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15.03.03 / Globalisierung in Uniform / Gerd H. Komossa über Strucks Bundeswehr-Reform

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. März 2003


Globalisierung in Uniform
Gerd H. Komossa über Strucks Bundeswehr-Reform

Während diese Zeilen geschrieben werden, ist noch offen, ob US-Präsident Bush - mit oder ohne Rücken- deckung durch den Sicherheitsrat - seine Truppen gegen den Irak einsetzt. Fest steht aber, daß Deutschland sich an einer militärischen Operation nicht beteiligen wird. Es wurde ja bisher auch noch nicht um eine Teilnahme am Krieg gebeten, sieht man von dem Einsatz der Spürpanzer Fuchs in Kuweit, der Leihgabe von Patriot-Raketen und einer Beteiligung an den Aufklärungsflügen der AWACS-Maschinen ab.

Verteidigung der Heimat am Hindukusch und in aller Welt?

Deutsche Soldaten werden nicht nach Bagdad marschieren. Es wäre überhaupt zu fragen, ob sie es denn könnten. Nach Beendigung des Kalten Krieges hat die NATO ihre Strategie und ihre Streitkräfte der neuen Lage durch erhebliche Reduzierung an Soldaten und Material angepaßt. Dabei ist Deutschland voranmarschiert und allein bei der Zahl seiner Waffen weit unter die vereinbarten Obergrenzen zurückgegangen. Ein Beispiel: Das Heer hatte 1990 insgesamt 5.100 Kampfpanzer. Heute sind es nur noch 530. Artillerie, Schützenpanzer und Flugabwehrsysteme wurden in gleicher Weise reduziert.

Die von Rudolf Scharping eingeleitete Strukturreform der Bundeswehr wird nun durch eine neue Reform von Peter Struck überholt. Der Minister erklärte kürzlich, daß er zu spürbaren Einschnitten an der Struktur der Bundeswehr bereit sei. So werden weitere Panzer eingemottet, Schiffe an die Leine gelegt und Flugzeuge - reduziert natürlich - am Boden gehalten. Geschwader der Luftwaffe werden zusammengelegt oder aufgelöst. In zwei Jahren werden 90 von 330 Tornados stillgelegt. Das soll 1,1 Milliarden Betriebskosten sparen. Standorte werden verschwinden; 30 bis 40 sollen aufgelöst werden. Oder vielleicht auch 50? Die Marine verfügt heute über 96 Schiffe und 97 Flugzeuge. Auch hier wird reduziert. Von den 20 Schnellbooten der Klasse 143 in der Ostsee werden zehn außer Dienst gestellt. Struck will in seiner Struktur 3,2 Milliarden Euro einsparen, um, wie er sagt, die Schlagkraft der Bundeswehr für ihre neuen Aufträge zu erhöhen. Wie macht der Minister das wohl?

Struck will den Verteidigungsetat auf der Höhe von 24,4 Milliarden Euro bis zum Jahr 2006 halten. Das bedeutet natürlich eine weitere Etatkürzung jedes Jahr allein schon in Höhe der Lohn- und Preissteigerung. Die Lücke wächst. Der Minister kann sie nicht schließen. Er weiß es auch.

Hat Struck noch vor wenigen Wochen erklärt, an dem Hauptauftrag Landesverteidigung werde sich nichts ändern, so sagte er wenig später, der Hauptauftrag sei nun "globale" Krisenbeseitigung, und erläuterte, daß die Bundeswehr künftig in allen Regionen der Welt eingesetzt werden müsse. Hoffentlich verlangt das niemand wirklich von uns. Struck am 21. Februar: "Ich habe die Neuausrichtung der Bundeswehr jenseits von Landesverteidigung hin zu einer territorial unabhängigen Krisenbewältigung angekündigt. Der damals nicht unumstrittene Satz gilt: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt."

"In allen Regionen einzusetzen"- das erinnert an die Zeit des kalten Krieges, als Admiral Gorschkow, russischer Befehlshaber der Marine, forderte, die sowjetische Marine müsse zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt zuschlagen können. Nun, die deutsche Marine wird sich solchen Aufträgen nicht stellen müssen, aber der deutsche Soldat muß eben damit rechnen, in der neuen Bundeswehrstruktur in allen möglichen Gebieten des Globus eingesetzt zu werden.

Struck ergänzte, daß Landesverteidigung nicht mehr Primärauftrag der Bundeswehr sei. Zweifel sind zulässig, ob das richtig ist. Deutsche Soldaten sind 1956 in die Bundeswehr eingetreten, um unsere Heimat im Falle eines Angriffs hier in Europa zu verteidigen und nicht am Hindukusch oder in Indonesien, auf den Philipinen, im Nahen Osten oder vielleicht wieder in Afrika.

Doch die neuen "Sicherheitspolitischen Richtlinien", an denen zur Zeit im Ministerium gearbeitet wird und die im April in Kraft treten sollen, werden diese globalen Einsätze als die Hauptaufgabe der Bundeswehr ausweisen. Übrigens, die ersten "Sicherheitspolitischen Richtlinien" wurden 1972 unter Minister Schmidt und General de Maizière erarbeitet, diese sahen die Konzentration unserer Bundeswehr auf den Auftrag Landesverteidigung, im Bündnis natürlich, vor. Denn es war immer klar, daß Deutschland sich nicht mehr allein wird verteidigen können.

Der Generalinspekteur soll künftig mehr Befugnisse erhalten und Generalstabschef wie bei den Amerikanern und Russen werden. Die Frage ist, ob wir für die Neuausrichtung der Streitkräfte eine Änderung des Grundgesetzes brauchen.

Heimatverteidigung muß im Bewußtsein der Bürger verankert werden. Sicher ist doch, daß kein Deutscher den Krieg will. Wer uns aufteilen will in Kriegswillige und Kriegsgegner, der tut dies zu einem bestimmten Zwecke. Er dient damit nicht der Wahrheit. Aber die Notwendigkeit, militärische Mittel zur Erhaltung des Friedens einmal doch einsetzen zu müssen, kann niemand in Frage stellen.

Zur Weiterentwicklung der Bun-deswehr wird im Führungsstab der Streitkräfte intensiv gearbeitet mit dem Ziel, Auftrag, Fähigkeiten, Ausrüstung und die zur Verfügung stehenden Mittel in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Der Generalinspekteur hat dem Minister bereits Vorschläge zur Weiterentwicklung der Scharping-Reform gemacht, die allein an der überhöhten Forderung nach Privatisierung gescheitert ist. Der Minister hat von diesen Vorschlägen bereits folgende als Grundlage der weiteren Planung gebilligt:

Das Heer wird gemäß Konzept "Heer der Zukunft" eine ausgewogene Struktur erhalten mit Großverbänden, die zu flexibler Truppeneinteilung befähigt sind. Dabei werden Erfahrungen aus den laufenden Auslandseinsätzen berück-sichtigt. Das heißt vor allem:

die Durchhaltefähigkeit von Fernmelde-, Pionier- und ABC-Abwehrkräften soll verbessert werden.

Das Heer verzichtet auf das zweite Los der Hubschrauber Tiger. Die Ersparnis liegt bei 700 Millionen Euro. Die Luftwaffe wird die Flugab-wehrraketen-Verbände Hawk und Roland schnellstmöglich außer Dienst stellen. Das sind vier gemischte Flugabwehrraketen-Gruppen. Die Luftwaffe übernimmt die Waffensysteme Tornado vom Marinefliegergeschwader 2. Bis Ende 2005 wird die Luftwaffe zwei Geschwader Tornado auflösen. Die Einsparung im Betrieb: 1,1 Milliarden Euro. Die Marine wird zehn Schnellboote der Klasse 143 bis Ende 2005 außer Dienst stellen. Diese Einsparungen sollen die Beschaffung eines neuen Schützenpanzers, des gepanzerten Transport-Kfz, eines taktischen Luftverteidigungssystems und der Korvette ermöglichen.

Struck geht von der Annahme aus, daß der Schwerpunkt der Aufgaben der Bundeswehr auf absehbare Zeit im multinationalen Einsatz und jenseits unserer Grenzen liegen wird. Daher hat er für die Verteidigungspolitischen Richtlinien folgende Kriterien festgelegt:

1. Die Aufgaben der BW werden der geänderten Lage entsprechend neu gewichtet.

2. Eine Gefährdung deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht.

3. Die sicherheitspolitische Lage erfordert eine Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die umfassend angelegt und gemeinsam mit Verbündeten und Partnern organisiert ist.

4. Die multilaterale Sicherheitsvorsorge ist ein grundlegender Bestimmungsfaktor deutscher Verteidigungspolitik.

5. Für die BW stehen Einsätze der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie zur Unterstützung von Bündnispartnern auch über das Bündnisgebiet hinaus im Vordergrund.

6. Die ausschließlich für die Landesverteidigung vorgehaltenen Fähigkeiten werden in aktiven Struk-turen nicht länger benötigt.

7. Die knappen Ressourcen müssen künftig noch stärker als bisher vor allem zur Erfüllung der originär militärischen Aufgaben eingesetzt werden.

8. Für die Beschaffungs- und Aus-rüstungsplanung wird ein fähigkeitsorientiertes Gesamtansatz entwickelt. Rüstungskooperation im europäischen und transatlantischen Rahmen ist hat Priorität.

9. Die BW kann verstärkt und rascher auf die wahrscheinlichsten Aufgaben der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung ausgerichtet werden.

10. Die BW benötigt nach Einsatz-bereitschaft und Präsenz differenzierte Streitkräfte, die schnell und wirksam mit den Streitkräften anderer Nationen eingesetzt werden können.

11. Die Wehrpflicht bleibt in angepaßter Form für Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der BW ohne Alternative.

Nach Vorlage dieser Richtlinien beabsichtigt Minister Struck, weitere Untersuchungen durchzuführen mit dem Ziel, mittelfristig die Synchronisation der Planung von Betrieb und Investition sicherzustellen. Der Minister sagte am 21. Februar: "Ich möchte, daß die Bundeswehr, wo immer sie auch eingesetzt wird, die Mitte der Gesellschaft hinter sich hat. An dieser Akzeptanz, die sich unsere Soldaten auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika, in Kuweit erworben haben, darf sich nichts ändern. Die Bundeswehr, das kann man in diesen Tagen nicht oft genug klarstellen, verteidigt nicht nur am Hindukusch für alle den fragilen Frieden." Ach hätte der Minister doch auch gesagt, daß unsere Bundeswehr von der Politik in ihre volle Fürsorge genommen wird. Die Anerkennung ihres Dienstes, ausreichende finanzielle Mittel, gute Ausrüstung und Fürsorge des Staates, das brauchen unsere Soldaten.

Die innere und äußere Sicherheit für Deutschland hat sich im letzten halben Jahr wesentlich verschlechtert. Die innere Sicherheit ist angespannt. Der Terrorismus hat auch Deutschland in seinem Blick. Die äußere Sicherheit ist - ohne feste Einbindung der NATO und ohne Schulterschluß mit den USA - nicht mehr gewährleistet.

Das diplomatisch ungeschickte Verhalten des Kanzlers hat auch Auswirkungen auf wirtschaftlichem Gebiet. Die geplanten Erweiterungen der US-Infrastruktur in Deutschland sind zunächst angehalten worden. In Grafenwöhr sollten eine Milliarde Euro für 1.600 Wohnungen und in Spangdahlen 33 Millionen ausgegeben werden. Das liegt nun auf Eis. Die Bundesregierung hat nicht erkannt, daß Deutschland mit der Erweiterung der NATO eine andere Rolle hat als bisher, so daß US-Einrichtungen von Deutschland nach Polen und Ungarn verlagert werden können. Auf dem sicherheitspolitischen Parkett ist Deutschland zurückgefallen in das dritte Glied. Das muß eine verantwortungsbewußte Bundesregierung ändern. Und zwar sofort und nachhaltig. Es geht nicht um den Bestand einer Regierung, einer Koalition, es geht um Deutschland und unsere gesicherte Zukunft

Symbolträchtiges Wahrzeichen vor dem UN-Glaspalast am East River - den tief zerstrittenen Interessengruppen im Weltsicherheitsrat bietet sich in diesen Tagen die vielleicht letzte Chance, die Irak-Krise mit militärischem Druck, aber ohne militärisches Eingreifen zu lösen. Foto: imo