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15.03.03 / Eine "Insel der Hoffnung" / Das Therapiezentrum Snamenka in Disselwethen hilft mit deutscher Unterstützung Drogenabhängigen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. März 2003


Eine "Insel der Hoffnung"
Das Therapiezentrum Snamenka in Disselwethen hilft mit deutscher Unterstützung Drogenabhängigen

Das Königsberger Gebiet wird derzeit zu den vom Drogenübel am schlimmsten betroffenen Regionen der Russischen Föderation gezählt. Allein die Anzahl der statistisch erfaßten Süchtigen beläuft sich auf 1.875 Menschen. Auf 100.000 Einwohner kommen 198 Drogensüchtige, was den russischen Durchschnittswert um 54 Menschen übersteigt. Statistische Untersuchungen ergaben, daß etwa 15 Prozent der Schüler höherer Klassen als Gelegenheitskonsumenten von Drogen gelten. Jedes sechste Schulkind hat Drogen mindestens einmal in seinem Leben probiert. Aus ärztlicher Sicht ist diese Lage einer Epidemie ähnlich.

Diese verheerende Situation ist seit Jahren bekannt. Nachdem die Behörden etliche Jahre das Problem negierten, sollen jetzt erste Maßnahmen zur Bekämpfung der Drogensucht ergriffen werden; so weist der Gebietshaushalt für die Jahre 2003 bis 2007 15 Millionen Rubel (rund 450.000 Euro) aus, eine Summe, die gemessen an dem Ausmaß der Katastrophe kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann.

Angesichts dieser staatlichen Passivität umso wichtiger ist eine In- itiative, die sich seit gut drei Jahren mit deutscher Hilfe mit der Drogennot in der Region auseinandersetzt. Seit November 1999 existiert auf dem Gelände des ehemaligen Gutsbetriebes der Familie Burchard in Disselwethen, Kreis Stallupönen, ein Drogentherapiezentrum. Das Haus wurde in den Jahren 1996 bis 1998 von Hans-Georg Burchard, wohnhaft in Großmoor bei Celle, auf den Resten des abgerissenen Gutshauses seiner Eltern neu errichtet. In Folge eines gewalttätigen Überfalls im April 1999 gab Hans-Georg Burchard sein Engagement vor Ort aus gesundheitlichen Gründen auf und übergab das Haus seinem Sohn Matthias. Dabei stimmte er dem Plan zu, hier ein Drogentherapiezentrum einzurichten. Pate bei der Gründung des Zentrums stand das 1995 gegründete Therapiezentrum Orechowo im 50 Kilometer östlich von Königsberg gelegenen Wilkendorf, Kreis Wehlau, das sich aufgrund seiner überaus erfolgreichen Drogentherapie in wenigen Jahren einen Namen in der ganzen Russischen Föderation gemacht hatte.

Die Erfolgsquote ist überdurchschnittlich

Die Teilnahme an dieser Therapie ist freiwillig und dauert ein Jahr. Die Therapeuten sind in der Regel selbst ehemalige Drogenabhängige, die über entsprechende Weiterbildung die erforderliche Qualifikation erworben haben. Ihnen zur Seite stehen Hilfstherapeuten, die sich selbst nach einjähriger erfolgreicher Therapie in der Postrehabilitationsphase befinden. Diese Praxis hat sich außerordentlich bewährt. Der Rehabilitationsprozeß wird in erster Linie durch individuell angepaßte Arbeitstherapien getragen, unter anderem Arbeit in der Landwirtschaft und Tierpflege, aber auch Küchen-, Wäsche- und Putzdienst im Hause sowie Renovierungs- und Ausbauarbeiten in den Häusern. Das Leben im Therapiezentrum ist festen Grundsätzen unterworfen, die von den Patienten und Besuchern akzeptiert werden müssen. Neben totaler Abstinenz ist es unter anderem strikt verboten, das Haus ohne Genehmigung zu verlassen, sich aggressiv zu verhalten, Tiere zu quälen oder unflätig zu schimpfen. Wer sich nicht daran hält, muß das Zentrum sofort verlassen.

Die Erfolgsquote während der einjährigen Therapiezeit und der mehrjährigen Postrehabilitationsphase liegt deutlich über der anderer Drogentherapieeinrichtungen. Der eigentliche Erfolgsschlüssel liegt im Wachsen und in der Bewährung innerhalb der Gemeinschaft.

Was sind das nun für Patienten, die zur Therapie kommen? Hier ein Ausschnitt aus dem Bericht von Dimitrie aus Königsberg: "Es war noch während meiner Schulzeit; mit meinen 15 Jahren wollte ich mit meinen Freunden mithalten. Die meisten von ihnen rauchten den Stoff und waren dabei unkompliziert und lustig. Es war wie eine verbotene, süße Frucht. Und obwohl ich Angst hatte, schloß ich mich ihnen an. Im Laufe eines Jahres rutschten wir bis auf die richtigen Drogen ab ... Das Stadtviertel, wo wir lebten, war voll von Drogen und Drogendealern. Mein bester Freund war derjenige, der mir das erste Mal eine Injektion gab. Danach habe ich selbst verschiedene Drogen probiert - LSD, Kokain, Amphetamine und so weiter. So wurde ich abhängig und brauchte nun mehr und mehr Drogen. Ich wollte mich 24 Stunden am Tag gut fühlen. Dazu brauchte ich vier verschiedene Arten von Drogen. Vor dem Frühstück nahm ich Heroin, dann rauchte ich, und abends nahm ich LSD. Nachts war die Zeit für Kokain und Ecstasy, dann konnte ich richtig Spaß ha-ben. Sicher reichte mein Geld nicht für solche Ausgaben, deswegen habe ich angefangen, Geld bei Verwandten zu stehlen. So entstanden Konflikte und Probleme mit Eltern, Verwandten und Bekannten. Man glaubte mir nicht mehr und akzeptierte mich auch nicht mehr als eine Persönlichkeit. Ich dachte, die anderen sind dran schuld, daß es mir so geht. Ich habe auch mehrfach versucht, von der Sucht frei zu werden, denn Drogen brachten in meinem Leben nur Sorgen und Probleme. Doch Medikamente und verschiedene Therapien halfen mir nicht. Nach solchen Therapien konnte ich eine Zeitlang ohne Drogen leben, doch immer kam die Zeit, wo ich es nicht mehr aushalten konnte und zurückging. Alles war umsonst. Ich selbst habe schon gedacht, daß ich ein richtig verlorener Mensch bin. Da erzählte mir meine Freundin von dem Reha-Zentrum. Ich hatte Glück und bekam einen Therapieplatz. Zu der Zeit war ich schon richtig müde, süchtig zu sein, und hatte immer öfter Selbstmordgedanken."

Im Rückblick beurteilt Dima seine Zeit im Reha-Zentrum in Disselwethen wie folgt: "Hier habe ich gelernt, nüchtern zu denken und zu leben. Ohne Betrug und Lüge! Hier lernte ich auch, verantwortlich für mich selbst und für andere zu sein, meine Gesundheit zu schützen, Sport zu treiben. Jeder der Patienten dort hat Hoffnung für die Zukunft und Perspektiven, die bei jedem anders sind. Ich persönlich möchte meinen Eltern in ihrem Unternehmen helfen. Das ist Nummer eins auf meiner Prioritätenliste, denn meine Eltern haben immer daran geglaubt, daß ich frei werden kann. Sie waren immer für mich da, egal wie es mir ging. Deswegen möchte ich wenigstens einen Teil meines Lebens ihnen zurückgeben, soweit ich es kann. Ich will, daß sie glück-lich und stolz auf mich sind."

Die Projektbetreuung von deutscher Seite erfolgt durch den gemeinnützigen Verein "Unterstützungsfonds Drogentherapiezentrum SNAMENKA e.V.", kurz "Drogenhilfe Snamenka", mit Sitz in Geltow bei Potsdam. Seine Aufgabe besteht darin, den Unterhalt des Zentrums in Disselwethen zu unterstützen und dessen weiteren Ausbau gemeinsam mit dem russischen Partner schrittweise voranzutreiben. Da die russische Administration bisher keinerlei finanzielle Unterstützung leistet und die spärlichen Eigenbeiträge der Patienten nicht ausreichen, sind die deutschen Spendenbeiträge zur Deckung der laufenden Betriebs- und Personalkosten unabdingbar.

Trotz Erfolgen gibt es noch viele Probleme

Traugott von Below, der Erste Vorsitzende des deutschen Unterstützungsvereins, beschreibt seine Motivation wie folgt: "Meine ostpreußischen Wurzeln treiben mich in die Verantwortung, sowohl aus christlicher als auch aus europäischer Sicht. Nur gemeinsam mit unseren russischen Partnern haben wir eine Chance, diesem Landstrich wieder eine gute Zukunft zu geben. Unser Ziel ist, das Therapiezentrum Snamenka eine ,Insel der Hoffnung' werden zu lassen - eine Insel, die im Sinne von Hilfe zur Selbsthil- fe Beispiel und Ermutigung für neue Initiativen abgeben wird. Dankbar bin ich für bisherige große Unterstützung, sei es durch vielfältiges ehrenamtliches Engagement der Vereinsmitglieder, sei es durch Spenden, aber auch genau so wichtig durch Gebetshilfe, ohne die unser Werk nicht wachsen kann. Da die Initiative auf Wachstum angelegt ist, hoffe ich sehr auf weitere Unterstützung."

Von Anfang an bestand die Absicht, dem Zentrum durch Anschluß eines landwirtschaftlichen Betriebes weitgehend wirtschaftliche Selbständigkeit zu geben und es damit weitgehend von Spenden unabhängig zu machen. Auch würden hiermit die so dringend benötigten Ausbildungs- und Arbeitsplätze ge-

schaffen werden, ohne die die Stabilisierung und Wiedereingliederung der Patienten in ein geregeltes, eigenverantwortliches Leben kaum möglich ist. Hierbei will man auf den guten Erfahrungen des russischen Partners aufbauen, nach denen ehemalige Abhängige während ihrer Therapiezeit oft eine große persönliche Reife entwickeln und sich zu verantwortungsbewußten Persönlichkeiten entwickeln. Es ist sogar keine Seltenheit, daß Ehemalige nach ihrer Therapiezeit mit großer Kompetenz gesellschaftliche Aufgaben im Kampf gegen die überbordende Drogennot übernehmen.

Seitdem das Drogentherapiezentrum seine Arbeit aufgenommen hat, konnten erste wichtige Erfolge erzielt werden: Seit der Eröffnung im November 1999 haben 35 ehemalige Drogenabhängige hier ihre einjährige Therapiezeit erfolgreich abgeschlossen. Die verfügbaren Therapieplätze im Hause wurden in Eigenarbeit der Patienten von zehn auf 20 erhöht. Ein Trecker mit Anhänger und landwirtschaftlichem Gerät, ein Personenkraftwagen sowie ein geländegängiges Allradfahrzeug wurden beschafft. Nachdem im Jahr 2000 zunächst 1,5 Hektar landwirtschaftlich genutzt werden konnten, ist diese genutzte Fläche bis heute auf 25 Hektar erweitert worden. Daneben wurden eine Kuh, einige Schweine, Schafe und Hühner beschafft, die in einem provisorischen, durch Patienten selbst gebauten Stall ihren Platz gefunden haben. Zur Sicherstellung der Stromversorgung im Hause wurde zunächst ein Generator beschafft, nachdem der Bau der dringend erforderlichen Stromleitung noch nicht zu realisieren war. Der zwei Kilometer lange Zufahrtsweg zum Zentrum, der sich in einem katastrophalen Zustand befindet, wird durch einfache Mittel hergerichtet. Die notwendige Dachsanierung hat jetzt begonnen.

Auch wenn es im Rückblick auf die vergangenen drei Jahre viel Ermutigung gibt, so dürfen die Schwierigkeiten dennoch nicht übersehen werden. So leben zur Zeit nur zehn Patienten im Haus, obwohl Platz für 20 wäre. Der Grund hierfür liegt in den unzureichenden Eigenbeiträgen der Patienten. Da die russische Administration bisher keinerlei Unterstützung leistet, können nur Patienten aufgenommen werden, die einen Mindestbeitrag von 150 Euro pro Monat bezahlen. Dies können sich aber nur wenige Abhängige (beziehungsweise deren Eltern) leisten. Als Folge bleiben wertvolle Therapieplätze ungenutzt. Patenschaften könnten eine große Hilfe sein, dieses Problem zu lösen.

Daneben ist die noch völlig unzureichende Infrastruktur zu nennen, deren Ausbau für die weitere Entwicklung des Zentrums dringend erforderlich ist. So sieht der Plan für dieses Jahr den Bau der überfälligen Stromleitung, den Bau eines ersten Segmentes einer landwirtschaftlichen Halle sowie die Ersetzung des bisherigen Notdaches durch ein neues Dach vor.

Der weitere Ausbau des Zentrums wird auf Jahre eine große Herausforderung für die Mannschaft auf deutscher wie auf russischer Seite bleiben. Auf deutscher Seite wird dies wohl nur durch ein effektives Spendensammeln möglich sein. Hier will man alle praktikablen Möglichkeiten nutzen, um den Kreis der Freunde und Förderer zu erhöhen, zugleich aber auch in die öffentliche Projektförderung zu kommen. Ein achtminütiger Beitrag im "Ostseereport" über das Projekt vor Ort sowie die neu gestaltete umfangreiche Homepage des Vereins, www.snamenka.org , sind wichtige Schritte in dieser Richtung.

Interessierte an diesem Drogenhilfeprojekt können jedoch nicht nur auf dieser Internet-Seite weitere Informationen erhalten, sondern sich auch direkt an den Unterstützungsfonds Drogentherapiezentrum SNAMENKA e.V. wenden. Die Anschrift lautet "Drogenhilfe Snamenka", Baumgartenbrück 8j, 14542 Geltow, die Telefonnummer 0 33 27/5 66 69, die Faxnummer 0 33 27/5 67 01 03 und die E-Mail-Adresse info@snamenka.org. T. v. B.

Ein Projekt verbindet zwei Männer: Der Russe Kolja Rasin (rechts), der das Therapiezentrum leitet, und der Deutsche Traugott von Below, der dem Unterstützungsfonds vorsteht, vor dem Gebäude der Einrichtung Foto: v. Below