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29.03.03 / Tante Malchen und die Wohl-Lust

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. März 2003


Tante Malchen und die Wohl-Lust
von Eva Pultke-Sradnick

Dinge tun, die einem Spaß machen, sollte man immer in den Augenblicken, in denen es einen überkommt, wenn es einen am Kragen hat oder aber auch dann, wenn einem so richtig wohl zumute ist. Schreibe ich Wollust darum mit zwei L und mit drei L?

Wohl-Lust ist wohl das richtige Wort für das, was einem gut tut. Heute will man uns einreden, daß Wellness dieses bringen kann. Wellness wird uns regelrecht aufgezwungen. Es gibt kaum eine Anpreisung, die dieses nicht verspricht. Ich mag es aber trotzdem nicht, dieses Wort. Es wirkt auf mich wie ein Dickmacher. Es gehört ja auch in die Wortgruppe Wellpappe, Wellblech, Wellenberg, Wellfleisch, gewellt und gelockt. Englisch müßte man können, sagt da bestimmt jemand hämisch. Wellness klingt für mich auch kein bißchen elegant. Bei Wollust oder Wohl-Lust kann man sich doch wenigstens etwas vorstellen. Das Wort strahlt Wohlbefinden und Freude aus. Aber es kann natürlich auch ein etwas schlechtes Gewissen machen, wenn jemand eine empfindliche Seele hat. Es ist eben nur ein Gefühl für Robuste, für solche, die Nerven wie breite Nudeln haben. Es ist auch nicht für die gedacht, die bei dem kleinsten Vergnügen gleich ein schlechtes Gewissen bekommen oder dabei an Zeit- oder Geldverschwendung denken.

Es gibt unheimlich viele Dinge, um sich dem Wohl- und Woll-Lustgefühl hinzugeben. Ich will erzählen, wie es mir neulich erging. Ich hatte mir ein kleines Nachmittagsschläfchen gegönnt. Kurz, aber genüßlich. Es war ein ganz schlimmer Regentag ohne Glanz und Gloria, nichts Aufregendes in Sicht. Zu Mittag hatte ich mir Kartoffelflinschen ge-backen, die mir noch etwas schwer im Magen lagen. Trotzdem überlegte ich bereits, ob da am frühen Nachmittag noch eine Tasse Kaffee drin wäre. Kaffee schon, sagte mein Inneres, aber nichts dazu. Das war ja dann auch nur wieder eine halbe Sache. In solch einem Fall konnte ich auch auf den Kaffee verzichten. Trotzdem dachte ich aber weiterhin an Berliner Pfannkuchen, Windbeutel, Himbeertorte und Liebesknochen. Es war als ob ich schlafende Hunde geweckt hatte. Alles Unsinn - Unsinn - Unsinn, suggerierte ich mir. Du bist ja schon wieder dicker geworden, hattest ja schon mal weniger. Aber nur etwas, knurrte ich.

Immer noch voll Wonne auf dem Sofa liegend, konnte ich meine Gedanken von all dem Üppigen nicht losreißen. So gaukelte ich mir etwas Einfacheres vor, etwa Knäckebrot mit Marmelade. War ja nicht schlecht, aber es überzeugte mich nicht. So besonders dick würde es nicht machen, aber wo bliebe dabei das Vergnügen?

Und dann schwebten mir auf einmal das Wohlergehen und die Wollust meiner unvergeßlichen Tante Malchen vor. Oh, herrjemine, was war die dick gewesen! Für uns Kinder war sie der Inbegriff der Gemütlichkeit und des genüßlichen Lebens. Wie konnte sie sich immer von Herzen freuen, wenn wir sie mit einem zerdrück- ten Wiesenblumenstrauß besuchen kamen. Mutter schickte uns aber erst immer, wenn Tante Malchen "ährem Schlubberke Kaffee mit kleene Kook'kes on allerhand Schmeckselkes" hinter sich gebracht hatte. Se huckd denn so ganz tofräd da, hat ähre korte dicke Armkes äwer ährem Buuk geläjt on wingd ons mött ähre kleene Patschhändkes ran.

Wir gingen gern zu ihr, denn sie war, obwohl sie an einer unerklärlichen Krankheit litt, immer vergnügt und fröhlich. Wir halfen ihr auch gerne bei den Hausarbeiten wie Abwaschen, Holz reinbringen, Wasser und Kohlen und Kartoffeln aus dem Keller holen. Beim Weggehen bekamen wir immer zwei Pfennige, damit wir rechtzeitig lernen sollten, mit Geld umzugehen. Viel lieber hätten wir von ihren süßen Kuchen gegessen, aber da war sie mehr als sparsam. Weil sie ja alles für sich aufheben mußte, weil sie ja so wenig essen konnte, nur klein Happchens.

Wenn wir dann bei Mutter klagten, warum sie nicht auch dauernd backe und schmurjle, Flinsen backe und Spirkelchen brate, dann meinte sie schmunzelnd, ob wir denn später auch mal so aussehen möchten wie Tante Malchen. Wir kannten Tante Malchen nicht anders, und für uns war sie schön. Nun ja, sie hatte einen etwas dicken Bauch, aber den hatten Männer doch auch, oder? Sie ging immer auf Schlorren oder Papuschen, weil sie Watschelfüße hatte und in keinen Schuh paßte. Unter der Kleidergröße 56 konnten wir uns damals wenig vorstellen, Tante Malchen war eben leider auch ein wenig kurz geraten. Nanei, nei nei, bloß nicht, so aussehen wollten wir auf keinen Fall. "Öck ät doch all rein gar nuscht", so konnte sie klagen, "dat kleene Schiewke Karbonad on de paar Kielkes to Möddach, dat war ju mi joa noch jönne." Mein Vater bemerkte dann manchmoal ironisch, "dat de Wind woll groote Sandbarj oppuusd, oawer keine dicke Mönsche", was sicher nicht ganz fein war. Für uns blieb das Tantchen eben ein bißchen krank, und sie hatte doch so eine liebevolle ostpreußische Seele. Ja, so war das mit der Wollust und mit dem Essen gewesen. Ich streckte mich immer noch wohlig auf dem Sofa. Dann ging ich in die Küche, machte entsprechende Schranktüren auf und wieder zu, trank vor Schreck über meine Undiszipliniertheit den kalten Brennesseltee aus und sah erneut in den Kühlschrank. Aber Marmelade und Knäckebrot fanden keinen Eingang in meine Sinne. Die schlängelten sich dafür langsam in verbotenere Gefilde wie zu noch verschlossenen Kekstüten und Schokoladentafeln, die ich stets für Kinder und Enkelkinder bereithielt - und aber auch weitergab! Daraufhin stellte ich mir dann Tante Malchen vor, was aber meinen Gelüsten nicht imponierte. Da beschloß ich, mich in die Arbeit zu stürzen, ich begann zu schreiben, etwa diesen Text hier. Am Abend aß ich dann zwei Schreiben Quarkbrot, belegt mit Käse und Tomatenachteln, garniert mit ein paar Estragonblättern aus dem Blumentopf. Es war wirklich ganz, ganz köstlich. Es bekam mir auch sehr gut, zumal ich mir ein Glas Wein dazu gönnte. Na ja, irgendwie mußte ich ja auch leben und meiner Wollust frönen. Denn nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben. 

Ernst Mollenhauer: Abend am Meer (Öl, 1951). Der Maler wurde 1892 in Tapiau geboren. Sein Leben aber und seine Kunst war stets der See, vor allem der Kurischen Nehrung verbunden. Mollenhauer starb vor 40 Jahren am 3. April 1963 in Düsseldorf