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08.03.03 / Die Macht der Multifunktionäre

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. März 2003


Hans-Jürgen Mahlitz:
Die Macht der Multifunktionäre

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust - so beklagte schon Doktor Faustus seine innere Zerrissenheit. Nun müssen es nicht unbedingt zwei Seelen sein; zwei Mitgliedsbücher tun es auch. Zum Beispiel das eine von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, das andere von einer Einzelgewerkschaft im DGB. Dieses eher zweifelhafte Vergnügen "genießen" derzeit 196 von 250 SPD-Bundestagsabgeordneten.

Keine andere gesellschaftliche Gruppierung oder Organisation verfügt über eine ähnlich starke und schlagkräftige Lobby. Jeder Versuch einer SPD-geführten Bundesregierung, gegen den DGB Gesetze oder Reformen durchzusetzen, grenzt an politischen Selbstmord.

Zu Recht kritisiert daher der Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn (ifo-Institut), die Gewerkschaften seien "zu mächtig" und würden "den Wohlstand ihrer Mitglieder zu Lasten der Allgemeinheit vergrößern". Wolfgang Franz, neues Mitglied im Sachverständigenrat, sieht im DGB eine "gefährliche Wachstumsbremse".

Für Guido Westerwelle war schon mitten in der Karnevals-session "Schluß mit lustig": Eine "Plage für unser Land" seien die Gewerkschaften, schimpfte der FDP-Chef. Und Friedrich Merz, sonst nicht unbedingt auf einer Wellenlänge mit dem lockeren Liberalen, sekundierte: Die DGB-Gewerkschaften hätten "ein Würgeeisen um den Hals der SPD gelegt"; so sei das Land "erpreßbar" geworden.

Der Versuch, das "Bündnis für Arbeit" neu aufzulegen, scheiterte nicht zuletzt an den

DGB-Betonköpfen. Wider alle Vernunft sind sie nicht bereit, von Extrempositionen herunterzugehen und so dazu beizutragen, den Karren gemeinsam aus dem Dreck zu ziehen; statt konstruktiver Kompromißbereitschaft signalisieren sie sture Streitsucht, zum Beispiel mit mehr oder weniger illegalen "Warnstreiks". Mit "kapitalistischen" Methoden im Umgang mit Arbeitnehmern können sie sich nur dann anfreunden, wenn sie (in gewerkschaftseigenen Betrieben und in der eigenen Verwaltung) selbst Arbeitgeber sind.

Freilich hüte man sich davor, bei allem berechtigten Zorn über die DGB-Blockadepolitik, die Gewerkschaften gleich ganz abschaffen zu wollen. Der Wohlstand, den wir heute, ein halbes Jahrhundert nach einem total verlorenen Krieg, noch - aber wie lange noch? - genießen können, ist nicht zuletzt auch der Besonnenheit und dem Augenmaß führender Gewerkschaftsfunktionäre jener Aufbauzeit zu verdanken. Tarif- und Sozialpolitik mit der Trillerpfeife oder der Brechstange, Totalkonfrontation um jeden Preis, auch um den noch höherer Arbeitslosigkeit, das ist kein Ausweg aus der momentanen Krise. Die heutigen Gewerkschaftsbosse müssen wieder lernen, über den Tellerrand ihrer eigenen Aufsichtsrats- und sonstigen Mandate hinauszublicken. Zum Beispiel in Richtung Gewerkschaftsbasis: "Die da unten" in den Betrieben haben viel eher kapiert, um was es jetzt geht, als "die da oben" - jene Polit-Multifunktionäre, von denen so mancher zwei Mitgliedsbücher, aber gar keine Seele in seiner Brust hat.