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05.07.03 / Slowakei: Geldquellen der Fugger / Geschichtliche Streifzüge durchs Karpatenland

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. Juli 2003


Slowakei: Geldquellen der Fugger
Geschichtliche Streifzüge durchs Karpatenland
von Oskar Marczy

Der "normale" Bundesbürger verbindet mit den Karpaten ein Gebiet, das weit weg ist, wenig zivilisiert und das einer Wildnis gleicht, mit guten Jagdgründen und der unvermeidlichen Dracula-Figur.

Daß sich solche Vorstellungen hartnäckig halten, läßt sich nur aus Unkenntnis erklären und aus der jahrzehntelangen Absperrung durch den "Eisernen Vorhang". Wer weiß schon, daß bis 1945 Wien und Preßburg - die Hauptstadt des Karpatenlandes Slowakei - mit einer elektrischen Eisenbahn verbunden waren und die Wiener gern das Kulturleben in Preßburg genossen, während die dortigen Mädels die aktuellste Wiener Mode trugen.

Ebenfalls unbekannt ist, daß Maria Theresia 1762 die erste deutsche Bergakademie in Schemnitz in der Mittelslowakei gründete und daß der höchste holzgeschnitzte Altar der Welt in Leutschau in der Zips steht (geschnitzt von Meister Paul, einem deutschen Bürger der damaligen "Hauptstadt" der Sprachinsel Zips), am Fuße der Hohen Tatra, deren Gipfel die mächtigsten der Karpaten sind.

Wer ist schon zur Zipser Burg aufgestiegen, jener größten Burganlage Europas, die schon im 12. Jahrhundert gebaut und im 14. Jahrhundert als Bollwerk gegen den Osten erweitert wurde?

Der Gelehrte Matthias Bél, der von sich behauptete, slowakischer Muttersprache, deutscher Bildung und ungarischer Nation zu sein, schrieb in seinem 1735 in Wien gedruckten Werk Notitia Hungariae über die Deutschen im Gebiet der heutigen Slowakei, des damaligen Oberungarn: "Die Deutschen wohnen gegenwärtig zerstreut im Lande, besonders aber in den Städten. Es gibt unter ihnen auch Vornehme, doch sind die meisten Kaufleute und Handwerker, also Menschen, die zur Erhaltung des Staates besonders wichtig sind. (...)

Allgemein können wir von den freien und königlichen Städten sagen, daß sie in dem Maße Reichtum und Kultur aufweisen, in welchem sie deutsche Siedler aufnahmen."

Das Gebiet der jetzigen Slowakei war seit dem 9. Jahrhundert stets ein fester Bestandteil Mitteleuropas; die Beziehungen zu Deutschland und der deutschen Kultur waren immer lebendig. Die Grundlagen dafür hatte Karl der Große gelegt, durch die Befreiung der Slawen vom Awarischen Joch, desgleichen fränkische Mönche als Missionare, die ersten deutschen Siedler, die Stephan der Heilige und seine Gemahlin Gisela - eine Schwester Kaiser Heinrichs II. - ins Land holten, sowie die große Siedlungswelle nach dem Mongoleneinfall von 1241.

Für das gegenseitige Verständnis ist es wichtig, sich die Intensität dieser jahrhundertelangen Beziehungen zu vergegenwärtigen.

Die Zips war im Mittelalter die städtereichste Region im Königreich Ungarn. Der König gewährte den Siedlern nach deutschem Recht zu leben, sich selbst zu verwalten und eigene Pfarrer zu wählen. Die Stadtbücher wurden zunächst in lateinischer, dann in deutscher Sprache verfaßt. Das Magdeburger Recht war Vorbild für die "Zipser Willkür".

In der Mittelslowakei - dem "Hauerland" - siedelten sich Bergleute an und gründeten mehrere Bergstädte. Die bedeutendsten waren Kremnitz, wo Gold gegraben wurde und eine Münze den weithin bekannten Kremnitzer Dukaten prägte, das "Silberne Schemnitz" sowie Neusohl mit seinen Kupferbergwerken. Dort gründeten der deutsche Bankkaufmann Jakob Fugger aus Augsburg und der karpatendeutsche Ingenieur Johannes Thurzo aus Leutschau die "Gemeine ungarische Thurzo-Fuggersche Handelsgesellschaft". Der Handel mit Kupfer und das europaweite Kupfermonopol der Fugger machten beide Familien reich. Es war die erste deutsch-slowakisch-ungarische Handelsgesellschaft, und nur wenige Einwohner von Ausgburg kennen wohl folgenden mittelalterlichen Spruch: "Das goldene Augsburg ruht auf dem kupfernen Neusohl."

Viele Pfarrer aus den karpatendeutschen Städten und Gemeinden studierten in Leipzig, Jena und Wittenberg. Einige erlebten den Thesenanschlag Martin Luthers und hörten aus dem Munde des Reformators die neue Lehre, die sie dann zu den Landsleuten im damaligen Oberungarn brachten. Der Protestantismus fand im Karpatenraum erstaunlich schnell Anklang, vor allem in Oberungarn und in Siebenbürgen. Tatkräftige, glaubensstarke Persönlichkeiten wie Georg Baumheckel in Neusohl und Georg Leudischer in der Zips waren daran maßgeblich beteiligt.

Die größte und bleibende Wirkung erzielte die Reformation für das Bildungswesen: Die Menschen wollten selbst die Bibel lesen können, weshalb in fast allen Gemeinden Dorfschulen mit Lese-, Schreib- und Religionsunterricht entstanden. Auch im 18. und 19. Jahrhundert blieben die Deutschen ihrer Aufgabe treu, Brücke und Mittler zwischen West und Ost zu sein. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang vor allem Gottfried Herder und die Brüder Grimm, deren Sammlungen und Märchen zum Vorbild für slowakische Gelehrte wurden.

Drei neue Sterne tauchten am Himmel der Nationalwerdung der Slowaken auf: Pavel Safarik, Jan Kollár und Ludevit Stur. Die beiden ersteren studierten in Deutschland und wurden mit den Ideen Herders bekannt. Kollar nahm am Wartburgfest von 1812 teil und erlebte den nationalen Aufbruch in der deutschen Studentenschaft. Stur wurde zum Vorkämpfer für eine eigene Schriftsprache und gab 1845 die erste slowakische Zeitung heraus: die Slovenske Narodne Noviny.

Die nationalen Slowaken gründeten 1861 die "Matica slovenska", ein Institut für die slowakische Sprache und Kultur. Im Jahre 1862 entstand das erste slowakische Gymnasium. Aber alle damit verbundenen Hoffnungen wurden 1867 durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich zunichte gemacht. Das Königreich Ungarn erhielt fortan das Recht, die Kultur und Bildungspolitik selbst zu bestimmen. Damit war der Magyarisierung Tür und Tor geöffnet. Die deutschen und slowakischen Schulen mußten in der "Staatssprache" unterrichten.

Erst nach 1918 und der Gründung der ersten Tschechoslowakischen Republik änderten sich die Verhältnisse grundlegend: Die Slowaken und Deutschen erhielten ihre Schulen wieder zurück.

Das Hauptproblem für die vielen deutschen Grundschulen in der Slowakei war nun die Versorgung mit Lehrern. Erst dank der Bereitschaft etlicher junger sudetendeutscher Lehrer, die sich auch sonst am Kulturleben der karpatendeutschen Gemeinden beteiligten und diesem neuen Schwung verliehen, wurde dieses Hindernis weitgehend beseitigt - bis sich durch die Vertreibung die Verhältnisse radikaler veränderten als jemals zuvor. (DOD)

Der Verfasser ist Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Karpatendeutschen.

Bollwerk gen Osten: Die Zipser Burg (hi.) ist die größte Europas