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31.05.03 / Österreich: Griff ins Feuilleton / Vergleichende Ausstellung über Wien und Prag

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. Mai 2003


Österreich: Griff ins Feuilleton
Vergleichende Ausstellung über Wien und Prag
von Ekkehard Schultz

Am 15. Mai wurde die diesjährige große Sonderausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) eröffnet. Unter dem Titel "Prag - Wien. Zwei europäische Metropolen im Lauf der Jahrhunderte" ist der Focus auf die Beziehungen zwischen diesen beiden geschichtsträchtigen Städten gerichtet, und zwar über einen Zeitraum von fast 700 Jahren.

Mit den gut 120 teils hochwertigen Objekten wird an eine ÖNB-Ausstellung von 2001 angeknüpft, in der unter der Überschrift "Kaiser und Könige" die gemeinsamen Traditionen von Österreich und Ungarn im Mittelpunkt standen.

Obwohl die jetzige Ausstellung eigentlich aus Anlaß des 500. Geburtstages von Kaiser Ferdinand I. konzipiert worden war, der aufgrund des Ehevertrages mit der Erbin der Königreiche von Böhmen und Ungarn im Jahr 1526 als erster Habsburger König von Böhmen wurde, gibt es auch aktuelle Anknüpfungspunkte: nicht zuletzt den bevorstehenden EU-Beitritt Tschechiens im Mai 2004 und die anstehende Volksbefragung dazu am 14. Juni.

Um sich die engen Beziehungen und großen Ähnlichkeiten zwischen beiden Metropolen klarzumachen, ist kein besonderes Vorwissen nötig. Vielmehr reichen noch heute wenige visuelle Eindrücke aus - beispielsweise ein Vergleich der Architektur in den Altstadtkernen, des Charakters der Stadterweiterungen, wie sie bis zum Ende der Habsburgermonarchie vorgenommen wurden, der Einteilung der Stadtbezirke oder der Anlage der Eisenbahnverbindungen.

Auf der anderen Seite stehen die oft sehr verbissen geführten Auseinandersetzungen zwischen den Nationalitäten in beiden Städten bzw. den Ländern Österreich und Böhmen, die besonders das ausgehende 19. Jahrhundert prägten. Auch die fortwährenden Diskussionen um das AKW Temelin oder die Benesch-Dekrete belegen die vielen Disharmonien in den wechselseitigen Beziehungen.

Auf leider etwas zu engem Raum ist die Ausstellung in vier Kapitel gegliedert. Im ersten Teil werden sehr kostbare und seltene Handschriften des späten Mittelalters präsentiert, die auf den Zusammenhang zwischen dem Königreich Böhmen und dem Reich verweisen, so eine Wenzelsbibel vom Ende des 14. Jahrhunderts, eine Handschrift des Kaiserlichen Rechtsbuches - der "Goldenen Bulle" - für König Wenzel IV. aus dem Jahre 1400 sowie die "Kuttenberger Kantionale", ein Choralbuch aus dem 15. Jahrhundert.

Das zweite Kapitel ist der Epoche zwischen 1515, als die Enkel Kaiser Maximilians I. mit den Erben Wladislaws von Böhmen und Ungarn verheiratet wurden, und dem Dreißigjährigen Krieg gewidmet.

Im dritten Abschnitt werden unter der Überschrift "Musik und Politik" Beispiele für gemeinsame Musiktraditionen herausgestellt. Exemplarisch kann der Besucher zeitgenössische Klavierauszüge der zur Prager Krönung Kaiser Leopolds II. von Mozart komponierten Oper "Titus der Große" in Augenschein nehmen oder Stücke, die die Bedeutung der Wien-Aufenthalte für das künstlerische Schaffen Antonin Dvoraks belegen.

Im vierten Kapitel stehen die Wechselbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert im Zentrum der Betrachtung. Hierzu sind unter anderem Huldigungsadressen der Stadt Prag zum 60. Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josefs zu sehen.

Wie schon bei vorherigen ÖNB-Ausstellungen stehen eindeutig die Objekte gegenüber den sehr knappen historischen Erläuterungen im Vordergrund. Dem Besucher wird kein bestimmter Weg durch die Ausstellung vorgeschrieben, er kann sich also nach Lust und Laune auf die eigenen Interessengebiete konzentrieren.

Das fördert zwar den Kulturgenuß, jedoch sollte man bedenken, daß gerade bei komplizierten Themen eine Gefahr darin besteht, durch eine solche Aufarbeitung nur subjektive Beurteilungen zu ermöglichen. Anstelle von Geschichte werden dann lediglich feuilletonartige Geschichten erzählt. Darstellungen von Städte-, Regionen- und Länderbeziehungen sind heutzutage ohnehin des öfteren mit dem Problem behaftet, daß zwischen der nüchternen historischen Aufarbeitung und den gegenwartsbezogenen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Anliegen und Wünschen der Macher ein tiefer Zwiespalt klafft.

Obwohl um Objektivität bemüht, belegen auch manche Erläuterungen in dieser Wiener Ausstellung - teilweise im Gegensatz zu den kritischeren Ausführungen im Ausstellungskatalog -, daß hier keine saubere Trennung erfolgte. Als mißglückt muß außerdem die Darstellung der Schlacht am Weißen Berg bei Prag vom 8. November 1620 bezeichnet werden. Diese endete bekanntlich mit einem Sieg der kaiserlichen und bayerischen Truppen über das Heer des von den böhmischen Ständen unterstützten protestantischen Liga-Bündnisses und markierte den Auftakt zur Gegenreformation in Böhmen sowie zur Abwertung des Landes zur Provinz.

Zu Recht wird das Ereignis als ein Tiefpunkt in den gegenseitigen Beziehungen bezeichnet, ohne dieser Bewertung die erforderliche Konkretisierung hinzuzufügen. Denn gerade wenn darauf hingewiesen wird, daß die Schlacht am Weißen Berg in der Geschichtsauffassung der Tschechen bis heute die Rolle eines "nationalen Traumas" einnimmt, müßte klargestellt werden, daß es sich damals keineswegs um eine "nationale" Angelegenheit handelte. Das geschieht jedoch nicht.

Dabei würde schon ein Blick auf die Namen der 1621 auf dem Prager Altmarkt hingerichteten Standesvertreter belegen, daß es hier gleichermaßen "slawische" wie "deutsche" Opfer gegeben hatte. Auch bei der weiteren Verfolgung protestantischer Standesvertreter spielte die Nationalität überhaupt keine Rolle. Die überwiegende Anzahl der böhmischen Glaubensflüchtlinge in Preußen beherrschte die deutsche und nicht die tschechische Sprache, wohingegen die Namen der 1618 im Prag aus dem Fenster gestürzten kaiserlichen Statthalter sehr wohl auf eine slawische Abkunft schließen lassen.

Gerade an diesem Beispiel hätte man demonstrieren können, welch große Rolle in den deutsch-tschechischen bzw. österreichisch-tschechischen Beziehungen Geschichtsmythen und verzerrte Historienbilder spielten und noch immer spielen. Erst durch Aufarbeitung solcher Mythen können längerfristig die Grundlagen für ein besseres Verstehen geschaffen werden.

"Prag: Wien - Zwei europäische Metropolen im Lauf der Jahrhunderte", Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek (bis 31.9.03), Josefsplatz 1, A-1015 Wien; Infos: 0043/1/53410-0; der empfehlenswerte Ausstellungskatalog kostet 35,- Euro

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