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15.02.03 / Ruth Geede berichtet von erfreulichen Leserzuschriften

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. Februar 2003


Lebendige Vergangenheit
Ruth Geede berichtet von erfreulichen Leserzuschriften

Was vergangen kehrt nicht wieder ..." heißt es in dem Gedicht, das von unseren Lesern immer wieder gewünscht wird. Wohl, weil es gerade für uns Vertriebene den Trost bringt: "... aber ging es leuchtend nieder, leuchtet's lange noch zurück!" Und manchmal wird die Vergangenheit auch lebendig, sehr sogar, so daß es scheint, als sei sie noch nicht einmal vergangen. So ergeht es uns mit vielen Beiträgen, die von Orten und Menschen aus der noch unzerstörten, friedlichen Heimat berichten - und die auf einmal in Briefen und Anrufen Gestalt gewinnen. Aus der Vergangenheit wird Gegenwart. Wir haben es mal wieder mit Erstaunen und Freude erlebt und wollen davon anhand von drei Beispielen berichten.

Da hatte ich einen Artikel über unsere so geliebten Martinsvögel geschrieben und speziell über die "masurische Gans", wie sie in unserer Heimat gezüchtet wurde. Als Informationsquelle hatte ich eine 1940 herausgegebene Schrift, "Die Geflügelhaltung der ostpreußischen Landfrau", genutzt und das Titelbild dieses Heftes veröffentlicht. Es zeigt eine junge ostpreußische Landfrau vor dem für unsere Heimat so typisch langgestreckten Wohnhaus mit der hölzernen Veranda, wie sie ihre stattliche Gänseherde füttert. Ein so ansprechendes, liebevolle Erinnerungen weckendes Bild aus fernen Tagen in der Heimat ...

Fern? Es kam ein Brief aus Barendorf in der Lüneburger Heide, und es schien, als würde das Bild lebendig und die Frau in dem hellen Kleid stiege heraus. Und sie bekam auch einen konkreten Namen: Brigitte Laus - allerdings hieß sie damals noch Brigitte Meske, als die Aufnahme auf dem elterlichen Hof in Gr. Ottenhagen, Kreis Samland, gemacht wurde. Ihre Eltern hatten das Anwesen 1925 bei der Aufsiedlung der zu Friedrichstein gehörenden Begüterung übernommen. Das farbige Originalfoto mit der die Gänse fütternden Hoftochter hängt heute im Wohnzimmer ihres Barendorfer Hauses über dem Platz von Frau Laus. Es konnte gerettet werden, obgleich das noch jung verheiratete Ehepaar Gerhard und Brigitte Laus Hals über Kopf Ende Januar 1945 auf die Flucht gehen mußte. Sie waren auf einem Geleitschiff der "Gustloff" und konnten deren Untergang aus der Ferne sehen.

Das sind die bitteren Erinnerungen, die man nicht vergißt. Heute steht das auf dem Titelbild des Heftes abgebildete Bauernhaus nicht mehr, aber die Stallgebäude blieben erhalten - fragt sich nur, in welchem Zustand! Ja, so lebendig ist das alles, wenngleich über 60 Jahre vergangen sind, seit die Aufnahme gemacht wurde. Und als das Ehepaar Laus das Ostpreußenblatt mit meinem Gänse-Beitrag aufschlug, war natürlich die Verwunderung groß.

Auch bei Waltraut Kamm hat ein Artikel große Begeisterung ausgelöst, nämlich der über Georgenswalde unter dem Titel "Ferien an der Samlandküste". Denn Frau Kamm ist eine echte "Georgenswalderin", zwar in Methgethen geboren, in Königsberg zur Schule gegangen, aber als sie 13 Jahre alt war, zog die Familie nach Georgenswalde - die Eltern hatten das Hotel Waldhaus in der Gausupstraße gepachtet. Für Waltraut Meyer begannen herrliche Zeiten, die sie sich nicht nur in der Erinnerung, sondern auch mit vielen Fotos bewahrt hat. Auf einer Aufnahme ist Waltraut mit einigen Mitschülerinnen von der Privatschule von Fräulein Pokahr zu sehen, darunter auch die Tochter des in Warnicken wohnenden Malers Ernst Schaumann, die als Hildegard Grube-Loy auch eine bekannte Malerin wurde. (Siehe Ostpreußenblatt Folge 47/2002 mit dem Nachruf für die am 3. November 2002 verstorbene Künstlerin.)

Das Privatfoto von dem Hotel Waldhaus zeigt das anheimelnde 30-Betten-Haus mit der hübschen Gartenanlage, das auch in dem alten Prospekt von Georgenswalde offeriert wird. Ein ganz besonderes Vergnügen aber hat mir das mitgesandte Foto von der "Ilskefalle" bereitet, das wir unseren Lesern nicht vorenthalten möchten, da es sicherlich auch bei anderen Lesern Erinnerungen weckt. Das Lokal am Ende der Gausupschlucht, schon unten am Strand gelegen, hatte als Wahrzeichen einen riesigen Dreizack. Zu diesem hatte ein Stammgast folgende Verse geschmiedet:

"Einst aß und trank Meergott Neptun

Sich in der Ilskefalle duhn.

Energisch rief sein Weib im Meer:

Bring' mir mal Kaffee, Schlagsahn' her!"

Neptun ging grad "nicht grad" nach Haus,

Kippt beinah' Kaffee, Schlagsahn' aus.

Und ließ, wie Ihr es hier könnt seh'n,

Den Dreizack in der Eile steh'n!"

Nicht nur Nep- tun dürfte in der Ilskefall' versackt sein! Und der Weg zurück durch die Gausup-Schlucht wird schon Puste gekostet haben. Ja, die Schluchten! Sie waren nicht nur traumhaft schön im Sommer. Waltraut Kamm kann sich noch gut an den harten Winter 1929/30 erinnern, als die See weit zugefroren war. Eine Rodelpartie durch die steile Detroit-Schlucht bis auf die See - das war schon was! Darum kann man Frau Kamm verstehen, wenn sie schreibt: "Meine Sehnsucht nach dort ist immer geblieben!"

Ganz anders die Reaktion auf meinen aktuellen Artikel über die Versöhnungsfeier von Katholiken und Protestanten im österreichischen Defereggental im Oktober letzten Jahres, in dem wir auf das Schicksal der ersten, wegen ihres evangelischen Glaubens aus dem Salzburger Land Vertriebenen eingingen. Obgleich der große Exodus unserer - ostpreußischen - Salzburger Vorfahren erst später erfolgte, wurde der Artikel mit Abbildungen dieser Exulanten versehen. Eine der schönsten Bilddokumente ist das der 18jährigen Elisabeth Oberbüchler. Das bezaubernde Bildnis von Antoine Pesne, bevorzugter Hofmaler dreier preußischer Könige, hängt im Anton Ulrich-Museum in Braunschweig, und wurde zum Abdruck dem von der Kulturabteilung der Landsmannschaft Ostpreußen herausgegebenen Schulungsbrief "Die Salzburger in Ostpreußen" entnommen. Über das Leben und Schicksal dieser wohl "bekanntesten" Salzburger Emigrantin sollte und konnte im Rahmen des Defereggenberichtes nicht eingegangen werden.

Das soll nun nachgeholt werden, denn Dr. Rudi Oberpichler wies uns auf den von ihm und Ulrich Gutkowsky verfaßten Beitrag über die neuesten Erkenntnisse über den Lebenslauf der schönen Pongauerin hin, der im Mitteilungsblatt des Salzburger Vereins e.V., "Der Salzburger" (Nr. 154/02) veröffentlicht wurde. Dr. Oberpichler ist ein direkter Nachfahre der Emigrantenfamilie Oberpichler / Oberbüchler, die 1732 in Wensken, Kirchspiel Willuhnen im Kreis Pillkallen, eine neue Heimat fand. Bis zur Vertreibung, also über 200 Jahre, bewirtschaftet die Familie Oberpichler über sieben Generationen hinweg in Erbfolge. Erst der Zweite Weltkrieg hat den Hof Oberpichler und das Dorf Wensken ausgelöscht.

Dr. Rudi Oberpichler kann seine Ahnenlinie bis auf Petrus Oberpichler zurückführen, der um 1526 auf dem - erstmals 1473 namentlich genannten - Gut Oberpüchel im Pongau lebte. Der Besitz geht in direkter Erbfolge 1694 auf Jakob Oberpichler über, den Vater jener Elisabeth, die Pesne malte. Sie ist eines von elf Kindern von Jakob Oberpichler und seiner Frau Katharina, geb. Schattauer. Elisabeth muß mit drei Geschwistern schon im November 1731 die Heimat verlassen, ihre Eltern und zwei Schwestern folgen im nächsten Sommer, sie treffen erst in Ostpreußen zusammen. Über den Verbleib in der neuen Heimat war bisher nichts bekannt - ein Schick-sal, das den meisten Töchtern der Emigranten beschieden war.

Bisher - denn nun ist das Geheimnis um Elisabeth Oberpüchler gelüftet. Wie Ulrich Gutowsky und Dr. Rudi Oberpichler in "Der Salzburger" bewiesen: "Seit einiger Zeit gibt es einen schon mehrfach begangenen ‚Pilgerweg' (ein allerdings überaus kostspieliger Weg) nach Allenstein, auf dem der erstgenannte Autor diverse Male unterwegs war. Im dortigen Staatsarchiv konnte er unter anderem das Geheimnis von Elisabeth Oberbüchler lüften. In Allenstein befinden sich nämlich die Originale von wertvollen Salzburger Akten, den sogenannten "Salzburger Examina", in denen insbesondere Erbangelegenheiten der bis etwa Mitte der 1740er Jahre verstorbenen Emigranten geregelt sind. Sie enthalten unter anderem vollständige Angaben zum aktuellen Stand der Familie, so daß nun schmerzliche Kenntnislücken über den Verbleib einzelner Familienmitglieder in Ostpreußen endlich geschlossen werden können, für jeden Familienforscher ein freudiges Ereignis."

Wie in diesem Fall für Dr. Oberpichler. Denn in den Einträgen über die Verwendung des Nachlasses der vor 1746 verstorbenen Eltern Jacob Oberpichler und Katharina Schattauer taucht auch der Name der zweitjüngsten Tochter Elisabeth auf: "... ist an den Bauern Christoph Schleminger in Bildehnen verheyratet." Die Tochter bleibt damit in der Nähe von Eltern und Geschwistern, denn Bildehnen - später Bilden - liegt nur 1,5 Kilometer östlich von Wensken. Elisabeths Ehemann Christoph Schleminger stammt wie sie aus dem Pongau, vom Einödberg in St. Johann-Altach.

Für den Familienforscher Rudi Oberpichler ging somit ein alter Traum in Erfüllung, insbesondere den Verbleib seiner Ahntante Elisabeth zu klären. Für den Betrachter des Bildes der achtzehnjährigen Emigrantin erscheint es, als hätte es noch mehr an Konturen gewonnen. Die Vergangenheit ist eben noch nicht einmal vergangen ...

 

Ilskefalle: Gemütliches Lokal am Ende der Gausupschlucht Fotos (3): Kamm

Georgenswalde: Hotel Waldhaus in der Gausupstraße

Fröhliche Mädchenjahre: Hildegard Schaumann (v. l.), verheiratete Grube-Loy, Lieselotte Schocher, Waltraut Meyer, verheiratete Kamm, Herta Dombrowski

Bekannteste Salzburger Emigrantin: Elisabeth Oberbüchler Bild: Pesne