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15.03.03 / Hintergrund "erwachsenwerden" hat seinen Preis / Prof. Klaus Hornung antwortet Carl Gustaf Ströhm

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. März 2003


Hintergrund "erwachsenwerden" hat seinen Preis
Prof. Klaus Hornung antwortet Carl Gustaf Ströhm

Im Blick auf die gegenwärtige Irak-Politik der Berliner rot-grünen Regierung verbreitet sich bei der deutschen demokratischen Rechten eine Euphorie unter Schlagzeilen wie "Die Deutschen werden erwachsen", "Aufstand der Vasallen" etc. Gerade weil ich selbst stets für die Normalität deutschen Selbstbewußtseins und unbefangener Wahrnehmung deutscher Interessen eingetreten bin, muß ich meinem alten Freund seit Studenten- tagen, Carl-Gustaf Ströhm, bei aller politischen Übereinstimmung über Jahrzehnte hin in einigen Punkten doch widersprechen.

Die rot-grünen Motive des Machterhalts

Zunächst einmal sollte man sich keinen Illusionen über die Motive des Irak-Kurses von Schröder/Fischer hingeben. Angesichts der schlechten Umfragezahlen vor der Bundestagswahl am 22. September beschlossen die beiden, "das große Rad zu drehen", wie Fischer im August ankündigte, und das Irak-Thema hochzuspielen. Kein anderer als Hans-Ulrich Klose, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Bundestages (SPD), hat das bestätigt: "Als er (Schröder) sich auf das Nein gegen jede, auch UN-gestützte Militäraktion festlegte, bestand keinerlei außenpolitische Notwendigkeit, sich in dieser Frage abschließend zu äußern. Anlaß, sich zu äußern, gaben allein die Umfragewerte für die eigene Partei kurz vor dem Wahlkampfauftakt."

Offensichtlich ging die rot-grüne Spitze auch davon aus, daß ein drittes Mal nach Kosovo und Afghanistan die eigene Basis ihr in der Irak-Frage nicht mehr folgen würde. Im neuen Jahr kommt hinzu, daß die Irak-Debatte und der Verweigerungskurs in Berlin Rot-Grün auch zur Ablenkung von der katastrophalen innen- und wirtschaftspolitischen Lage unseres Landes willkommen sein muß.

Man sollte dem rot-grünen Lager also nicht naiv nationale Motive für den Irak-Kurs unterstellen. Es kann und wird auf seine pazifistisch-internationalistischen Wurzeln nicht verzichten. Hier gäbe es einige Nagelproben, um nachzuweisen, daß das Thema nationales Selbstbewußtsein und nationale Interessen ernst gemeint ist: Rot-Grün hätte dann zum Beispiel darauf verzichten müssen, etwa das Einwanderungsgesetz vom Frühjahr vorigen Jahres in unveränderter Form wieder vorzulegen, in der Einwanderungsfrage also nach wie vor die dauerhafte Zementierung des türkisch-moslemischen Wählereinflusses und damit der eigenen Regierungsmacht gegen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung anzustreben.

Wären in seiner Irak-Politik tatsächlich deutsche Interessen im Spiel, würde Joschka Fischer sich auch nicht geradezu besinnungslos auf die Vertiefung eines supranationalen Europa durch künftige Mehrheitsentscheidungen und einen Europa-Präsidenten zusätzlich zum Kommissionspräsidenten versteifen. Gerade Fischer will Europa nicht als Verbund von Nationalstaaten, wie ihn einst auch das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte, sondern einen mehr und mehr zentralistischen Bundesstaat. Er gehört zu jenen Deutschen, von denen Margret Thatcher einmal gesagt hat, sie seien so sehr für Europa, weil sie nicht mehr willens oder fähig seien, sich selbst zu regieren.

Der dritte, wichtigste Test, zu dem Rot-Grün nicht bereit ist, wäre die Korrektur der immer weiteren materiellen und ideellen Schwächung der Bundeswehr. Deutschland befindet sich heute, gemessen am Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, im unteren Drittel der NATO-Mitgliedsstaaten, bereits hinter Polen oder Ungarn. Die Ausgaben für den Sozialstaat übersteigen heute den Verteidigungshaushalt um das rund Sechsfache.

Der Preis: Abstriche am bequemen Wohlfahrtsstaat

Darin kommt zum Ausdruck, daß die Deutschen sich vor allem als Wohlstandsgesellschaft verstehen, die von weltpolitischen Herausforderungen möglichst ungeschoren bleiben will. Ihre gegenwärtige Si-tuation in der dritten Liga in NATO und EU könnte nur überwunden werden von einer politischen Grundsatzentscheidung, zu der mir die Mehrheit der Deutschen derzeit jedoch nicht bereit zu sein scheint, ganz abgesehen davon, daß sie im jetzigen wirtschaftlichen Desaster des Landes vollends unrealistisch erscheint. Nicht zuletzt wäre eine selbstkritische Überprüfung nötig, inwieweit der deutsche Fundamentalpazifismus, der oft so hochtrabend moralisch daherkommt, bei Licht besehen nicht nur in der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs begründet ist, den nur noch eine Minderheit der heutigen Generationen selbst erlebte, sondern auch eine bequeme ideologische Verhüllung der Gewöhnung an einen Hochwohlstand darstellt, um den man zunehmend fürchtet.

Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Die so überzeugend aussehende Irak-Politik des Duos Schröder-Fischer hat mit wahrhaft deutscher Tumbheit zum völligen Verlust deutscher Mitsprache im derzeitigen großen Poker geführt, zum Status eines bloßen Anhängsels der beiden Vetomächte Frankreich und Rußland. Während die sich aber die letzte Entscheidung bis zum Schluß offenhalten, hat Berlin die Karten von vornherein aus innenpolitischem Kalkül aus der Hand gelegt.

Sicherlich: Zu einer deutschen militärischen Beteiligung im Irak besteht kein Anlaß; sie wurde bis jetzt auch nicht angefordert. Aber das innenpolitische Machterhaltungskalkül hat den außenpolitischen Verstand in Berlin dauerhaft beschädigt. Die derzeitige Achse-Paris-Berlin-Moskau ist kein stabiler Ersatz für das Bündnis mit den USA, das könnte sich früher zeigen, als manche annehmen. Und es ist nicht ohne Interesse, wie gerade die osteuropäischen Staaten von Estland bis Bulgarien aufgrund ihrer historischen Erfahrungen zu einem realistischeren Kalkül gelangen als Berlin: Ihnen erscheint das "alte" wohlstandsverwöhnte Europa sicherheitspolitisch weniger vertrauenswürdig als die derzeit allein politisch und militärisch handlungs- fähige Hegemonialmacht am anderen Atlantikufer. Für Berlin und die Deutschen heißt dieses Exempel: Politik auf den Schultern des Pazifismus ist kein realistisches weltpolitisches Kalkül.

Machtpolitik statt Machtvergessenheit oder Machtversessenheit

Carl Gustaf Ströhms Wunsch des politischen Erwachsenwerdens der Deutschen ist auch der meine. Aber "allein mir fehlt der Glaube", muß ich anfügen, der Glaube sowohl hinsichtlich der nationalen rot-grünen Motive, die auch von manchen "Rechten" wohl allzu illusionistisch gesehen werden, und vollends - das ist des Pudels Kern - der Glaube, daß ausgerechnet der deutsche Wohlstandspazifismus bereit wäre, den Preis zu bezahlen, der dafür zu entrichten ist. Das Fazit, das mir fällig zu sein scheint, wenn erst einmal der Pulverdampf der gegenwärtigen Krise sich verzogen hat, ist, daß die Deutschen sich zu fragen haben werden, was sie für die Zukunft wollen: die unbegrenzte Fortdauer der wohlfahrtsgesellschaftlichen "Machtvergessenheit" oder - gewiß nicht die alte "Machtversessenheit", wohl aber die Fähigkeit zu einer realistischen, verantwortlichen Machtpolitik, die dann freilich ihren Preis hat.

Nicht zuletzt im Hinblick auf die zu erwartende Herausforderung des Westens durch den fundamentalistischen Islam sind das alles andere als theoretische Glasperlenspiele. Aber die künftige Konfrontation des wohlstandsversessenen und geschichtsvergessenen Westeuropa mit dem Islamismus ohne die USA möchte man sich lieber nicht vorstellen.

Deutschlands neuer Pazifismus: Die Bevölkerung in der Bundesrepublik steht in der Frage eines Krieges im Irak überwiegend auf der Seite der Regierung. Auf Straßen und Plätzen wird gegen die USA und ihre Pläne eines militärischen Eingreifens demonstriert - in Deutschland haben die Pazifisten wieder an Einfluß gewonnen. Foto: dpa