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14.06.03 / Liebespaare der Kulturgeschichte: Abaelard und Eloise

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. Juni 2003


Die Stimme des Herzens
Liebespaare der Kulturgeschichte: Abaelard und Eloise
von Esther Knorr-Anders

Wir haben nichts so wenig in unserer Hand wie unseres Herzens Stimme", heißt es in einem Brief Abaelards an Heloise. Als er das schrieb, war er Abt von St. Gildas zu Rhuys, hatte das Frauenkloster Paraklet bei Troyes gegründet, in dem Heloise als Äbtissin waltete. Der Briefwechsel der Liebenden gilt als erster Briefroman der Literaturgeschichte. Im Dunkel blieb, wer die Briefe als Buch zusammenstellte. Zweifel bestanden, ob sie überhaupt authentisch seien. Aber spielt das eine Rolle?

Der Abt und die Äbtissin wurden zu Frankreichs einzigartiger, weil beispielloser Liebeslegende, verehrt noch heute. Als sie sich anno 1117 auf dem Genovevaberg zu Paris, wo Abaelard Vorlesungen hielt, erstmals begegneten, wußten beide um ihren hohen geistigen Rang.

Pierre Abaelard, 1079 in Palet bei Nantes geboren, lehrte Philosophie, Theologie an verschiedenen Domschulen und war - was ihm zum Verhängnis wurde - Kritiker der Kirche, des Dogmatismus. Es kam zu Prozessen, Verbannung, Klosterhaft. Doch Freunde, vielleicht sogar insgeheime Geistesgenossen, setzten sich für den "Ketzer" ein. Abt Petrus der Ehrwürdige gab ihm um 1140 im Kloster Cluny Heimstätte.

Kehren wir nach Paris ins Jahr 1117 zurück. Heloise betritt den mit Studenten gefüllten Hörsaal. Alle Blicke folgen der kindhaften Gestalt. Landweit gerühmt ist die blutjunge Heloise, Nichte und Pflegetochter des Kanonikus Fulbert, durch ihre Kenntnis alter Sprachen und deren Literatur. Auf Wunsch des pathologisch ehrsüchtigen Fulberts soll sie Philosophie bei Abaelard studieren. Ihre Blicke treffen sich; das Liebesdrama beginnt. Fulbert bietet Abaelard an, bei ihm zu wohnen, um ungestört Heloise unterrichten zu können. Er räumt ihm das Züchtigungsrecht ein, falls sie keine Fortschritte mache. Abaelard: "Ich konnte nicht verblüffter sein, wenn er sein zartes Lämmlein einem heißhungrigen Wolf zu hüten gegeben hätte." Er schlug sie: "Es war zärtliche Verliebtheit, die mir die Hand führte - und ihr war diese Züchtigung linder als kostbare Salbe. In unserer Gier genossen wir jede Abstufung des Liebens, wir bereicherten unser Liebesspiel mit allen Reizen, welche die Erfinderlust ersonnen." Heloise wurde schwanger. Fulbert raste. Abaelard brachte sie zu seiner Schwester Dionysia in die Bretagne. Sie erzog den dort geborenen Sohn Petrus Astrolabius.

Als Abaelard und Heloise nach Paris zurückkehrten, war ihre Liebe zum Stadtgespräch geworden. Abae-lard wollte sofort heiraten, doch Heloise - in Vorwegnahme späterer Frauenemanzipation - wollte nicht. Die "freischenkende Liebe" sollte sie binden, nicht die "drückende Ehefessel".

Darauf ging Abaelard nicht ein. Die Ehe wurde geschlossen, sollte jedoch auf Begehren von Heloise geheim bleiben. Das ließ sich nicht durchführen. Der unversöhnliche Fulbert plauderte. Er sah sich durch die Heirat um alle Vorteile, die er sich von Heloise versprochen hatte, betrogen. Er mißhandelte sie. Abaelard fühlte sich gezwungen, Heloise in die Obhut des Klosters Argenteuil zu bringen, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte.

Fulberts Haß auf Abaelard steigerte sich zum Verbrechensakt. Zwei gedungene "Tierverschneider" drangen maskiert in Abaelards Schlafraum und taten das ihre. Fulberts Kalkül, daß Paris über Abaelards Entmännlichung lache, ging nicht auf. Das Gegenteil trat ein. Die Täter wurden gefaßt, entmannt; Fulberts Güter konfisziert. Frankreichs Bürger schätzten Abaelard höher denn je.

Abaelard zog die für ihn einzig mögliche Konsequenz: Er entschloß sich, im Pariser Königskloster Saint-Denis Mönch zu werden. Er überredete, ja zwang Heloise, im Kloster Argenteuil "den Schleier zu nehmen", Nonne sollte sie sein. "Traust du mir nicht? Hast du Angst, ich könnte in die Welt zurückgehen?" Ja, davor hatte er Angst; nie sollte sie sich einem anderen verbinden.

Abaelard nahm an ihrer Gelöbniszeremonie teil. Unbewegten Antlitzes schritt sie im Ordensgewand zum Altar, brachte den Eid über die Lippen und verließ starren Ganges die Kirche ...

Jahre später trafen sich der Abt Abaelard und die Äbtissin Heloise im Kloster Paraklet. Sie zeigte ihm, was unter ihrer Leitung aus seiner einödigen Gründung entstanden war: ein reiches Anwesen. Sie gingen durch die Gärten, wohlwissend, daß ihre Sehnsucht nicht erloschen war. Heloise: "Denn mein Herz ist nicht bei mir, sondern bei dir, und wenn es nicht bei dir ist, ist es nirgendwo." Sie berührten sich, hielten sich bei den Händen. Ehemals hatten sie ineinander geruht, da war Beglückung gewesen. Und jetzt? Es war noch mehr!

Am 21. April 1142 starb Abaelard im Kloster St.-Marcel-sur-Saônne. Sein Leichnam wurde zu Heloise nach Paraklet überführt. Sie bestattete ihn. 20 Jahre danach starb sie. Neben ihm fand sie ihre Schlafstätte. Die Legende hub an. 1817 wurden Abaelard und Heloise in ein Ehrengrab des Pariser Friedhofs Père-Lachaise gebettet. Ein Grabdenkmal ruft die Gestalten beider so gut wie ins Leben zurück: "Einziger, Liebster, leb' wohl." "Lebe wohl, du mein ein und alles."

Verbotene Liebe: Abaelard und Eloise