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15.03.03 / Der "Tag von Potsdam"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. März 2003


Vor 70 Jahren wurde in der wohl preußischsten aller Städte der Reichstag feierlich eröffnet:
Der "Tag von Potsdam"
von Thorsten Hinz

Der 21. März 1933 begann in Potsdam unfreundlich. Der Wind blies kühl, und Schneeschauer wechselten sich mit Regen ab. Dann lockerten die Wolken auf, und gegen 9.30 Uhr brach die Sonne hervor. Die Bühne war bereitet für einen vermeintlich großen Tag, für den "Tag von Potsdam".

Die Idee, den neuen, am 5. März gewählten Reichstag in der ehemaligen Preußenresidenz zusammentreten zu lassen, war Adolf Hitler bereits am 27. Februar 1933, am Abend des Reichstagsbrandes, gekommen. Zunächst wollte man sich im Potsdamer Stadtschloß versammeln, doch dort standen keine passenden Räumlichkeiten zur Verfügung. Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung verfiel auf die Garnisonkirche, in der die Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große beigesetzt waren. Anfänglich sträubte sich die Kirchenleitung der Kurmark dagegen. Lautstark ausgetragener Parteienhader, befürchtete sie, würde das Gotteshaus entweihen. Daher einigte man sich darauf, sich auf die feierliche Eröffnung zu beschränken, die allerdings mit einem noch nie dagewesenen Gepränge begangen wurde.

Was an diesem Tag markiert werden sollte, war mehr als nur der Beginn einer neuen Legislaturperiode. Hitler, seit dem 30. Januar Reichskanzler, hatte den 21. März zum "Tag der nationalen Erhebung" ausgerufen. Das Datum war dafür symbolträchtig: Es war der 62. Jahrestag der Eröffnung des ersten Reichstages im Deutschen Reich - ein Traditionsbezug, der dem deutschnationalen Koalitionspartner entgegenkam. Zweitens war Frühlingsanfang. Das paßte zur propagandistischen Bezeichnung der NS-Machtübernahme als "Umbruch". Eine ebenso schicksalhafte wie befreiende Naturgewalt, so die Botschaft, brach sich Bahn.

Die Planungen lagen in den Händen von Joseph Goebbels, der wenige Tage vorher zum Reichsminister für Volksaufklärung ernannt worden war. Entschlossen nutzte er seine Verfügungsgewalt über den Rundfunk. "Die Potsdamer Feier soll zum erstenmal im Stil nationalsozialistischer Formgebung abgehalten werden. Der Rundfunk wird für ganz Deutschland eingeschaltet. Die Nation muß an diesem Tag teilnehmen."

Die Generalprobe dazu hatte am Tag vor der Reichstagswahl, dem sogenannten Tag der erwachenden Nation, in Königsberg stattgefunden. Abends sprach Hitler von Ostpreußen aus über den Rundfunk zum Reich. Goebbels, der Hitler begleitet hatte, notierte über den Auftritt: "(...) da liegt über der ganzen Versammlung eine feierliche Stille, Rührung und tiefste Ergriffenheit. Mächtig klingt in den Schlußakkord der Rede das Niederländische Dankgebet, in der letzten Strophe übertönt vom Glockenläuten des Königsberger Doms." Was man hörte, war freilich eine Schallplatte, da die Kirchenleitung eine Übertragung untersagt hatte.

Das Wahlvolk sollte zu einer einzigen Hitler-Gemeinde zusammengeschweißt werden. "Über den Rundfunk schwingt diese Hymne durch den Äther über ganz Deutschland. Vierzig Millionen Menschen stehen nun auf den Plätzen des Reiches, in den abendlichen Straßen oder sitzen in den Wirtshäusern oder Privatwohnungen an den Lautsprechern und werden sich der großen Wende bewußt. Hunderttausende werden in dieser Stunden den letzten Entschluß fassen, hinter Hitler zu treten und in seinem Geiste für die Wiedererstehung der Nation zu kämpfen."

Am 21. März wurden die Effekte weiter gesteigert. Den Tag gab es schulfrei. Rund 300.000 Zuschauer drängten sich an den Straßenrändern der mittelgroßen Stadt, auch die Fenster der anliegenden Wohnhäuser waren voller Zuschauer. Dem Luisenbund, dem Stahlhelm, den Studentenkorporationen und anderen nationalen Vereinen waren Stellplätze zugewiesen worden. 50 Invaliden aus den Kriegen von 1866, 1870/71 und 1914/18 waren für die anschließende Parade Ehrenpätze eingeräumt worden.

Der offizielle Teil begann mit den Gottesdiensten. Otto Dibelius, der Generalsuperintendent der Kurmark, begrüßte dazu in der Nikolaikirche den tieffrommen Reichspräsidenten Paul v. Hindenburg. Er begann seine Predigt mit den Worten "Mit Gott zu neuer Zukunft!" und stellte fest, daß an ihrem Anfang die Gewalt des Staates stünde. Anknüpfend an die Zwei-Reiche-Lehre Luthers erinnerte er daran, daß die geistliche Macht der staatlichen nicht in den Arm fallen dürfe. Er mahnte aber auch, "daß Luther die gottgewollte Obrigkeit aufgerufen hat, ihr gottgewolltes Amt nicht zu verfälschen durch Rachsucht und Dünkel, daß er Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gefordert hat, sobald die Ordnung wiederhergestellt war".

Das Vertrauen der Konservativen war Adolf Hitlers Ziel

Zum Gottesdienst in der katholischen St.-Peter-und-Paul-Kirche fanden sich unter anderem der Vizekanzler Franz von Papen und der Reichsführer SS Heinrich Himmler ein, nicht aber Hitler und Goebbels. Laut Völkischem Beobachter sahen sie sich wegen mehrerer NS-kritischer Erklärungen von Bischöfen "zu ihrem Leidwesen" außerstande, am Gottesdienst teilzunehmen. Sie besuchten statt dessen auf dem Luisenstädtischen Friedhof in Berlin die Gräber "ermordeter SA-Kameraden" und legten einen Kranz nieder.

Danach schritten unter Glockengeläut die katholischen und protestantischen Abgeordneten gemeinsam zur Garnisonkirche. Bei dem kurzen Zusammentreffen von Hindenburg und Hitler kam es zu dem berühmten Händedruck, bei dem Hitler sich tief verneigte und der als ikonografisches Symbol in die Geschichte einging.

Im Mittelpunkt der Inszenierung stand Hindenburg, nicht Hitler. Der Reichspräsident trug die prächtige Uniform eines preußischen Generalfeldmarschalls, während der noch vergleichsweise unbekannte Weltkriegsgefreite auf sein Braunhemd verzichtete und den bürgerlichen Cutaway trug. Bevor Hindenburg sich im Kirchenraum niedersetzte, hob er seinen Marschallstab grüßend zur Kaiserloge und verneigte sich. Der Sessel Wilhelms II. war leer, doch dahinter hatte der Kronprinz Platz genommen. Mancher Anhänger der Hohenzollern hoffte, die Wiederherstellung der Monarchie stünde bevor.

Es war ein amputierter Reichstag, der sich mit der Regierung, den Vertretern der Länder und dem Diplomatischen Korps hier versammelt hatte. Die NSDAP hatte bei den Wahlen am 5. März nur 44 Prozent der Stimmen erhalten. Erst mit den acht Prozent der Deutschnationalen kam die Regierung auf eine knappe absolute Mehrheit. Allerdings hatten sich die Mehrheitsverhältnisse durch die Suspendierung der 81 kommunistischen Mandate schon bedeutend verschoben. Die Sozialdemokraten waren zur Festsitzung nicht eingeladen. Eine böse Überraschung erlebten die Zentrumsabgeordneten. Als sie in Berlin die Autobusse nach Potsdam bestiegen, wollten Kriminalbeamte sie nach Waffen durchsuchen. Erst durch Rückfragen beim Preußischen Innenministerium waren sie davon abzubringen.

Der Reichstag wurde mit Orgelmusik und dem "Choral von Leuthen" eingeleitet. Der Reichspräsident betonte in seiner kurzen Ansprache, daß sich das Volk "mit einer klaren Mehrheit hinter diese durch mein Vertrauen berufene Regierung gestellt" habe und forderte Regierung und Parlament auf, sich der schweren innen- und außenpolitischen Aufgaben anzunehmen. Er beschwor den preußischen Geist dieses Ortes, ehe er Hitler das Wort erteilte. Dieser gab sich staatstragend und versicherte in allgemeinen Wendungen, daß "die Regierung der nationalen Erhebung entschlossen" sei, "ihre von dem deutschen Volk übernommene Aufgabe zu erfüllen". Danach stieg Hindenburg in die Königsgruft, um einen Kranz niederzulegen. Der Organist spielte auf der Orgel das "Niederländische Dankgebet". 21 Schüsse Salut ertönten. Dann nahm Hindenburg eine Parade von Reichswehr, Schutzpolizei, Stahlhelm und SA ab.

Die Wirkung der Veranstaltung in Deutschland war ungeheuer. Oft ist sie als "Rührkomödie" bezeichnet worden, was die Tatsache verdeckt, daß sich hier ein erbittertes Kräfteringen zwischen den Konservativen und den Nationalsozialisten mit den Mitteln der Symbolpolitik abspielte. Auf den ersten Blick schien das preußisch-monarchistische Deutschland seine Vormacht und Vitalität wiederhergestellt und die Nationalsozialisten - gemäß dem "Bändigungskonzept" des Vizekanzlers Franz von Papen - gezähmt zu haben. Dieser Eindruck konnte den Nationalsozialisten nur recht sein. Sie verstärkten ihn sogar noch, zum Beispiel mit der Anweisung Goebbels', das Glockenspiel der Garnisonkirche, "Üb' immer Treu und Redlichkeit", als Pausenzeichen für den Deutschland- sender einzuführen.

Indem die Nationalsozialisten sich als Sachwalter der alten preußischen Traditionen darstellten, wurden die Reserven und Widerstände, die es bei weiten Teilen des Bürgertums, bei Militär und Adel noch gab, unterspült. Es kam zu Masseneintritten in die NSDAP, wobei die Neumitglieder von den alten Kämpfern als "Märzgefallene" verspottet wurden.

Was für die einen die Erfüllung ihrer - illusorischen - Wünsche war, das war für die anderen nur das Anfangsstadium einer Revolution. Seitenverkehrt wird darin das leninistische Zwei-Stufen-Modell einer sozialistischen Revolution erkennbar: In der ersten Phase werden die "bürgerlich-demokratischen" (beziehungsweise konservativen) Kräfte als Bündnispartner hofiert. Diese dürfen sogar den Minister- oder Staatspräsidenten stellen, während die Schnittstelle zwischen staatlicher Macht und Polizeigewalt, das Innenministerium, sich fest in der Hand der totalitären Bewegung befindet. Natürlich war die Hoffnung der alten Elite, die Energien der braunen Massenbewegung auf ihre eigenen Mühlen zu leiten, selbstmörderisch. Schon Hitlers Auftritt zwei Tage später im Reichstag, der in der Krolloper zusammentrat, drängte sie an den Rand. Bald waren ihre Organisationen verboten, sie selber zu einem großen Teil domestiziert.

Zu den vielen Einzelfragen, die der 21. März 1933 aufwirft, gehört die nach der Haltung und moralischen Legitimität, mit der die alten preußischen Eliten in dieses Bündnis gingen. Der Historiker Christian Graf Krockow, der einer der bekanntesten pommerschen Adelsfamilien entstammt, erinnerte sich an den Jubel, der im Sommer 1934 in seiner Familie ausbrach, als das "Schwein", der Stabschef der SA Ernst Röhm, durch Hitler umgebracht worden war. Über die Ungeheuerlichkeit, daß der Staat in diesem Fall selber zum Mörder wurde, sah man hinweg, sogar darüber, daß zu den Ermordeten einige der Ihren, so die Generäle Kurt v. Schleicher und Kurt v. Bredow sowie der Publizist Edgar Julius Jung, gehörten. In Dresden notierte der Romanist Victor Klemperer am 21. März 1933 hellsichtig in sein Tagebuch: "Tag des ,Staatsaktes' in Potsdam. (...) Müdigkeit und Stumpfheit. Lebensüberdruß und Todesfurcht."

Ein symbolträchtiger Händedruck: Adolf Hitler begrüßt Paul v. Hindenburg

In der Krolloper: Hermann Göring eröffnet die erste Reichstagssitzung

In der Garnisonkirche: Adolf Hitler verliest die Regierungserklärung