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19.07.03 / Preußisches und Ostpreußisches im Werk

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Juli 2003


"So werde ich doch leben in der Zukunft"
Preußisches und Ostpreußisches im Werk 
von Lovis Corinth / Von Silke Osman

Seine Bilder vom Walchensee sind von unvergleichlicher Schönheit und erlangen auch heute auf Auktionen noch hohe Preise; seine Porträts berühmter Zeitgenossen und seine Bilder mit historischem oder biblischem Inhalt sind heute in Museen im In- und Ausland zu finden. Lovis Corinth (1858-1925), der Ostpreuße und Preuße, allerdings wird meist kaum beachtet. Dabei war der am 21. Juli vor 145 Jahren in dem kleinen Städtchen Tapiau, Kreis Wehlau, Geborene ein begeisterter Preuße, und immer wieder finden sich in seinem Werk Motive zur preußischen Geschichte, aber auch solche mit ostpreußischem Kolorit. So malte er 1915 die Totenmaske Friedrichs des Großen, deren Abguß immer an der Wand seines Ateliers hing. Und 1920 erzählte er dem Redaktionsleiter des Berliner Kunstverlags Fritz Gurlitt, Paul Eipper, begeistert von einem ersten Besuch im Zeughaus: "Denken Sie, da komm ich in einen Saal, steht da eine blaue Uniform, ein Dreispitz, ein Krückstock. Ich seh das so von weitem, undeutlich, denke gleich, das ist doch Friedrich der Große, wahrhaftig, als ich näher kam, stand's da: das sind seine Kleider. Ich war ordentlich erschrocken vor Ehrfurcht ... Wie gut, daß das Museum keine Wachsköpfe hat machen lassen. So war's ja viel echter! Das war mir ein großer Genuß ..." Kein Wunder, daß die Uniform auch Eingang gefunden hat in einen Zyklus mit 45 Lithographien zum Leben Friedrichs des Großen: "Fridericus Rex", erschienen 1921/22 bei Gurlitt. Corinth stellte sich mit dieser Arbeit neben Daniel Chodowiecki und Adolph v. Menzel, die beide, jeder auf seine Art, den großen König dargestellt haben. Anders als Menzel aber, der historische Studien betrieb, las Corinth viel über Friedrich den Großen und seine Zeit, um sich so dem Thema zu nähern. Zu den überlieferten Szenen führte er eigene Bildideen ein und beleuchtete so die Geschehnisse aus der Sicht eines modernen Künstlers.

Berlin, die Hauptstadt, wo Corinth seit 1901 lebte und arbeitete, lag dem Ostpreußen sehr am Herzen, wenn er auch später "sein" ganz besonderes Fleckchen Erde in Urfeld am Walchensee fand. Vor allem nach Ende des Ersten Weltkriegs, als auch das Weltbild des Ostpreußen ins Wanken geriet, schlug sein Herz für Berlin: "Die fleißigen regen Menschen gefallen mir, sie sind empfänglich für Kunst. Straßen und Häuser schienen für die Ewigkeit gemacht. Auch mit Kunst war Berlin reichlich bedacht. Aus der großen Vergangenheit führt uns die Schlütersche Zeit mit dem Denkmal des Großen Kurfürsten herüber, mit dem Zeughaus und dem herrlichen königlichen Schloß. In nächster Nähe sind die schönen Architekturen des genialen Schinkel: das Alte Museum, die Prachtstraße ,Unter den Linden' bis zu dem herrlichen Brandenburger Tor, zwischendrein kleinere architektonische Kunstwerke ... Das schönste Kunstwerk ist ohne Frage nächst dem Großen Kur- fürsten das Brandenburger Tor ... Man muß schon bis Rom gehen, um ähnliche Triumphtore zu sehen", schwärmte er in einem Artikel für das Berliner Tageblatt.

Wie sehr traf es Lovis Corinth, als seine engere Heimat während des Ersten Weltkrieges von der Kriegsfurie heimgesucht wurde: "Das Osterfest in Ostpreußen wird heute zum ersten Mal unter Ruinen und geborstenen Häusern begangen", schrieb er in seiner Biographie. "Der russsische Feind zerstörte das alte Ostpreußen. Keine Stadt wurde verschont, und so ist denn auch meine Heimat, das kleine Tapiau, in Asche verfallen. Über Insterburg und Wehlau drängten die Russen über den Pregel und das Nebenflüßchen, die Deime, durch den Sauditter Kiefernwald, welcher sich von Tapiau bis Wehlau erstreckt. Hier sah ich oft am Waldessaum Rehe, die mit ihren Jungen gemächlich grasten. Aber mit der Ruhe ist es jetzt vorbei. Hörnersignale, Trommelschlag, Gewehrknattern und ganze Reihen von Schützengräben sind über Nacht entstanden und stützen sich an den Ufern der Deime. Dort aus den auf der Höhe stehenden Häusern und aus andern stiegen die Flammen auf. Im Flammenmeer geht alles rettungslos zu Grunde.

Zwei Männer, die Wächter der Stadt, Bürgermeister Wagner und der Superintendent Kittlaus, hielten sich aufrecht und halfen, wo es not tat. Der Bürgermeister trat den Weg längs der Königsberger Chaussee nach Königsberg an. Durch verlassen öde Dörfer und durch Wälder, wo die Kugeln an seinem Ohr vorbeisausten und die Zweige knick-ten. Der friedliche Pfarrer überwachte in der beschossenen Stadt seine Gemeinde. Ihm bin ich zu Dank verpflichtet, weil er sogar mein Bild, das dem Schrapnellfeuer ausgesetzt war und schon bereits davon getroffen wurde, rettete, indem er es hastig aus dem Rahmen schnitt und außer Gefahr brachte. So ist nur eine Arbeit von mir bis auf den Grund verbrannt (eine Grablegung.)" Bei dem erstgenannten Bild wird es sich um das Golgatha-Triptychon gehandelt haben, das Corinth 1910 für die evangelische Kirche in Tapiau geschaffen hatte. Die Einschußstellen hat er später nicht restaurieren lassen, weil er die Schäden als Erinnerung an diese Zeit erhalten wissen wollte.

Mitten im Krieg hatte der Magistrat der Stadt den Maler zum Ehrenbürger ernannt. Im August 1917 fuhr er schließlich von Berlin in seine Vaterstadt, um dort zu malen und die Bilder der Stadt zu schenken. Es handelte sich um die Arbeiten "Die Ratsherren von Tapiau", "Tapiau" und "Borussia". Wegen des ersten Gemäldes kam es fast zu einem Eklat. Einer der Ratsherren war nicht einverstanden mit der Darstellung und fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Da Corinth das Porträt nicht ändern wollte, ließ er das Gemälde unvollendet und fuhr nach Berlin zurück. Ein knappes Jahr später kehrte er zurück und beendete sein Werk. - Die Ratsherren hatten sich schließlich mit seiner Art der Darstellung anfreunden können. Er wohnte zu der Zeit im Ausflugslokal "Klein-Schleuse an der Deime", wo man den Vorraum zur Kegelbahn als Atelier eingerichtet hatte.

Immer wieder war Lovis Corinth von Berlin aus nach Ostpreußen gereist, so 1906, um seiner jungen Frau, der Malerin Charlotte Berend-Corinth, seine Heimat zu zeigen. Auch 1916 besuchte er Königsberg und Tapiau, wo er am Grab seiner Mutter verweilte. "Eines macht mich besonders stolz", notierte er 1917 in seinen Erinnerungen, "auch in meiner Heimat fing man allmählich an, sich für mich zu rühren, so daß es von mir nicht heißen kann: ,Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande". Sowohl in Königsberg wie in meiner Geburtsstadt Tapiau traten Männer für mich ein, welche im besten Sinne auf mich als Künstler aufmerksam machten." 1921 wurde ihm dann der Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Albertina verliehen. Drei Jahre später besuchte er gemeinsam mit Sohn Thomas Königsberg, wo sie an den Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag von Immanuel Kant teilnahmen, auch an dem berühmten "Bohnen-mal" der Kant-Gesellschaft. Im Lichthofsaal des Handelshofes am Hansaring wurden derweil die Werke des Meisters aus Tapiau gezeigt.

Es war ein langer, weiter Weg vom kleinen Jungen, der mit den Tieren des elterlichen Hofes und dem Gestank der Lohgruben (der Vater war Gerbermeister) aufwuchs, bis hin zu dem gereiften Mann und anerkannten Künstler. Die Mutter war streng, und die Stiefgeschwister oft voller Neid, da der kleine Lovis die höhere Schule besuchen durfte. Nur Rike, die Stiefschwester, war ihm zugetan. Eine ihrer Freundinnen, die einäugige Emilie, zeigte dem Jungen eines Tages ein "wunderschönes Bild, welches immer vorsichtig aufgerollt war. Es stellte den König Friedrich Wilhelm III. dar, wie er auf einem herrlichen Pferde ritt. Ich konnte mich nicht genug daran satt sehen. Namentlich das Pferd mit den vortretenden Adern an den sehnigen Beinen. Sie erzählte mir dann auch von dem Reiterdenkmal desselben Königs in Königsberg und machte mich ganz sehnsüchtig danach. Von ihr wurde mir die Kunstliebe in mein Kinderherz einge-impft ..." - Es handelt sich dabei um das von August Kiss geschaffene und 1851 auf dem Königsgarten, dem späteren Paradeplatz, enthüllte Bronzestandbild. Corinth hat später Gelegenheit, das Original zu bestaunen, als er in Königsberg das Kneip-höfische Gymnasium besucht.

Lesen und schreiben gut, rechnen mangelhaft - so möchte man die Schulzeit des später so berühmten Malers zusammenfassen. Mit einem Schmunzeln erinnert er sich an den Musikunterricht bei Musikdirektor Pabst. "Nach meiner Erinnerung hatte er eine Oper ,Die letzten Tage von Pompeji' komponiert. Er schlief natürlich aus Langeweile nachmittags ein. Da wachte er plötzlich auf und fragte mich, der ich gerade ihn abzeichnete, nach irgend einer Tonleiter. Ich drehte das Papier mit seinem Porträt um und leierte irgend etwas herunter. Dann besah er die Kritzeleien, und es regnete Ohrfeigen. Darauf wachte er wohl zuerst aus seinem Schlafe auf und besah die andere Seite, wo sein Porträt war. Er lachte amüsiert und fragte mich, was ich werden wollte. Ich antwortete darauf Soldat, denn dieses Metier war gerade bei mir an der Reihe. Darauf er: ,Jung, werde doch Porträtmaler', faltete das Papier zusammen und steckte es in die We-stentasche. Noch nie waren mir Ohrfeigen so angenehm gewesen wie heute ... Von da ab versuchten die anderen Schuljungens in der Gesangsstunde den schlafenden Musiklehrer immer zu karikieren - aber nicht mehr mit dem selben Erfolg."

Mit großer Energie ging Lovis Corinth seinen Weg, bis ins Alter aber auch geplagt von Selbstzweifeln. Seine Frau Charlotte war ihm in diesen Zeiten eine großartige Stütze. "Ehre und Ruhm? Nichts! Die Überzeugung in sich selbst! Wie der Mensch geboren wird, so bleibt er auch sein ganzes Leben lang ... Ich war stets ein naiver Dummerjan. Wo soll man das lernen, wenn man stets mit Kaufleuten, Kunsthändlern und Verlegern zu tun hat, deren Geschäft es ist, den Künstler hineinzulegen, während der Künstler seine Gedanken auf die Kunst richtet und sein erstes Prinzip ist, etwas Gutes zu leisten. Ich glaube, die Kunst wird mein letzter Gedanke sein."

"Deutschland soll auf mich doch noch stolz werden", schrieb er im Dezember 1922. "Ich kann alles, was ich will. Ich kann arbeiten, mehr und besser wie ein Junger; ich habe es erreicht, und wenn ich heute, während ich dies schreibe, sofort hin bin, so werde ich doch leben in der Zukunft." - Wie wahr!

 

Lovis Corinth: Das Brandenburger Tor nach dem Ersten Weltkrieg

Tapiau: So sah der Künstler im August 1917 seine Vaterstadt

Friedrich der Große: Der alte König aus der 1922 bei Gurlitt erschienenen Mappe mit Lithographien "König Friedrich und sein Kreis"

Die Ratsherren von Tapiau: Das 1917 entstandene Bild zeigt Bürgermeister Wagner, mit beiden Händen aufgestützt, umgeben von den Ratsherren