19.04.2024

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12.07.03 / Hochmut kommt vor dem Fall

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Juli 2003


Hochmut kommt vor dem Fall
Wilhelm v. Gottberg kommentiert den Fall Friedman

Wer hoch steht, mag sehen, daß er nicht falle. Dieses Sprichwort mit biblischem Hintergrund (Sprüche 16, Vers 18) hätte Michel Friedman als Lebensleitlinie stärker beherzigen sollen. So mancher in der deutschen Republik hätte sich bei dem Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland in der Vergangenheit häufig leisere Töne gewünscht. Aber Demut, Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit und Toleranz für die Meinung des anderen, das war Friedmans Sache nicht. Er hat, wenn es ihm geboten erschien, brutal polarisiert. Seine mit vorzüglicher Rhetorik vorgetragenen lustvollen Provokationen haben viele verletzt. Er, dem die Gnade zuteil wurde, nicht der jüdischen Holocaust-Generation angehören zu müssen, hat sich dennoch nicht gescheut, auch noch die dritte nachgeborene Generation unseres Landes für den Vernichtungsfeldzug der Nationalsozialisten gegen das europäische Judentum kollektiv in materielle und moralische Haftung zu nehmen. Der vermeintliche Moralist Friedman tat dies mit einer oberlehrerhaften Attitüde, die schwer zu ertragen war.

Niemand wagte es, Friedman einen Spiegel vorzuhalten. Gelegentlich aufkommende sanfte Kritik an seinem Verhalten wurde mit dem Antisemitismusvorwurf vom Tisch gewischt. Jürgen Möllemann hatte den Mut, ihn öffentlich zu kritisieren. Er stand alleine und widerstand dennoch dem öffentlichen Druck, sich bei Friedman zu entschuldigen. Im nachhinein wissen wir, daß dies richtig war.

Friedmans Fehlverhalten ist wahrlich kein Kavaliersdelikt. Es zu bewerten überlassen wir getrost der Rechtsprechung und dem öffentlichen Diskurs. Er ist gefallen, wie mancher vor ihm gefallen ist. Er mag wieder aufstehen und fortan im stillen wirken. Der sehr vermögende Michel Friedman kann noch Gutes für das jüdisch-christliche Miteinander in Deutschland bewirken.

Unabhängig von der Person vermittelt der Fall Friedman Einsichten und Details zum Verhältnis der kleinen jüdischen Gemeinde zur Mehrheitsbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. Ignatz Bubis hat häufig beklagt, daß dieses Verhältnis von Normalität noch weit entfernt sei. Wir haben ihn damals nicht verstanden. Heute wissen wir, daß er recht hatte.

Viele Juden in Deutschland meinen, daß die Deutschen aufgrund der schrecklichen zwölf NS-Jahre auch im 21. Jahrhundert noch besondere Rücksicht und Nachsicht im Umgang mit Juden obwalten lassen müssen. Hinter jeder Kritik am Judentum und an jüdischen Repräsentanten, mag sie noch so sachlich geäußert und gerechtfertigt sein, vermutet man eine antisemitische Aktion. Der jüdische Schriftsteller Schneider nennt dies den Ghetto-Reflex. So haben unter anderem die Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde in München, zugleich Vizepräsidentin des Zentralrats, aber auch der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Wien, in der Berichterstattung einiger Medien über Friedman durchaus einen Angriff auf das deutsche und auch auf das europäische Judentum gesehen. Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats, hat derartige Auffassungen mit bemerkenswerter Klarheit zurückgewiesen. Die FAZ schreibt in diesen Tagen zum Fall Friedman: "Die öffentliche Ächtung jedweden gegen das Judentum gerichteten Ressentiments ist klipp und klar, läßt keinen Zweifel übrig und zieht sich durch alle Blätter und Sendeplätze der Republik."

Große Teile der bundesdeutschen politischen Klasse und auch der Mediengestalter in Presse, Rundfunk und Fernsehen meinen gleichfalls, das gedeihliche Miteinander von Juden und Nichtjuden in Deutschland erfordere, überspitzt formuliert, ein devotes Verhalten gegenüber jüdischen Landsleuten. Welche Gründe und Motive einer derartigen Geisteshaltung auch immer zugrunde liegen, für den wünschenswerten normalen Umgang von Juden und Nichtjuden in Deutschland ist das nicht hilfreich.

Wir konnten es vor zwei Wochen am Bildschirm miterleben. Die Dienstagabend-Magazinsendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, sonst meistens für reißerischen Enthüllungsjournalismus bekannt, versuchte die Zuschauer zu überzeugen, daß der Fall Friedman kein Fall sei und die Urheber der Kampagne mit Konsequenzen zu rechnen hätten. Die Magazinsendungen machen andererseits jedoch rücksichtslos junge Menschen herunter, wenn sie es wagen, das Lied der Deutschen mit allen drei Strophen zu singen. Der Herausgeber einer großen Wochenzeitung sprach im Fall Friedman von einem "durchgeknallten Berliner Staatsanwalt". Eine unglaubliche Diffamierung. Die Kritik in der Presse gegen die Vorgehensweise der Berliner Ermittlungsbehörden war deutlich überzogen. Tatsächlich aber war die Arbeit der Berliner Staatsanwaltschaft nicht zu beanstanden. Zu Recht ergreift nun der Berliner Generalstaatsanwalt rechtliche Schritte gegen den Herausgeber der Wochenzeitung.

In einer großen Sonntagszeitung kritisierte ein Kolumnist am 22. Juni die in den Medien betriebene vermeintliche Vorverurteilung des Herrn Friedman. Schließlich sei der nicht irgendwer, sondern der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Wie bitte? Gilt etwa für Friedman aufgrund seines Amtes beim Zentralrat nicht, was für alle Personen gilt: Gleichheit vor dem Gesetz?

Friedman war eine Person der Öffentlichkeit. Personen der Öffentlichkeit müssen sich bei Fehlverhalten eine mitunter gnadenlose, aber nicht selten auch gerechtfertigte kritische Berichterstattung gefallen lassen. Das haben vor Friedman bereits zahlreiche andere Prominente erfahren müssen.

Die wenig erfreuliche Angelegenheit endet dennoch mit einem positiven Aspekt: Der Rechtsstaat funktioniert.