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26.04.03 / Evchen träumt am Poggenteich

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. April 2003


Evchen träumt am Poggenteich
von Ingrid Koch

Der Klaus saß mit finsterer Miene auf dem großen grauen Stein am Brunnen. Das war sein Lieblingsplatz. Nirgends konnte man so gut nachdenken, ob man fröhlich oder traurig war. Heute war der Klaus nichts davon, nein - er war ganz einfach bloß boßig! Er saß da und grübelte: Siehst, das kommt dabei raus, wenn eine ganz normale Marjell vom Land in den großen Ferien nach Königsberg fährt zum "Sich amesieren"! So was taugt doch zu gar nuscht, dachte er. Über wen er sich so ärgern mußte? Na, über Nachbars Evchen.

Die dicksten Freunde waren sie immer gewesen und hatten alle Deiweleien, die Kinder sich gern einfallen lassen, zusammen in die Tat umgesetzt und sich, wenn nötig, auch die Mutzköppe danach geteilt. So hatten sie sich auch längst versprochen, daß sie heiraten werden, wenn sie mal so sind wie die "Großen". - Aber seit die Evchen bei ihrer Tante in Königsberg die Sommerferien verbracht hatte, war alles anders. Die Marjell war rein wie ausjekrempelt, dachte der Klaus. Das fing schon damit an, daß die Evchen dauernd "bitte" und "danke" sagte. Sicher, das mußte man, wenn man etwas geschenkt bekam oder auch in der Schule, aber die Evchen tat es nun ständig und beinahe nach jedem Satz! Das hatte sie sich anscheinend von der überkandidelten Tante abgeguckt, und der Klaus sah daran, daß sie total verbogen war. Und dann diese neue Redensart! Egal, was er sagte oder tat, die Marjell spitzte die Lippen und sagte: "Das gehört sich nicht!"

Was sich bei den Städtern alles "nicht gehörte"! Bloß gut, daß er nicht da leben mußte. - Ach, und dann das Gefasel vom Froschkönig. Das war rein nich mehr auszuhalten. Seit gestern wußte er auch den Grund.

Die Tante Adelheid war Garderobiere im Theater, und deshalb hatte sie wohl so was wie e Sperling unterm Bubikopp! Sie hielt sich eben für was Besseres. In den Ferien nahm sie die Evchen mit zum Theater. War es da ein Wunder, daß die Marjell sich nun dauernd mit alten Gardinen und Schleifen behängte und mit einem Ball in der Hand am Teich saß und träumte?

Wollte der Klaus mit ihr Ballche spielen, lehnte sie entschieden ab und starrte weiter tiefsinnig in das Wasser. Der Klaus verstand nun gar nichts mehr, und deshalb saß er da auf dem Stein wie einer, dem die Hühner das Brot weggenommen haben. Nach einem Weilchen kam etwas über den Hof, mehr geflattert als gelaufen. Dieses Etwas blieb vor dem erstaunten Klaus stehen und entpuppte sich als Evchen im Hochzeitskleid ihrer Mutter, garniert mit Bändern und Fladruschen. Donnerschock, dachte der Junge, so hatte er mal eine Prinzessin im Märchenbuch gesehen.

Sie blieb vor ihm stehen und sagte mit ernstem Gesicht: "So, heute is so weit, ich brauch Frösche! Und wenn du mein Freund sein willst, denn besorgst mir welche - und möglichst viele, bis ich den Richtjen hab!"

"Zu was brauchst du Frösche?" Marjellens und Poggen paßten doch sonst gar nich zusammen, das gab doch bloß Gekreische, dachte der Klaus. Nu is sie wohl ganz und gar übergeschnappt! Die Evchen blieb nicht lange eine Erklärung schuldig. "Ja, die werd ich küssen, bis ich den verwunschnen Prinz erwisch, und der heiratet mich, is das klar?" - Hat einer schon mal so was Dummes gehört, dachte der Jung. "Na gut", sagte er, "Poggen fang ich jern, aber bild dir bloß nich ein, in unserem Teich huckt e Prinz zum Heiraten drin!" - "Nein", sagte die Evchen geheimnisvoll, "das müssen Poggen aus dem Brunnen sein!" - "Ach was", murrte der Klaus, "Pogg is Pogg, und du glaubst doch wohl nich, daß ich mich in den Brunnen stürz, um dir einen Mann zu besorjen! Und ieberhaupt kann kein Pogg im Brunnen leben, weil da keine Fliejen und Micken drin sind. Na ja, was wissen Marjellens schon, was ein Pogg zum Leben braucht!" - "Aber bei Königs is das anders!" gab die Evchen trotzig zurück. Der Klaus blieb standhaft: "Entweder Poggen aus'em Teich - oder gar keine! Und fier jeden Pogg kriej ich einen Kuß von dir!"

Das Mädchen verzog den Mund, als hätte es unreife Stachelbeeren gegessen, aber es nickte tapfer. Beim Klaus störten seine unegalen Zähne. Wo andere Jungens Zähne hatten, saßen bei ihm nur schwarze Stubber, weil er tagaus, tagein mit ihnen Knasterbonbons zertrümmerte. - Während der Klaus noch simmelierte, wie es am besten gehen sollte, war die Evchen nach Hause gelaufen, kam gleich darauf wieder angepest und holte ein Mehlsieb unter der Schürze hervor. Auch Vaters Gummistiefel schleppte sie an. "So", sagte sie energisch, "die werden dir noch zu groß sein, aber so mit der Zeit wächst du da rein!" Der Junge zog sehr langsam die Stiefel an, als müßte er Zeit gewinnen, prüfte das Sieb und sagte: "Hm, hm, viel zu klein, das Ding! Hat deine Mama keinen Durchschlag? Aber sput dich, sonst verjeht mir die Lust, und denn is vorbei!" Die Evchen flitzte los wie ein Hase.

"Ja", prahlte der Klaus, als er den Durchschlag bis auf den Moddergrund drückte, "jetzt kriejen wir jeden!" Er hob ihn blitzschnell hoch. Nuscht! Ein zweites Mal - wieder nuscht! Das tat er mit viel Ausdauer ein halbes Dutzendmal - immer nuscht! Dann endlich, so nach dem neunten Mal, zappelte ein ausgewachsener Pogg im Küchengeschirr. - Die Evchen machte große Augen, streckte aber mutig die Hand nach dem Tier aus.

"Halt, halt!" sagte der Klaus, "erst den Kuß - und denn den Pogg! Schummeln is nich, versprochen is versprochen!" Die Marjell machte die Augen zu und drückte dem Klaus einen Kuß geradewegs auf die Nase. Aber nun war der Frosch an der Reihe. Evchen wand sich wie ein Regenwurm.

Der Frosch glupte sie an! Da holte sie blitzschnell Mutters Glacéhandschuhe aus der Schürzentasche, streifte sie über und sagte kiewig: "Her damit!" Sie hielt das Tier im Würgegriff. Der Frosch verdrehte die großen Augen, schnappte nach Luft. Da verließ sie der Mut ganz. Sie warf das erschrockene Tier im hohen Bogen zurück in sein Element.

Schade, dachte der Klaus, das hat doch so gut angefangen. "Paß auf", sagte er, "ich bin ja dein Freund, nich? Den nächsten Pogg, der im Durchschlag is, den binden wir in ein großes Taschentuch, und denn kißt ihm! Aber ich krieg vorher einen echten, is das klar?!" Damit war die Evchen einverstanden, und sie dachte: Der Klaus is gar nich so dammlich, wie er aussieht. Aber laut sagte sie es nicht.

Nach einer geraumen Zeit klappte es wie geschmiert. Pogg aus dem Durchschlag, Taschentuch drüber, ein Kuß für Klaus, ein Kuß auf das Pungelchen, das ging wie das Bretzelbacken. Poggen genug, nur keiner von blauem Geblüt.

Als es Abend geworden war und Bratkartoffelgeruch aus dem Küchenfenster herüberwehte, machten sie Schluß. - "Na siehst", sagte der Klaus, "ich hab doch jleich jewußt, daß das ein Märchen is! Alte Tanten in der Stadt können viel erzählen, und dumme Marjellens glauben das auch noch! Prinz im Pogg! Wolf frißt die Großmutter! Alles Märchen, sag ich dir! Und was hast nu davon? Modder inne Schuhe und e dreckje Schirz!"

Die Evchen war bedripst. Der Klaus sah sie mitleidig an und sagte: "Weißt was? Wenn ich groß bin, heirat ich dich. Aber vorher lern ich Maurer und bau uns ein Schloß, und zur Hochzeit fahren wir in Opas Kutschwagen!" - "O ja!" jubelte die Marjell und hopste vor Freude hoch, daß der Modder nur so spritzte, "aber den Wagen malen wir vorher weiß an!" - "Na klar," erwiderte der Jung, "ich tu ja alles, was du willst, bloß laß mich mit Poggenfangen in Ruh!"

Adalbert Jaschinski: Masurische Seenplatte (Öl, Spachtel, 1963)