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21.06.03 / Friedrich Schröder-Sonnenstern aus Kaukehmen und sein skurriles Werk

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 21. Juni 2003


Die Träne im Auge des Löwen
Friedrich Schröder-Sonnenstern aus Kaukehmen und sein skurriles Werk

Immer wieder werden in renommierten Galerien Werke von Friedrich Schröder-Sonnenstern ausgestellt - und verkauft. So vor einiger Zeit Farbstiftzeichnungen im Kunsthandel Dr. Irene Lehr in Berlin. Ich mochte den Künstler und sein Werk auf Anhieb, ohne daß ich vorerst zu sagen vermochte, worin diese Zuneigung bestand. Selbst wenn mir gelegentlich der Atem stockte, so beinhaltete jedes Blatt fühlsames Beiwerk. Eine Anreicherung von Realität, auch Trauer, in einer Verbindung mit Phantasie, Humor, eher Schalkhaftigkeit. Zusammengefügt rührte es mich an. Mitgefühl empfand ich, was aber gleichbedeutend Erkenntnis, zugleich Anerkennung hervorrief. Aber am wichtigsten erschien mir, daß in seinen Bildern, gleichwohl in seinem Lebenslauf, die Hoffnung niemals verlorenging. Wenn ich mir die Fotos des Meisters anschaute, die glänzenden, spitzbübischen Augen wahrnahm, blieb eine warmherzige Sympathie. Am Ende aller Durchsicht kam ich zu dem Schluß, daß dieser Schröder-Sonnenstern die Inkarnation aller Ostpreußen darstellte. In ihm vereinigte sich die ganze Vielfalt, die diese Menschen ausmacht, das volle Spektrum, Reper-toire wurde in die Tastatur eingefügt, was nicht nur gutgehen konnte.

Für diejenigen, die ein wenig dünkelhaft sind, und dazu neigt auch der Ostpreuße durchaus, mag es Einstiegsschwierigkeiten geben. Wer das Herz aber auf dem rechten Fleck hat, und dazu neigt der Ostpreuße noch mehr, muß ihn gern haben - geradewegs.

Friedrich Schröder-Sonnenstern wurde in Kaukehmen am 11. September 1892 als zweites von dreizehn Kindern in bitterer Armut geboren. Sein Vater ein Briefträger, der dem Alkohol verfiel; seine Mutter dementsprechend physisch und psychisch überfordert. Wäre er ein paar "Löcher" weiter geboren, wie es Tucholsky einmal ausdrückte, so hätte aus ihm vielleicht ein Genie werden können. So aber wurde sein Leben zu einem grotesken Hindernisrennen. Er war zu intelligent, um Mitläufer zu sein, sein Trotz wurde bestraft. Und er wiederum rächte sich mit tückischen Streichen, log und stahl. Heimaufenthalte waren die Folge, denen er entfloh, ebenso seiner Lehre. Er tippelte auf Landstraßen, arbeitete beim Zirkus und leistete Hilfsarbeiten auf Bauernhöfen.

1912 erfolgte die erste Einweisung in eine Nervenanstalt. 1915 meinte man ihn beim Militär formen zu können, wofür er offensichtlich als tauglich erschien. Nach unglaublichen Erniedrigungen an diesem Ort entzog sich Schröder-Sonnenstern auch wieder mit einem unglaublichen Schabernack. Er wurde entlassen, was ihn aber nicht hinderte, als Kantinenwirt an die Front zurückzukehren. 1917 landete er in Litauen, und der Weg vom Hilfsbriefträger zum Schmuggler war für ihn keine allzu schwere Übung. Selbstverständlich erwischte man ihn, aber eine Anstalt ersetzte die Haft. 1919 wurde er entmündigt. Nun verlor er den letzten Glauben an die Gerechtigkeit und rettete sich in die Welt des Spruches "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt man völlig ungeniert".

So ging er am Ende des Ersten Weltkriegs nach Berlin auf den Spielplatz ungeahnter Möglichkeiten, der seiner Symbolwelt enormen Raum öffnete, den Wohnsitz in einen anderen Teil der Wirklichkeit verlegte. Und er begann außerhalb der Umzäunung zu schauen, ohne kulturelle Bevormundung, ohne vorgegebene Notwendigkeit. Sein Lehrplatz war nicht eine Universität, sondern das praktische Leben. Er gründete ein Kontor für Astrologie und magnetopathische Heilkunst, wurde als Schrippenverkäufer "Schrippenfürst von Schöneberg", der hungernde Kinder säckeweise mit Schrippen (Brötchen) versorgte. Nannte sich Geheimrat Prof. Dr. phil. Eliot Gnass von Sonnenstern, wurde aufs neue eingeliefert. Daß er das Dritte Reich überstand, kann als Wunder angesehen werden, denn in dieser Zeit agierte er als Wahrsager, Sektengründer, Psychographologe, Heiler, Wanderprediger und sogar Heiratsschwindler. 1933 Verhaftung, bis 1934 erneute Einlieferung in eine Anstalt. Dort schaute er einem "Irrenmaler" zu, und es entstanden seine ersten Zeichnungen.

1949 beginnt Friedrich Schröder-Sonnenstern auf Drängen seiner Schwägerin, mit der er seit Kriegs-ende zusammenlebt, zu malen. In einem zehnjährigen anhaltenden Schub vollendet er 250 kleinformatige Blätter, 120 große Formate, in denen sein grenzenloser Erfindungsgeist ausgeschöpft wird. Eine Mischung von Mensch und Tier übergibt er dem Papier, Fabelwesen mit sinnlicher, sexsymbolischer Aussage entstehen; Utopiegebilde fügen sich ein. Bizarre, skurrile Szenen besetzen die Bühnen, aber so man näher hinschaut, scheint es ganz simpel, was gesagt werden soll. Kindlicher Sarkasmus, Sehnsucht nach Liebe, Schutz und Geborgenheit tingeln wie auf einem alltäglichen Jahrmarkt. Die Träne im Auge des "Blindbetenden Löwen auf dem Weg zu den ewigen Jagdgründen" (1960) erweicht Stein und Bein. Seine Bilder haben etwas, ohne daß man eben gleich zu sagen vermag, worin es besteht. All jenes wird bemerkt, erhält Aufmerksamkeit, und Erfolg stellt sich ein. Hamburg, Paris, Mailand, New York, Tokio, Düsseldorf, Hannover. Namhafte Galerien präsentieren seine Werke. "Friedrich der Einzige" - "Der mondmoralische Maler" benennt sich Sonnenstern selbst. Obwohl die Preise für seine Bilder ungeahnte Höhen erreichen, wird Schröder-Sonnenstern nicht begütert. Geld berührt ihn nicht. Er verschenkt es, wirft es in Kreuzberger Kneipen ins Publikum. Man nutzt ihn aus, falsche Freunde hängen sich an. Er denkt immer seltener an seine Verpflichtungen, und als Tante Martha, seine Schwägerin, stirbt, ihn sein einziger wirklicher Halt verläßt, verwahrlost er, die Psychiatrie hat ihn wieder. Nach der Entlassung wird Schröder-Sonnenstern von Freunden aufgenommen, die er durchaus auch besaß. Friedrich Hundertwasser, Hans Bellmer, Henry Miller, André Heller, Friedrich Dürrenmatt, Baronin Rothschild, Georges Pompidou, um nur einige zu nennen, begleiteten ihn ein Stück des Weges. Gemalt hat er aber nach dem Tod von Tante Martha nie wieder, und entgegen seinem sonstigen Leben starb "der große Friedrich" völlig undramatisch am 10. Mai 1982 in Berlin-Lichterfelde. - Der Zufall wollte es, daß sein Grab auf dem Zwölf-Apostel-Friedhof gleich in der Nähe des ebenfalls in Ostpreußen geborenen Dichter-Richters Ernst Wichert liegt, der die bis heute gültigen Litauischen Geschichten schrieb und für den Schröder-Sonnenstern eine willkommene Person für die Erzählungen gewesen wäre. Und wenn ich die Ruhestätte Ernst Wicherts, meines Ururgroßvaters, aufsuche, gehe ich auch zu Schröder-Sonnenstern. Ich kann gar nicht anders, denn auch jetzt, rund 20 Jahre nach seinem Tod, redet er mit mir, und es beeindruckt mich in gleicher Weise, wie derzeitig die Stimme der steinernen Blume in dem alten russischen Märchenfilm, den ich als Kind in der DDR sah. "Weck mich auf, wenn ich sterbe", äußerte Schröder-Sonnenstern einmal, und an mir soll's nicht gelegen haben. Ich wünsche, daß er auf seinem Flug in die Lüfte die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, zur Erfüllung, mitnimmt - von uns allen! Hella Leuchert-Altena

Friedrich Schröder-Sonnenstern: Noch heute sind die Blätter des Ostpreußen in Galerien zu sehen und werden von Kunstfreunden geschätzt, wie etwa die nebenstehende Buntstiftzeichnung "Des Teufels Himmelfahrt" aus dem Jahr 1962 / Das Grab eines Malers: Letzte Ruhestätte des Ostpreußen Foto: Leuchert Eine eigentümliche späte Liebe