Lehre" daraus. Preußen als Träger eines "deutschen Normalwegs" als kalkulierbare, weil interessengeleitete Macht verfiel der Verdammung.

Das neue deutsche Selbstbewußtsein kommt somit nicht im Gewande Bismarckscher Machtpolitik daher, sondern als Mischung aus patriotisch verstandener Aufmüpfigkeit und eifernder Weltverbesserung. Bei den 68ern hat die Re-education-Saat bekanntlich am besten gefruchtet. Die sind jetzt an der Regierung und tun, was sie aus dem "gelernt" haben, was sie für Geschichte halten. Die Union verfolgt einsam die ältere, die Vasallen-Variante des Nachkriegsmoralismus: Danach seien die USA mit dem Guten identisch und müßten unter allen Umständen unterstützt werden. Erwachsener als der patriotisch verstandene oder der linke Rigorismus ist diese Haltung keineswegs. Über sie hätte Bismarck ebenso gelacht.