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19.07.03 / Tarnfarbe: Braun

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Juli 2003


Tarnfarbe: Braun
von Hans Heckel

Nazi-Vergleiche als billige Allzweckwaffe? Der Streit um die Ausfälle italienischer Politiker wirft die Frage nach dem Sinn der bisherigen "Vergangenheitsbewältigung" auf. Sie soll neue Verbrechen vermeiden helfen, heißt es. Die Geschichte seit 1945 lehrt freilich das genaue Gegenteil. Vom Völkermord bis hin zur läßlichen Entgleisung: Der NS steht jedem zur Verfügung, der etwas rechtfertigen will, was nicht zu rechtfertigen ist.

Halb verwundert, halb enttäuscht nehmen deutsche Medien angesichts der italienischen Rüpeleien zur Kenntnis, wie sehr das Deutschenbild im Ausland noch immer vom "Schatten der Vergangenheit" entstellt sei. Kanzler Schröder hat auf die Provokation aus Rom mit der Absage seines Italien-Urlaubs geantwortet. Die Medien-Reaktion in Deutschland war überwiegend negativ. Schröder habe den Graben nur vertieft, statt "besonnen" zu handeln, so der Tenor. Zwei Drittel bis drei Viertel der Deutschen sehen das nach verschiedenen Blitzumfragen ganz anders: Der Kanzler habe richtig gehandelt, sagen sie. Schröders feine Nase für die Empfindungen des Volkes hat ihn also nicht getäuscht. Endlich einmal eine Reaktion, statt wieder einmal Kopfeinziehen - darauf hatten die Menschen dieses Landes offenbar schon lange gewartet.

Aber sind wir nicht ziemlich ungerecht mit den Italienern oder anderen Nachbarn, die sich tagtäglich am Gruselposter des finsteren Deutschen erbauen? Gerhard Schröder will im Sommer in Hannover bleiben. Da täte er gut daran, sich einmal auf den heimischen Straßen nach dem Deutschlandbild der Deutschen zu erkundigen. Wir kennen das unterhaltsame Spiel: Ich sage dir ein Wort, und du hast zehn Sekunden Zeit zu antworten, was dir dazu einfällt. Der Kanzler sollte das in der schönen Hannoveraner Fußgängerzone mit den Begriffen "Deutsche Geschichte" oder, noch erhellender, "Deutsche Vergangenheit" versuchen.

Mit der Zuverlässigkeit eines gerade erst gewarteten Getränkeautomaten würden ihm die Passanten Vokabeln wie Hitler, Zweiter Weltkrieg, Auschwitz, Judenverfolgung etc. auswerfen (der Verfasser dieser Zeilen hat das Spiel im heimischen Hamburg weidlich ausprobiert). Was aber macht das Gesicht einer Nation aus, wenn nicht das allgemeine Bild von seiner Geschichte? Wer den Charakter eines Menschen beschreiben will, tut dies anhand seiner vergangenen Taten. Bei Völkern ist es nicht anders. Es kommt darauf an, welche Aspekte seiner Vergangenheit als charakteristisch betrachtet, welche als (zuweilen fürchterliche) Ausnahme wahrgenommen werden. Wer beispielsweise an die USA denkt, der denkt zuvörderst an Freiheit und Pioniergeist und nicht an Sklaverei, Völkermord und Landraub. Den Deutschen hingegen ist beigebracht worden, den düstersten Teil ihrer jahrtausendealten Vergangenheit vor alles andere zu stellen. Ihr Bild von der eigenen Nation fällt unterm Strich entsprechend fatal aus.

Es sind gewiß weder britische Hetzblätter noch durchgeknallte italienische Staatssekretäre, die dafür verantwortlich zeichnen, daß die Deutschen ein so düsteres, einseitiges Bild von ihrem eigenen Land haben. Dieses "Image-Problem" wurde in Jahrzehnten von Heerscharen deutscher Intellektueller, Politiker und Journalisten emsig herbeimodelliert. Das Deutschlandbild im Ausland ist nicht unwesentlich davon geprägt. Es ist kaum glaubwürdig, wenn Politiker, Journalisten oder Pädagogen ein "Image-Problem" im Ausland bejammern, das sie selbst im Innern mit ungeheurem Aufwand tagtäglich reproduzieren.

Der Schriftsteller Martin Walser wurde auf das Übelste verunglimpft, als er sich 1998 der "Dauerpräsentation unserer Schande" öffentlich überdrüssig zeigte und die Art beklagte, wie eine kleine Schar von "Moralpolizisten" sich erdreiste, dieses Volk in Schach zu halten. Der US-Wissenschaftler Norman Finckelstein legte wenig später seinen Finger auf die "Holocaust-Industrie". Die beiden brachten damit unabhängig voneinander etwas ans Tageslicht, was bis dahin als unaussprechlich galt: Die machtpolitischen (Walser) und finanziellen (Finckelstein) Profiteure der NS-Vergangenheitsbewältigung. Plötzlich wurde ein ganz und gar neuer Blick auf Sinn und Zweck einer bis dato sakrosankten Erscheinung unserer Zeit eröffnet.

Auf die Frage nach dem Sinn der einseitigen Fixierung auf den NS galt bisher die immer gleiche Antwort: Damit so etwas oder ähnliches nie wieder geschehe. Jetzt, beinahe 60 Jahre nach Ende der Hitler-Diktatur, wäre es an der Zeit, Rück-schau zu halten und zu resümieren, wie hilfreich diese "Dauerpräsentation" beim Kampf gegen Völkermord, Rassenhaß, Diktatur und Menschenrechtsverletzung in der Praxis wirklich war. Die Bilanz ist niederschmetternd: Die Geschichte seit 1945 kennt nämlich kein einziges Beispiel dafür, daß Unrecht, Verbrechen oder Völkermord mit Hilfe der dauernden Verweise auf jene speziellen "Geister der Vergangenheit" vereitelt worden wären.

Man könnte einwenden, die Geschichte sei noch nicht zu Ende, wer könne wissen, was uns künftig droht, so daß wir die Vergangenheitsbewältigung vielleicht doch noch als Immunsystem gegen neue Untaten bitter brauchen könnten. Mit solchen Warnungen wird die nimmermüde Dauerkonfrontation mit der NS-Geschichte "im Alltag der Menschen" - und eben nicht bloß in den Geschichtsbüchern - seit langem offiziell begründet.

Das Argument wirkt auf den ersten Blick schlüssig. Aber eben nur auf den ersten, denn: Brauchten wir wirklich den Hinweis auf Hitlers Lager, um den Völkermord in Ruanda oder auf dem Balkan als entsetzliche Verbrechen zu erkennen? Natürlich nicht. Und dies wird auch bei späteren Katastrophen nicht anders sein. Was dort geschah, war gegen alle Menschlichkeit, jede Würde, jedes Recht. Der Prostest gegen solche Geschehnisse rechtfertigt sich aus sich selbst heraus, selbst wenn es Hitler nie gegeben hätte.

Kehren wir also aus der grauen Theorie in die erlebte Geschichte seit 1945 zurück. Wer genau hinblickt, wird einen Gebrauchswert der ständigen NS-Verweise während der vergangenen sechs Jahrzehnte entdecken, der für eine Zukunft im Zeichen der "Vergangenheitsbewältigung" wenig Gutes verspricht: Seit dem Zweiten Weltkrieg ist eine ganze Palette moralisch verwerflicher Handlungen unter dem Deckmantel des "Antifaschismus" nicht nur relativiert, sondern regelrecht schöngeredet oder sogar gerechtfertigt worden. Schon ab 1945 legitimierten die Kommunisten die Gleichschaltung der demokratischen Parteien in der SBZ mit der Notwendigkeit, die braune Gefahr abzuwenden. Über den 17. Juni 1953, als Panzer junge Arbeiter zermalmten, räsonierte der linke Schriftsteller und spätere PDS-Bundestagsabgeordnete Stephan Heym, damals seien die "Nazis wieder aus ihren Löchern gekommen", und verteidigte so die brutale Niederwerfung einer lupenreinen Freiheitsbewegung. Acht Jahre später errichteten die Kommunisten ihren berüchtigten "Antifaschistischen Schutzwall". Erneut: Mord und Totschlag im Namen des "Nie wieder", der Hinweis auf die angeblich allgegenwärtige braune Gefahr als Vehikel, um etwas zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist.

In der Bundesrepublik arbeiten linksextreme Gruppen unablässig daran, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit und sogar das Recht auf körperliche Unversehrtheit ihrer Gegner zu zertreten. Die fadenscheinige Begründung: "Antifaschismus". Ohne diesen Vorwand stünden die Verächter der Menschen- und Bürgerrechte ziemlich nackt da. Jeder würde ihre tiefe Feindschaft gegen Menschenwürde, gegen Recht und Demokratie ungeschminkt erkennen. Der Dauerverweis auf den NS dient ihnen als billige (aber wirkungsvolle) Tarnung von groben Verstößen gegen die Grundfesten des Rechtsstaats. Zudem hilft die "Dauerpräsentation" des Hitlerismus den offenen und verkappten Verfechtern der roten Barbarei dabei, naive Demokraten in falsche Bündnisse zu locken.

Seit dem Ende der großen Blöcke wendet sich der NS-Verweis indes noch stärker als zuvor gegen die Deutschen als Nation. Unwidersprochen dürfen sie als (ewiges) "Volk der Täter" gebranntmarkt werden. Eine Bezeichnung, welche nahelegt, die Deutschen hätten sich in ihrer Mehrheit und in voller Kenntnis der Greuel für die massenhafte Ermordung unschuldiger Menschen bewußt eingesetzt. Eine historische Untersuchung dieser Anklage findet erst gar nicht statt. Kein Zweifel: Ohne die Unterstützung breiter Massen hätten die Nazis die Macht nie erlangt. Aber haben diese Massen bewußt Auschwitz gewählt? Haben die Russen ihre Oktoberrevolution gemacht, um Lenins und Stalins Konzentrationslager zu ermöglichen? Für die kollektive nationale Schuld an den Verbrechen spiele das keine Rolle, wird streng entgegengehalten. Doch, warum sind die Russen dann nicht ebenso das "Volk der Täter" des Archipel GULag? Ganz einfach: Weil der Begriff "Volk der Täter" eine Kollektivschuld unterlegt, welche die russische Nation zurecht empört zurückweist, wohingegen die Deutschen die Pauschalverurteilung ihres Volkes sogar in den eigenen Sprachgebrauch aufgenommen haben.

Unverzichtbares Werkzeug zur Absicherung der mißbrauchten NS-Vergangenheitsbewältigung ist das sogenannte Aufrechnungsverbot. Wer im Zusammenhang deutscher Verbrechen die Untaten aus den Reihen anderer Nationen ins Feld führt, dem wird "Aufrechnung" vorgeworfen. Die derart Angeklagten flüchten sich zumeist nur in hilfloses Herausreden ("Natürlich wollte ich auf keinen Fall ..."). Schnell sind sie Anwürfen wie "Relativierung" oder gar "Verharmlosung" ausgesetzt. Entlarvend ist, daß jenem Aufrechnungs-Verbot auf der einen ein striktes Aufrechnungs-Gebot auf der anderen Seite gegenüber steht. Wo Verbrechen an Deutschen angesprochen werden, ist es nachgerade moralische Verpflichtung, ohne eine Minute zu verschwenden auf die Vergehen von Deutschen hinzuweisen ("Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang aber, daß gerade auch die Deutschen ...").

Während des Kalten Krieges bediente sich die kommunistische Propaganda dieser perfiden Methode in perfekter Manier. Es sollte verhindert werden, daß Verbrechen von (russischen und anderen) Kommunisten jemals wirklich diskutiert werden konnten. Wer es dennoch tat, konnte im Wechselspiel von verbotener und gebotener Aufrechnung zum Schweigen gebracht werden. Nach dem Fall der Mauer ist dieser ideologische Mißbrauch mehr und mehr von einem nationalen Egoismen verdrängt worden. Jedem Volk der Welt ist es freigestellt, die dunklen Flecken seiner Geschichte hinter dem (deutschen) NS zum Verblassen zu bringen. Am Ende bleiben die Deutschen als einzige Spezies der Menschheitsgeschichte übrig, die sich wahrhaft zu schämen hat, an der sich ein jeder straflos sein Mütchen kühlen darf, ohne befürchten zu müssen, auf die eigenen historischen Verfehlungen gestoßen zu werden. Das wäre ja (die verbotene Variante der) Aufrechnung.

Daß sich deutsche Politiker, Intellektuelle oder Medienmacher gegen den Mißbrauch der NS-Vergangenheit zur Stigmatisierung Deutschlands zu wehren beginnen, stimmt hoffnungsvoll. Es täte ihnen jedoch gut, vor der eigenen Tür mit dem Kehren anzufangen. Wer hat schließlich jene Atmosphäre (in Deutschland!) erzeugt, in welcher jeder, so er skrupellos genug ist, die Hitlerbarbarei für seine Zwecke beliebig ausschlachten darf - und sei es sogar, wie dargestellt, um andere Verbrechen zu rechtfertigen?

Wir haben allen Grund, uns Sorgen zu machen. Seit einiger Zeit wird vermehrt von der "Internationalisierung des Holocaust-Gedenkens" gesprochen. Daran wäre an sich nichts zu bemängeln. Nur steht nach den bisherigen Erfahrungen zu befürchten, daß Deutschland auf diesem Wege zur Schutthalde des Weltgewissens wird, indem diese "Internationalisierung" nur mehr dazu mißbraucht wird, Gedenken an andere Untaten eigennützig auf Kosten der Deutschen beiseite zu schieben, als zweit-rangig abzutun. So könnten selbst Verbrecher der Zukunft erneut - wie die Kommunisten es ausgiebig praktiziert haben - auf den NS als billige Rechtfertigung ihres Tuns zurückgreifen, wenn neben der braunen Hölle alles andere Unheil als "sekundär" heruntergespielt werden darf.

Eine erschreckende Folge jener gewollt schiefen Wahrnehmung ist bereits heute sichtbar: Antigermanismus ist in zahlreichen Ländern die einzige öffentlich akzeptierte Form des Rassismus. Dies betrifft auch und besonders gerade solche westlichen Länder, die sich skurrilerweise selbst für überdurchschnittlich tolerant und aufgeklärt halten.

Die Aufgabe deutscher Demokraten besteht darin, zu verhindern, daß sich antidemokratischer Extremismus hinter "Antifaschismus" und antideutscher Rassismus hinter "verständlichen Vorbehalten" verbergen und austoben darf. Dazu bedarf es weit mehr als der Absage eines Italien-Urlaubs. Am Anfang hat eine sachliche, öffentliche Bestandsaufnahme der "Vergangenheitspolitik" der letzten Jahrzehnte und ihrer Ergebnisse zu stehen.

Mißbrauch aus Methode: Linksextreme Gruppierungen berufen sich auf den "antifaschistischen Kampf", um ihren Feldzug gegen Demokratie, Rechtsstaat und Andersdenkende zu kaschieren - wie hier auf einer Demo der "Autonomen Antifa" in Göttingen Foto: dpa

Kommunisten nutzen die Nazi-Vergangenheit zu ihrer eigenen Entlastung

"Aufrechnung": Mal ist sie verboten, mal zwingend verlangt