25.04.2024

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10.05.03 / Die gute alte Schniefkebahn

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 10. Mai 2003


Die gute alte Schniefkebahn
von Horst Redetzky

Es gibt sie heute nicht mehr, unsere Schniefkebahn. Schade eigentlich, auch wenn man während der Fahrt bequem Blumen pflücken konnte. Sie schniefte und qualmte wirklich wie ein altes Dampfroß, pfiff aus dem letzten Loch und pingelte bei jedem Bahnübergang. Die Wagen schwankten hin und her, und die urtümliche Lokomotive seufzte vor Anstrengung, wenn sie langsam die Steigung vor der Gilgebrücke in Sköpen nahm. Dafür hatte sie aber neben der Holzklasse auch ein Coupé für die besseren Leute, zu denen sich im Kriege auch die "Goldfasane" zählten.

Wir Schüler schäkerten lieber mit den Mädchen auf den zugigen Perrons oder zählten die vielen kleinen Stationen mit den seltsamen Namen. Viele litauische waren darunter, über die vor allem Fremde ihre Köpfe schüttelten. Wir Niederunger fanden sie dagegen schön und waren traurig, als sie im Jahre 1938 ohne zwingenden Grund umbenannt und ihres geschichtlichen Hintergrundes beraubt wurden.

Und so hießen die größeren Stationen: Brittanien, Neukirch, Sköpen, Kaukehmen, Schneiderende, Schakuhnen, Schudereiten, Spukken, Kallningken, Karkeln. Die Namen standen in großen Buchstaben auf den Wartehäuschen aus Wellblech. Böse Buben nutzten längere Aufenthalte, um wartende Menschen und Kutschpferde zu erschrecken, indem sie mit Stöcken über die waschbrettartigen Wände fuhren. Interessierte Reisende schauten vielleicht dem geschäftigen Treiben zu, amüsierten sich über die Bauern, wenn sie einen störrischen Bullen nicht bändigen konnten oder ausgebüchsten rosigen Schweinchen nachrennen mußten. Um die versäumte Zeit wieder aufzuholen, wurde tüchtig Dampf gemacht. Man fühlte sich dann fast wie im "Rasenden Litauer". Aber schwindelig ist dabei keinem Niederunger geworden.

Na, und im Winter gab es natürlich Probleme mit dem Schnee, wenn es tagelang stiemte. Ganz schlimm war es im Januar 1940. Schon auf der Hinfahrt nach Karkeln hatte es am Freitag hinter dem Deich bei Allgawischken große Schneeverwehungen gegeben. Erst um ein Uhr nachts war man in Kallningken. Und es schneite lustig weiter. Schon am Sonntag begann man die Strecke von Karkeln und Kaukehmen aus zu räumen. Das Stück zwischen Stucken und Ackelningken schaffte man aber am Montag nicht mehr. Am Dienstag war alles wieder zugeweht. Dann aber legte sich der Wind, und die Sonne lachte vom Himmel.

Nach zwei Tagen war nun die Strecke geräumt. Und am Freitag hatte mich die Schule in Tilsit endlich wieder. Mein Klassenlehrer (Stibs) hielt meinen Katastrophenbericht für eine fein ausgedachte Legende. Verbarg sich dahinter womöglich ein Marjellchen? Denn eine von mir befürchtete Mathe-Arbeit hatte es nicht gegeben. Nein, der Schnee machte unserer Kleinbahn wirklich zu schaffen. Aber die Niederunger nahmen das Einstiemen oder die üblichen Verspätungen meist in stoischer Ruhe hin. In den molligen Waggons konnte es nämlich ganz gemütlich sein. Da wurde geschabbert, plachandert, Meschkinnes geschlabbert, danach vielleicht auch in gehobener Stimmung ein Wechselchen unterschrieben oder laut krakeelt und nach gehöriger Beleidigung das nächste Prozeßchen angezettelt.

Ihr müßt das nicht glauben, aber so war das damals. Es ist wirklich schade, daß es unsere Kleinbahn nicht mehr gibt. Sogar die Gleise sind verschwunden. Ob es sie heute noch gäbe, auch wenn wir zu Hause geblieben wären? Ich glaube nicht, die Autos hätten auch ihr den Gar-aus gemacht.

Karkeln am Kurischen Haff: Hermann Eisenblätter malte 1995 dieses zauberhafte Aquarell