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07.06.03 / Nachbetrachtungen zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. Juni 2003


Zwischen Glaubwürdigkeit und Zensur
Nachbetrachtungen zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin
von Ronald Gläser

Zur Eröffnung des Ökumenischen Kirchentages in Berlin sandte Papst Johannes Paul II. ein deutliches Grußwort an die Christen in Deutschland. Er bestärkte die Gläubigen in Deutschland, in dem die Kirchenspaltung ihren Ausgang genommen hat, in ihrem Einsatz für die Ökumene. "Die Gemeinsamkeit im Glauben" sei "stärker und bedeutender als das Trennende". Ferner forderte er die Deutschen auf, sich dem Werteverfall und der Erosion des Glaubens zu widersetzen.

Ganz andere Töne kamen vom Bundeskanzler. Als Profi im Wahrnehmen von Stimmungen griff er das Thema des Eröffnungsgottesdienstes spontan auf und sprach sich trotz leerer Kassen für einen neuen Schuldenerlaß für die dritte Welt aus. Unlängst hatte Friedrich Merz (CDU) das Gegenteil gefordert.

Kirchen- und Katholikentage hatten früher den Ruf, eine CDU-geneigte Veranstaltung zu sein. Das außenpolitische Thema Irak hat jedoch die Union und die beiden Kirchen entzweit. Und politische erfreuten sich neben kirchlichen Themen einer großen Anziehungskraft auf das junge Publikum. Es ist wichtig, daß die Kirchen auch in weltlichen Fragen Positionen beziehen. Zum Meinungsbildungsprozeß haben sie jedenfalls einiges beizutragen. Naher Osten, Rolle der USA, Zukunft der Familie, Bildungspolitik, Meinungsfreiheit - dies ist nur ein Ausschnitt aus der breiten Themenpalette, die in Berlin diskutiert worden ist.

Unter dem großen Dach der Kirche sammeln sich neben skurrilen und sektenähnlichen Organisationen auch Fundamentalisten aller Couleur. Der breite Raum, der homosexuellen Lobbygruppen eingeräumt wurde, überrascht angesichts der Auffassungen zumindest der katholischen Kirche. Mit Bildern von Männern in unzweideutigen Posen provozierten diese sehr bewußt.

Andererseits wurde die Aktion Leben e.V. von den Veranstaltern am letzten Tag vom Kirchentag ausgeschlossen. Die Anti-Abtreibungsinitiative hatte Bilder abgetriebener Kinder ausgestellt und aus der katholischen Lehre zitiert, die Homosexualität als "böse" bezeichnet.

Angeblich hätten Besucher Anstoß an den Bildern getöteter Kinder genommen, behauptete die Kirchentagsleitung. Der Vorsitzende des Vereins äußerte der PAZ gegenüber seine Zweifel: "Bei uns hat sich niemand beschwert. Das war Zensur." Vom einen Moment auf den anderen mußte er seinen Stand abbauen. Die Kirchentagsleitung stellte sogar einen Lkw zur Verfügung, um den Abbau zu beschleunigen.

Der Besucherandrang hatte mit 400.000 Teilnehmern alle Erwartungen der Veranstalter übertroffen. Schlagartig veränderte sich das Erscheinungsbild der zuweilen gottlos anmutenden Metropole. Rund um das Brandenburger Tor herrschte eine geradezu andächtige Atmosphäre.

Im Jahr 2008 könnte der nächste Konvent von Katholiken und Protestanten in Berlin stattfinden. Der Erfolg dieses Kirchentags zeigt, daß vor allem junge Menschen für das Christentum begeisterungsfähiger und aufgeschlossener sind, als gemeinhin angenommen wird. Wenn die Kirchen ihren Bonus an Akzeptanz und Glaubwürdigkeit mutig nutzen, können sie einen wertvollen Beitrag leisten, um dieses Land aus seiner offenkundigen Krise zu holen.

Der Kirchentag endete mit einem gewaltigen Abschlußgottesdienst vor dem Reichstag. Danach pilgerten die Besucher wieder in ihre Heimat, und die Stadt kehrte blitzschnell zu den gewohnten Umgangsformen zurück: Noch am selben Abend war ein 60 Mann starkes Aufgebot an Polizisten nötig, um zwei libanesische Großfamilien zu bändigen. Ein Gruppe von vierzig Personen lieferte sich im Tiergarten eine Massenschlägerei nach einem Grillfest.