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20.09.03 / Ein "Revolutionskind" erinnert sich / Susanne Deuter sprach mit der Schauspielerin Rosemarie Kilian

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. September 2003


Ein "Revolutionskind" erinnert sich
Susanne Deuter sprach mit der Schauspielerin Rosemarie Kilian

Tagebuchaufzeichnungen durch fünf Jahrzehnte, teilweise mit Fotos versehen, waren vor allem die Basis für ihre außergewöhnliche Biographie. Das Wissen um die Bedeutung der Theatertradition und die oft genug minderbewertete Arbeit an kleineren Bühnen im Lande war ihr ein wichtiger Anreiz, sich in ihrem Kieler Zuhause an die Schreibmaschine zu setzen. Hunderte von Rollen hat sie verkörpert, dennoch namenlos Karriere gemacht. Dabei steht der Name Rosemarie Kilian nicht nur stellvertretend für andere Kollegen aus der Provinz, sondern insbesondere für den veralteten Ausdruck Demut, dem Beruf und dem Leben gegenüber.

"Mein Beruf hat mich stets getragen, andere Dinge waren es, an denen ich hätte zugrunde gehen können." Ein Resümee aus ihren uneitlen, glaubhaften Erinnerungen, die zurückgehen in ihre Kindheit in Landsberg an der Warthe, wo Rosemarie Kilian am 2. Juni 1919 zur Welt kam. Revolutionskind nannte die Mutter, die pommersche Vorfahren hatte, ihre jüngste Tochter. Ihr Vater war Kaiserlicher Bankassistent und später Bankdirektor. Sein Beruf hat für die Familie zu mehreren Umzügen geführt. In Ludwigsburg (1928-33) wurde das Kind Rosemarie eifrige Kinogängerin, und der Wunsch, Schauspielerin zu werden, erwachte in ihr. In Bremen, dem nächsten Wohnort der Familie, nahm sie ersten privaten Unterricht. Heute schwer zu glauben, daß sie gleich zwei Schauspielprüfungen nicht bestand, der Anfang sich äußerst mühsam entwickelte. Doch aufzugeben, das war schon damals nicht ihre Sache. Ab Herbst 1938 besuchte Rosemarie Kilian die Schauspielschule von Lily Ackermann in Berlin - diesmal mit Erfolg.

Der Engagement-Reigen wurde eröffnet mit einem Ruf nach Allenstein. Die zwei Jahre in Ostpreußen am Landestheater "Der Treudank" seien reich an Erinnerungen gewesen. "Im Theaterkeller wurde das ‚Hascherl' aus Berlin erst einmal hochgepäppelt", erinnert sich Rosemarie Kilian. Die Maikke in Sudermanns "Johannisfeuer" war eine geliebte Rolle. Mit dem Stück "Das Ferienkind" ging es in einem kleinen DKW auf Abstecher-Tour. Da wurde auch schon mal auf zusammengeschobenen Tischen gespielt. Mit Ende der Winterspielzeit 1942 kam der Abschied von Ostpreußen. "Zurück blieb mein Dachstübchen, wo nicht nur manche Kollegin und mancher Kollege mir ihr Herz ausgeschüttet hatten, sondern wo ich auch ganz andere Schicksale kennengelernt hatte." Eine Wehrmachtstournee, u. a. durch Frankreich, schloß sich an. "Wir erreichten weit besser als andere unglückliche Deutsche den 8. Mai 1945. Ich war bereits verheiratet und erwartete mein ersten Kind", beendet sie den ersten Teil ihrer Biographie.

Der Krieg, der frühe Tod der Mutter - die Seele krankte. Zum Glück gingen im Theater wieder die Lichter an. Rosemarie Kilian schloß bis 1949 in Stuttgart ab, spielte an der Seite so namhafter Kollegen wie Rudolf Fernau, u. a. die Emely in "Unsere kleine Stadt". "Während einer Vorstellung von ‚Ein Glas Wasser' verliebte ich mich selbst als Abigail in meinen Mosham." Diesen Kollegen, im Buch nur HO genannt, heiratete sie 1949. Nicht immer leicht zu vereinbaren mit dem Privatleben, folgten Engagements in Darmstadt, Heidelberg, Karlsruhe, Osnabrück und Freiburg. In der neunjährigen Zeit im Breisgau mit 71 Rollen machte sie Anfang der 60er Jahre erste Erfahrungen mit dem Medium Fernsehen, wo es damals noch weniger hektisch zuging.

Spannend zu lesen ist ihre Biographie (Revolutionskind, Bibliothek der Zeitzeugen bei JKL Publikationen, 328 Seiten, 55 Fotos, 19,80 Euro) allemal. Interessant aber sind auch die Unterbrechungen, die Gedanken und Stellungnahmen zur heutigen Zeit, oder kleine Geschehnisse aus dem Alltag einer wachen, engagierten Bürgerin, die sich nicht scheut, ihre Meinung in Leserbriefen zu äußern. "Selbst auf die Gefahr hin, daß sie sich den Mund verbrennt oder die Pferde mit ihr durchgehen", hieß es in der Festrede ihres Kollegen Siegfried Kristen zum 50jährigen Bühnenjubiläum am 10. April 1988. Schon 1946 stellte der Schriftsteller Thaddäus Troll nach dem Kennenlernen in Stuttgart fest: "In der Unterhaltung, mag sie auch in noch so leichtem Plauderton geführt sein, steuert sie immer wieder die Probleme an, bemüht sich um Fragen des Theaters ..." Um die Fragen des Lebens überhaupt, sei hinzugefügt.

Im Alter von 50 Jahren, zweimal geschieden und alleinerziehende Mutter zweier Kinder, zog Rosemarie Kilian nach Kiel. Der kalte Ostseewind sollte sie nicht abschrekken - und die neuen Kollegen von der Landesbühne auch nicht. Die beliebte Theodora Jungk klärte gleich die Fronten: "Ich spiele die Guten, Sie die Bösen." Inzwischen hat Kammerschauspielerin Rosemarie Kilian zahlreiche Intendanten kommen und gehen sehen. Sie aber gehört nach wie vor zum Ensemble, spielte in jüngster Zeit in "Regina Madre", "Vor dem Ruhestand" von Thomas Bernhard, "Die Stühle" von Ionesco oder im "Woyzeck" die Großmutter. "Wer einmal ein paar Schuhsohlen auf den Brettern ablief, kommt nie wieder von ihnen los", schreibt Rosemarie Kilian. Die Beschäftigung mit dem Beruf ginge bei ihr über die direkte Arbeit hinein ins Psychologische.

Als nächster Leckerbissen wartet das Rollenbuch "Oscar oder die Dame in Rosa", für Danielle Da- rieux geschrieben und ein Bestseller. Kieler Premiere solle Ende Februar 2004 sein. Davon, daß sie die 80 als Stoppschild empfunden hat, ist nichts mehr zu spüren. "Und wenn ich einmal zum letzten Mal spiele, dann wird mein letzter Gedanke sein: Hoffentlich hast du dem Publikum heute abend etwas mit auf den Weg gegeben." Das sei wieder ihre missionarische Ader. Möge sie noch oft Gebrauch davon machen!

Rosemarie Kilian: Diese Aufnahme zeigt sie 1941 während ihres Engagements in Allenstein. Foto: privat