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26.07.03 / Farce von Eupen-Malmedy

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Juli 2003


Farce von Eupen-Malmedy
von Manuel Ruoff

Das historische Kalenderblatt: 23. Juli 1920 - Die Listen gemäß dem Versailles-Artikel 34 werden geschlossen

Nach dem Ersten Weltkrieg befanden sich die Sieger in einem Zielkonflikt. Auf der einen Seite wollte vor allem Frankreich Kriegsbeute machen und Deutschland schwächen. Auf der anderen Seite wollten insbesondere die Angelsachsen zumindest den Anschein erwecken, als wenn sie das von ihnen selbst postulierte Selbstbestimmungsrecht ernst nehmen würden. Die Folge waren diverse Vorgehensweisen gegenüber dem Deutschen Reich im Detail, die von der "klassischen" Annexion deutschen Territoriums ohne Beachtung des Willens der betroffenen Bevölkerung bis zum Plebiszit in einzelnen Grenzregionen des Reiches reichten. Für die am nördlichen Teil der deutsch-belgischen Grenze gelegenen Kreise Eupen und Malmedy wählten die Sieger ein Procedere ganz eigener Art.

Wie Elsaß-Lothringen an Frankreich mußte Deutschland in Ver- sailles auch Eupen-Malmedy an Belgien ohne vorherige Volksabstimmung abtreten. Im Gegensatz zu den Elsässern und Lothringern sollten jedoch die Bewohner von Eupen und Malmedy zumindest Gelegenheit erhalten, hiergegen offiziell zu protestieren. Gemäß dem Artikel 34 des Versailler Vertrages sollten die Einwohner für sechs Monate die Möglichkeit erhalten, in in Eupen und Malmedy ausgelegten Listen "schriftlich den Wunsch auszudrücken, daß diese Gebiete ganz oder teilweise unter deutscher Souveränität verbleiben". Nach dem halben Jahr sollte dann der Völkerbund über das endgültige Schicksal der beiden Kreise entscheiden.

Im entscheidenden Jahr 1920 sprachen von den zirka 60.000 Einwohnern rund 45.000 deutsch, 4.500 französisch beziehungsweise wallonisch und 8.500 beide Sprachen, von denen 6.300 Französisch als erste Sprache bevorzugten. Wenn nun auch nicht unterstellt werden kann, daß jeder deutscher Zunge auch dem Deutschen Reich angehören wollte, hätten diese klaren Mehrheitsverhältnisse nichtsdestotrotz viele Eintragungen in die Listen erwarten lassen - wenn denn die Rahmenbedingungen korrekt gewesen wären.

Hierbei nun erwies sich als von entscheidender Bedeutung, daß die konkrete Abwicklung ohne genauere Ausführungsbestimmungen der belgischen Behörde in Eupen und Malmedy übertragen wurde, und daß die Belgier die damit verbundenen Manipulationsmöglichkeiten mit viel Phantasie und Tücke ausnutzten.

So wurde beispielsweise die Bestimmung, daß in Eupen und Malmedy Listen ausgelegt werden, in der Weise interpretiert, daß damit allein die beiden Städte selbst gemeint seien. Weil die Abstimmungslokale werktags nur fünf und sonntags gar nur drei Stunden geöffnet waren, war es vielen bei den schlechten Verkehrsbedingungen des Eifelgebietes schier unmöglich, sich in die Listen einzutragen. Besonders Landwirte waren oft nicht in der Lage, sich einen oder zwei sommerliche Arbeitstage für eine Reise zum Abstimmungsort freizumachen. Erreichten Protestwillige trotzdem während der Öffnungszeiten die Abstimmungslokale, wurden sie häufig von den Abstimmungsbeamten, den belgischen Distriktskommissaren in Eupen und Malmedy, durch Überredung, Drohung oder bürokratische Einwände von der Eintragung in die Listen abgehalten. Manche wurden zunächst einem langen Verhör über die Gründe ihres Protestes unterzogen.

Bei den Drohungen handelte es sich nicht nur um leere. So mußten die sogenannten Protestler damit rechnen, daß ihnen der für jedes Verlassen Eupen-Malmedys notwendige "Dreisprachenstempel" verweigert wurde, was insbesondere für Berufspendler ins Reich von existentieller Bedeutung war, daß ihnen die Lebensmittelkarten entzogen wurden, da sie keinen Anspruch auf belgische "Geschenke" hätten, daß sie vom günstigen offiziellen Umtauschsatz von deutschen Mark in belgische Franken ausgeschlossen wurden, daß sie entlassen wurden, sofern sie denn im Staatsdienst waren, oder daß sie ausgewiesen, sprich aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Für die bodenständige Landbevölkerung bildete die Gefahr der Ausweisung und der damit verbundenen Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage das wirksamste Druckmittel.

Des weiteren wurden die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt sowie Agents provocateurs eingesetzt, die als vorgebliche Beauftragte der Reichsregierung mit deutschfreundlichen Bewohnern Kontakt aufnahmen, um Beweismaterial für eine deutsche Gegenpropaganda zu beschaffen, das der Be- hörde für eine Verhaftung oder Ausweisung genügte.

Die Repressalien zeigten Wirkung. Bis zu deren Schließung am 23. Juli 1920 trugen sich von den 33.726 Stimmberechtigten lediglich 271, das heißt 0,8 Prozent, in die Protestlisten ein. Darunter waren nach belgischen Angaben allein 202 deutsche Beamte, die ohnehin in das Reich zurück-

zukehren wünschten (das heißt, durch die Drohung mit der Ausweisung nicht zu schrecken waren). Natürlich focht das Reich dieses Ergebnis beim Völkerbund an, doch der Bund machte sich diese Kritik nicht zu eigen. Folglich bestätigte er die Abtretung Eupen-Malmedys ans Königreich Belgien, zu dem es - mit einer Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg - bis zum heutigen Tage gehört.