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26.07.03 / Fusionsgespräche auf dem Berliner Zeitungsmarkt bedrohen die Macht sowie das Image großer Verlagshäuser und gefährden letztendlich auch die Pressefreiheit

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Juli 2003


Ende der Meinungsvielfalt 
Fusionsgespräche auf dem Berliner Zeitungsmarkt bedrohen die Macht sowie das Image großer Verlagshäuser und gefährden letztendlich auch die Pressefreiheit 
von Thorsten Hinz

Noch vor wenigen Jahren galt Berlin für die Presse als Zukunftsmarkt, auf dem man präsent sein mußte. Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau und die Frankfurter Allgemeine richteten Berlin-Seiten mit eigenen Redaktionen ein, die FAZ überlegte kurzzeitig sogar, ihr gesamtes Feuilleton in die Hauptstadt zu verfrachten. Der Springer-Verlag hatte seinen Hauptsitz nach Berlin, in jenes Hochhaus in der Kochstraße, hart am ehemaligen Mauerstreifen, verlegt, das Axel Springer in den sechziger Jahren errichtet hatte. Das alles geschah in der Erwartung, daß Berlin eine große Zukunft bevorstehe, daß es zur Metropole, zur größten Industriestadt zwischen Atlantik und Ural, zur Drehscheibe zwischen Ost und West und Paris aufsteigen und mit London und Rom kulturell wenigstens gleichziehen würde.

Das waren, wie man heute weiß, Luftschlösser, Projektionen aus dem Geiste des Überschwangs nach Mauerfall, Wiedervereinigung und Regierungsumzug. Berlin ist ein deutscher Sorgenfall geblieben, der allgemeine Konjunktureinbruch reicht hier noch ein bißchen tiefer als anderswo und geht Hand in Hand mit einer Sinnkrise des Metropolen-Journalismus. Die Berlin-Seiten der großen Überregionalen sind längst wieder eingestellt.

Trotzdem bleibt der Berliner Pressemarkt umkämpft. Die eingesetzten Waffen sind keineswegs nur Werbekampagnen und journalistische Qualität. Im Augenblick köchelt der Streit zwischen den Pressehäusern zwar auf kleiner Flamme. Sobald aber Wirtschaftsminister Clement seinen Ministerentscheid dazu bekannt gibt, wird der Topf wohl wieder überkochen.

Akteur im Streit ist der Stuttgarter Holtzbrink-Verlag, dem Der Tagesspiegel mit knapp 140.000 Exemplaren gehört. In Abwehrstellung steht der Axel-Springer-Verlag mit der Berliner Morgenpost (rund 150.000) und der Welt. Als stummer Teilhaber agiert das Verlagshaus Gruner & Jahr in Hamburg, das die in seinem Besitz befindliche Berliner Zeitung mit über 190.000 Exemplaren schnellstmöglich an Holtzbrinck verkaufen will.

Das Bundeskartellamt hatte diese Transaktion verboten,

weil durch eine Fusion die Stellung der Holtzbrinck-Gruppe auf dem Berliner Markt zu stark würde. Holtzbrinck verwies dagegen auf Springers De-Facto-Monopol auf dem Anzeigenmarkt der Hauptstadt, das andere Verlage daran hindere, eine gesunde wirtschaftliche Basis aufzubauen. Die Stuttgarter beantragten daher eine Ministererlaubnis für den Kauf, andernfalls müßte der Tagesspiegel, der ein jährliches Defizit von 75 Millionen Euro verursacht, eingestellt werden. Im Mai entschied Wolfgang Clement nach einer Anhörung, Holtzbrinck sollte sich zunächst ernsthaft um einen Käufer für den Tagesspiegel bemühen. Danach könne über die Erwerbung der Berliner Zeitung entschieden werden. Als aussichtsreichster Bewerber für den Tagesspiegel gilt zur Zeit der Bauer-Verlag aus Hamburg, der mit der Tagespresse (von der Magdeburger Volksstimme abgesehen) nicht viel im Sinn hat und als Verfechter eines harten Sanierungskurses gilt.

Das Gezerre greift tief in die Psychologie der Stadt ein, deren Presse noch immer in einen Ost- und Westmarkt aufgeteilt ist. Die 1898 gegründete Morgenpost ist unter den drei Berliner Abonnementzeitungen die älteste. Nach dem Krieg auf den Westteil beschränkt, kam sie zum Springer-Imperium, das den (West-) Berliner Zeitungsmarkt weitgehend beherrschte. Bieder und solide, zielt sie auf ein kleinbürgerliches, primär am regionalen Geschehen interessiertes Publikum. Ihre Westberliner Heimeligkeit ließ sich nicht in den Ostteil und das Umland übertragen. Ihre Wirkung blieb auf den Westteil beschränkt, bei leicht, aber ständig abnehmender Auflagenzahl.

Zum Risiko ist für sie die Geschäftspolitik des Mutterhauses geworden. Das traditionell defizitäre Springer-Flaggschiff Die Welt zog Anfang der neunziger Jahre aus Bonn nach Berlin, um sich als große Weltstadtzeitung zu etablieren. Chefredakteur Mathias Döpfner - inzwischen Vorstandschef - versuchte Ende der neunziger Jahre Ernst mit diesem Anspruch zu machen. Große Namen - vor allem von der FAZ - wurden eingekauft, Seiten erweitert und neu gestaltet, ohne daß ein dauerhaftes inhaltliches Konzept dahinter sichtbar wurde. Bei vorübergehend steigender Auflage wuchs das Defizit an. Deshalb wurde ein einmaliges Experiment beschlossen: Welt und Morgenpost wurden unter eine gemeinsame Chefredaktion gestellt. Die Beiträge zur Politik, Wirtschaft und Kultur liefert die Welt, während die Morgenpost ihre regionale Kompetenz einbringt. Das Ergebnis ist seltsam: Die ambitionierten Welt-Beiträge gehen an den Bedürfnissen der Morgenpost-Leser vorbei, und der Welt nützt die Berlin-Kompetenz der Schwesterzeitung kaum etwas. Die Welt hat in Berlin im Vorjahresvergleich einen Auflageneinbruch von 16 Prozent erlitten, und auch die Morgenpost hat - im Unterschied zur Berliner Zeitung und zum Tagesspiegel - einen Rückgang verzeichnet.

Mit Argusaugen betrachtet Springer daher die Pläne von Holtzbrinck und dem Tagesspiegel. Diese Zeitung ist eine Nachkriegsgründung. Mit der Berlin-Blockade 1948 brach ihr Markt im Ostteil und im Umland weg, die Auflage sank von 300.000 auf 100.000 Exemplare. Die Zeitung behauptete sich in West-Berlin als liberales Gegengewicht zu den Springer-Blättern und spricht ein eher intellektuelles Publikum an. Den Sprung über die alten Sektorengrenzen aber hat auch sie nicht geschafft. Ohne die Unterstützung durch den Holtzbrinck-Verlag, der die Zeitung 1992 kaufte, hätte sie längst schließen müssen.

Im Ostteil ist die "Berliner Zeitung", das ehemalige SED-Bezirksorgan, nach wie vor konkurrenzlos. Seit dem Ende der DDR hat sie mehrere Metamorphosen erlebt. Die Berliner Zeitung versucht, biedere Bodenständigkeit und intellektuellen Anspruch miteinander zu verbinden. Der ehemalige Chefredakteur Erich Böhme wollte aus ihr eine deutsche Washington Post machen. Diese vielbelächelte Vision schien 1997, als der Regierungsumzug unmittelbar bevorstand, Wirklichkeit zu werden. Die neuen Besitzer Gruner & Jahr rüsteten massiv auf und heuerten zahlreiche Edelfedern aus dem FAZ-Feuilleton an.

Die Qualitätssteigerung im Wochenendmagazin und im Kommen-tarteil war unübersehbar und wurde bundesweit registriert. Allein, das angestammte Publikum wollte diesen neuen Ton nicht goutieren. Mit Aufsätzen über das Erhabene in der Architektur der Berliner Republik oder zur Verteidigung des Fürsten von Putbus als ein zu Unrecht enteignetes Nazi-Opfer konnte es wenig anfangen. Sottisen über die PDS oder der Hinweis, daß das Schulsystem in Bayern besser sei als das Berliner, führte zu wütenden Leserbriefen. Kurzum, das ehrgeizige Projekt war gescheitert, ehe es vollendet war. Die neuen Redakteure wanderten wieder ab, mehrheitlich in Richtung Zeit, die ironischerweise zu - Holtzbrinck gehört. Man kam zu der Einsicht, daß Berlin auf absehbare Zeit weder Umschlagplatz für neue Ideen noch eine aufstrebende, finanzkräftige Metropole werden würde. Gruner & Jahr verlor die Lust an der Zeitung.

So trafen sich die Interessen der beiden Verlagshäuser aus Hamburg und Stuttgart. Holtzbrincks Plan dürfte es gewesen sein, aus zwei Zeitungen eine einzige zu machen, die in beiden Teilen Berlins Wurzeln schlägt und national reüssiert. Diese Perspektive vor Augen, verbot das Kartellamt den Kauf. Um dennoch eine Ministererlaubnis zu erlangen, schlug Holtzbrinck ein merkwürdiges Modell vor: Zusammengelegt werden sollen nur Buchhaltung, Vertrieb, Verwaltung und Anzeigenabteilung, die Redaktionen aber sollten unabhängig voneinander arbeiten. Natürlich wäre es trotzdem über kurz oder lang auf eine Fusion hinausgelaufen.

Bis vor einigen Monaten schien es, daß der Tagesspiegel, mit Holtzbrinck im Rücken, gegenüber der Berliner Zeitung die besseren Karten hatte. Die Qualität seiner Reportagen und Interviews stieg deutlich an, während die Kollegen von der Berliner Zeitung Nerven zeigen. Seitdem Clement seine Entscheidung vertagt und darauf gedrängt hat, den Tagesspiegel zu verkaufen, ist es umgekehrt. Es scheint, daß der Holtzbrinck-Verlag, falls er die Wahl treffen muß, sich lieber für die größere Berliner Zeitung entscheidet und den Konkurrenten aus dem Westteil in die Ungewißheit entläßt.

Auf Clement dürfte die Drohung des Springer-Verlags gewirkt haben, im Falle des Verkaufs an Holtzbrinck die Welt einzustellen, weil die Morgenpost dann nicht mehr in der Lage wäre, die enormen Verluste der Welt auszugleichen. Hinter dieser Ankündigung verbirgt sich auch das Eingeständnis, daß der Traum von einem echten Weltblatt, das der FAZ auf Augenhöhe begegnet, geplatzt ist. In einem spektakulären Protestbrief an die Verlagsleitung hatten Mitarbeiter gemutmaßt, daß ein Zusammenhang zwischen der starren politischen Ausrichtung der Springer-Zeitungen und ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten bestehe. Während des Irak-Kriegs gebärdete die Welt sich dermaßen einseitig, daß neugewonnene Leser sich mit Grausen abwandten.

Merkwürdig war, daß ausgerechnet die FAZ sich für Springer in die Schanze schlug. In den vergangenen Jahren hatten Welt und FAZ sich bekriegt, Autoren abgeworben und sich mit gezielten Indiskretionen überzogen. Die FAZ wollte beim Tagespiegel eine auffallend regierungsfreundliche Haltung bemerkt haben, die Clement veranlassen sollte, dem Zukauf der Berliner Zeitung zuzustimmen. Selbstredend wurde die FAZ, als sie solche Mutmaßungen streute, nur von der um die Pressevielfalt umgetrieben.

In Wahrheit ging es um knallharte Konkurrenz. Zum einen fürchten die Frankfurter die Entstehung eines überregionalen Konkurrenten, der nebenbei ihrer Tochterzeitung, der Märkischen Allgemeinen in Potsdam, das Wasser abgräbt. Vor allem aber schwimmt die FAZ selber in stürmischer See. Mit ihrer gescheiterten Berlin-Beilage hatte sie sich eine blutige Nase geholt. Ihr unsentimentaler Geschäftsführer hat schon gespottet, ihre Artikel könnten ruhig ein bißchen kürzer sein. Bei anhaltenden Verlusten könnte er womöglich auf den Gedanken kommen, sich mit Springer auf eine große Lösung zu verständigen, die beide Verlage zufriedenstellt: Auf eine Fusion von FAZ und Welt. Springer hätte dann endlich das ersehnte Renommierblatt und die FAZ ein starkes Verlagshaus im Rücken. Wenigstens die deutsche Zeitungslandschaft wäre dann von Berlin aus neu geordnet worden.

Über ein Thema wurde kaum einmal diskutiert: Über die Verengung des politischen Meinungsspektrums durch die zunehmende Pressekonzentration in wenigen großen Verlagshäusern. Wie immer der Konflikt am Ende ausgeht, er bietet eine Fallstudie darüber, daß Meinungsvielfalt und Pressefreiheit bloß in dem Maße existieren, wie das Kapital dazu verhanden ist. Problematisch ist auch, daß die Zeitungshäuser immer öfter nach der Hilfe des Staates rufen, ob als Schlichter, Schutzpatron oder Finanzier. Es ist lachhaft, wenn die Frankfurter Rundschau, die vom Land Hessen kürzlich eine Millionenbürgschaft erhalten hat, trotzig erklärt, sie sei "unabhängig". Wie kann ich unabhängig sein von dem, der mich füttert? Hinter verwirrenden Einzelheiten, professionellen Eifersüchteleien und konkurrierenden Verlagsstrategien wird eine Gefahr sichtbar: Die Gefahr, daß eine Oligarchie aus Staatsbeamten, Politikern und Geldleuten die wichtigsten Zeitungen unter ihre Kontrolle bringt und damit unkontrollierbar und unangreifbar wird.

Noch hat der Berliner Zeitungsleser die Wahl: Wenn es aber nach den großen Verlagshäusern geht, werden demnächst einige traditionsreiche Tageszeitungen in der Hauptstadt eingestellt. Foto: ullstein

Berlin sollte nach der Wende zur grossen Metropole werden. Eine Pressekonzentration verengt aber auch das Meinungsspektrum

Wer wird die Krise überstehen? Der Holtzbrinck Verlag will die Berliner Zeitung kaufen und mit seinem Tagesspiegel zusammenlegen. Diese Fusion aber mißfällt dem Axel-Springer-Verlag. Der Inhaber der Berliner Morgenpost und der Welt droht trotzig mit der Einstellung der Welt. Die FAZ könnte dann gekauft werden.